Wien - Der Wiener In-vitro-Fertilisationsexperte Wilfried Feichtinger könnte mit seinem Team neue, nichtinvasive Möglichkeit für die Präimplantationsdiagnostik (PID) entdeckt haben. Vor wenigen Tagen sei es gelungen, eine solche Diagnostik allein aus der Kulturflüssigkeit durchzuführen, in der eine Blastozyste (das Entwicklungsstadium ab dem vierten Tag nach der Befruchtung) aufbewahrt wurde.

"Vielleicht könnte man in Zukunft eine Präimplantationsdiagnostik ausschließlich aus der Nährlösung machen, ohne den Embryo überhaupt anzurühren. Nach der Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes dürfen wir ja eine PID aus Blastozysten durchführen. Dazu müssen wir eine Biopsie vornehmen, um zumindest eine Zelle zu gewinnen. Das ist invasiv", sagte Feichtinger.

Wilfried Feichtinger war 1981 einer jener Gynäkologen an der Wiener Universitätsklinik im AKH, welche erstmals in Österreich eine IVF-Behandlung erfolgreich durchführten. Zur möglichen neuen PID-Methode meinte er: Stellten sich die ersten Ergebnisse in weiteren Versuchen als wiederholbar heraus, wäre das eine "medizinische Sensation".

"Wir haben das einfach ausprobiert"

"Im Zuge ihrer IVF-Behandlung hatte eine Patientin eine Polkörperdiagnostik zur genetischen Abklärung Ihrer Eizelle, eine gesetzlich erlaubte Variante der PID, wie wir sie schon seit zehn Jahren durchführen. Normalerweise bekommen wir die Ergebnisse binnen zwei bis drei Tagen. Es lag aber das Wochenende dazwischen. Während auf das Ergebnis der Polkörperdiagnostik gewartet wurde, entwickelte sich diese Eizelle zur sogenannten Blastozyste", erzählte der Gynäkologe.

Das Ergebnis der Polkörperdiagnostik, bei der seit rund zehn Jahren nicht-invasiv zumindest das genetische Material der Mutter analysiert werden kann, ergab in diesem Fall mehrere genetische Veränderungen: eine Monosomie am Chromosom 12 und eine Trisomie am Chromosom 21. Ein Embryotransfer hätte wegen der Anomalie auf dem Chromosom 12 nicht stattfinden können, weil der Embryo nicht überlebensfähig gewesen wäre.

Feichtinger: "Bei einer Tagung, die ich vor einigen Monaten in Südtirol gehabt habe, hat aber ein italienischer Biologie erzählt, dass er vermute, man könnte genetisches Material auch in der Kulturflüssigkeit finden, in der befruchtete Eizellen aufbewahrt werden. Wir haben das jetzt Anfang der Woche einfach ausprobiert."

Der Nachweis

Das Ergebnis war frappierend: Zur Überraschung des IVF-Experten und seines Teams ließ sich genetisches Material aus der Nährlösung extrahieren und vervielfältigen. Damit wurde eine genetische Untersuchung möglich.

"Zu unserer Begeisterung erhielten wir dasselbe Ergebnis, wie schon aus den Polkörpern (Monosomie 12 und Trisomie 21, Anm.), womit der Beweis erbracht war, dass eine komplette und korrekte Chromosomenanalyse im Sinne einer Präimplantationsdiagnostik sogar aus dem Kulturmedium möglich ist", sagte der Experte.

Was dahinter steckt

Jedenfalls mussten damit Zellen oder auch nur genetisches Material aus der Blastozyste in das Nährmedium gelangt sein. Feichtinger hat dazu eine plausible Erklärung parat: "Bei der künstlichen Befruchtung und beim Manipulieren der befruchteten Eizelle können Löcher in der Hülle der Eizelle entstehen." Dadurch könnte eben genetisches Material austreten. Dieses hätte aber gegenüber jenem von Polkörperchen den Vorteil, nicht nur die mütterliche Erbsubstanz zu enthalten.

Außerdem wisse man aus früheren Proteomics-Studien, dass es im Blastozystenstadium zu einer aktiven und intensiven Interaktion des frühen Embryos mit seiner Umgebungsflüssigkeit kommt. So finde man zum Beispiel verschiedene Proteine und sonstige Substanzen, welche von der Blastozyste ausgeschieden werden. Im Zuge dessen könne es durchaus sein, dass auch Zellbestandteile, welche Chromosomenstücke enthalten in die Flüssigkeit gelangen.

Jetzt will der Gynäkologe mit seinem Team versuchen, den Erstbefund durch weitere derartiger Doppeltests zu bestätigen. "Meines Wissens hat es in der wissenschaftlichen Literatur bisher keinen Bericht über eine mögliche Präimplantationsdiagnostik aus der Kulturflüssigkeit gegeben", erzählte Feichtinger. Mit der Etablierung der ultraschallgelenkten Eibläschen-Punktion zur Gewinnung von Eizellen und der Polkörperdiagnostik in Österreich war der Gynäkologie in den vergangenen Jahren immer wieder an innovativen Entwicklungen beteiligt.

Erste Reaktion

Andreas Obruca, IVF-Experte vom Kinderwunschzentrum am Privatspital Goldenes Kreuz in Wien, äußerte sich am Mittwoch vorsichtig positiv zu den Beobachtungen seines Kollegen: "Das ist auf jeden Fall eine zukunftsträchtige Beobachtung." Für die Etablierung eines in der Praxis verwendbaren Tests müsse aber erst die sichere Reproduzierbarkeit bewiesen werden. (APA, red, 25.3.2015)