Der erste Kampf in "Bloodborne" ist eine Falle. Unbewaffnet erwacht man in einer verlassenen Klinik. Draußen wartet die verseuchte Stadt Yharnam, in der zu Bestien mutierte Bewohner die Jahrhunderte alten Gemäuer zu einem schlechteren Ort machen. Drinnen ist man gefangen mit einem Werwolf, der an den Überresten einer Leiche kaut.

Naiv schleicht man sich heran und geht in die Offensive. Zwei, drei Momente später ist man tot und erwacht in einer Traumwelt wieder. Wer klug ist, hört zu, was ihm die Stimmen aus dem Jenseits zu sagen haben, wer stur wie ich ist, kehrt gleich wieder in die Klinik zurück und versucht erneut sein Glück. Neun Mal habe ich diese Prozedur an mir ergehen lassen. Neun mal bin ich zerbissen, zerrissen, getötet worden. Beim zehnten Mal hatte ich das Ungetüm mit bloßen Händen erschlagen.

Hätte man mir vorher gesagt, dass die Entwickler den ersten Tod absichtlich inszeniert haben, um einen mit der Traumwelt bekannt zu machen, in der man nicht nur Rat sondern auch nützliche Ausrüstungsgegenstände wie zum Beispiel eine rasiermesserscharfe Streitaxt oder eine Pistole erhält, hätte ich mir diese Einstiegstortur erspart und meinem ersten Feind ein schnelles Ende bereitet.

So lernte ich auf brutale Weise die Quintessenz von "Bloodborne" kennen: Ungeduld und Übermut sind tödlich. Doch mit festem Willen schafft man sogar das scheinbar Unmögliche.

Bild: Bloodborne
Bild: Bloodborne

Allein gegen die Welt

Ohne viele Worte wird man als Monsterjäger in eine gotische Hölle geworfen, in der jedes Lebewesen nach deinem Leben trachtet. Blutrünstige Mobs mit Heugabeln und Fackeln ziehen durch die Gassen. Muskelbepackte Trolle mit Ziegelsteinen in der Hand bewachen die Stadttore und Giganten schützen die Kathedrale. Von den mutierten Riesenratten in der Gosse bis hin zu den einschüchternden Drachen trifft jeder Baustein dieser Fiktion einen wunden Punkt im Nervenkostüm. So ist man gut damit beraten, sein kämpferisches Geschick zu trainieren.

Mit Schwert und Flinte bestückt, gibt es kein Morgen und kein Drücken. "Bloodbornes" Kampfsystem zwingt anders als die Teile der "Souls"-Serie einen schildlos in die Offensive zu gehen. Es gibt keine Taste für Blocks und wird man getroffen, kann man die gestohlene Lebensenergie im gleichen Moment nur mit einem unmittelbaren Konter zurückgewinnen. Ein Hechtsprung aus der Bredouille oder ein Ausweichschritt sind die einzigen Defensivmaßnahmen, die es zu meistern gilt.

Jeder ist sterblich

Es ist ein geniales System, das die Einstiegshürde sehr niedrig hält, jedoch im Detail umso mehr Konzentration und selbst von vielen "Souls"-Veteranen neue Strategien erfordert. In der mittelalterlichen Fantasie Yharnams, seiner gigantischen Kanalisation bis hin zu den düsteren Kerkern und Friedhöfen darüber hinaus, stößt man auf kleine und große furchteinflößende Monster, von denen jedes einzelne tödlich ist, man aber auch allesamt mit den grundlegenden Kenntnissen besiegen kann.

Rollenspiel-typisch wird man mit der Zeit zwar stärker und entdeckt nützliche Utensilien wie Molotov-Cocktails und Fackeln, doch letztendlich kommt es jedes Mal aufs Neue darauf an, sein Gegenüber zu studieren, sein Muster zu erkennen und im richtigen Augenblick zuzustoßen. Jeder Gegner folgt einem Schema und hat eine Schwäche.

Bild: Bloodborne
Bild: Bloodborne

Harte Fairness

Es ist ein faires Konzept, das einem erlaubt, aus eigener Kraft zu gewinnen, aber keine Geschenke macht. Man ist kein Superheld, sondern so sterblich wie jede andere Kreatur. Es gibt keine automatische Speicherfunktion und keine automatische Regeneration. Wenn man scheitert, wird man an den letzten Rücksetzpunkt geschickt und verliert all seine gewonnen Punkte, genannt Blood Echoes, die sich zum Ausbau der Fähigkeiten tauschen lassen. Verlorene Seele und Punkte lassen sich dann nur an der Unglücksstelle wieder aufsammeln.

Das bedingt, dass man diese offene Spielwelt vorsichtig und genau inspiziert. Nach Geheimwegen und Verstecken Ausschau hält und jede Konfrontation überlegt angeht. Gleichzeitig ist man frei von Konventionen und sollte diese Freiheit zu seinem Vorteil nutzen. Denn während beispielsweise Feinde mit einem zusammen aus dem Reich der Toten zurückkehren, muss man sich kaum einem davon zweimal stellen, sondern kann sich auch geschickt an ihnen vorbeibewegen, um verlorenen Boden wieder gut zu machen.

Ungeduld ist tödlich

Das verlockt, sich durch einen ganzen Abschnitt von einem Finale zum nächsten durchzumetzeln. Doch selten geht diese Strategie auf und mündet in der Frustspirale immer wieder die gleichen Fehler zu begehen. Jedes Scheitern fungiert als Erinnerung daran, auf sein Bauchgefühl zu hören. Hat man zehn Schurken hintereinander bezwungen, rät einem das Gewissen dazu, zurückzukehren und seine gesammelten Blood Echoes in Fertigkeiten und Ausrüstung zu investieren. Die Neugier sagt einem, weiter zu gehen und zu schauen, was danach noch kommt. Ungeduld ist allerdings zumeist tödlich.

Das ist es, was "Bloodborne" wie schon seine spirituellen Vorgänger so faszinierend macht. An allem was man tut, ist man selbst schuld. Die allermeisten der vielen, vielen Tode sind wie im Anfangs genannten Beispiel auf die eigene Sturheit zurückzuführen. Anstatt einem zu sagen, dass man nicht gut genug ist, sagt einem jeder Tod, dass man weiß, das man es drauf hat, dass man eigentlich kein Opfer, sondern aller Bestien schlimmster Albtraum ist.

Bild: Bloodborne
Bild: Bloodborne

Triebkraft Hoffnung

Man lernt, die Schusswaffe als Stopper und die Klinge als Vollstrecker einzusetzen. Man lernt, wenn es nicht sein muss, nie mehr als einen Gegner auf einmal anzugreifen. Man lernt, sich niemals in die Ecke drängen zu lassen und nie mit halb voller Energie voranzuschreiten. Man erkennt Lebenskraft und Ausdauer als wichtigste Eigenschaften an und investiert nicht in Gegenstände, die man am Weg aufsammeln kann. Man ignoriert keine Hinweise von fremden Geistern und geht jeder Spur nach, die ein weiteres Geheimnis zu enthüllen verspricht. Man scheitert. Man scheitert tragisch. Bis man beginnt, in sich zu hören und schließlich einen erfolgreichen Spielstil findet.

Es ist ein langer Weg dort hin und noch länger dauert es, bis man den letzten Koloss in die Knie gezwungen hat. 30 Stunden für geübte Fans der Serie, gerne doppelt so lange für Neulinge. Doch gerade weil man so auf sich selbst gestellt ist und jeder Kampf mit seinen oft unvorhersehbaren Dynamiken und exzellenten Mechaniken mitreißt, wird Repetition nicht rein zur Qual, sondern zur Hoffnung, dass man es beim nächsten Mal doch noch packt. Jeder Schlagabtausch fühlt sich brutal und echt an, gerade weil man so viel riskiert.

Gemeinsame Freude, gemeinsames Leid

Es ist eine ungemein persönliche Erfahrung. "Bloodborne" entführt in eine bedrückendere Welt als From Softwares Werke zuvor, füllt sie aufgrund des offensiven Zugangs zu den Konfrontationen jedoch mit einer Flut Emotionen. Diese Welt ist böse, geradezu gemein zu einem und spielt man nicht, kann man trotzdem nichts anderes tun als ans nächste Mal zu denken. Einen wesentlichen Teil dieser Magie machen die unzähligen Mysterien dieser Welt aus. Spieler tauschen sich in Foren aus, um über die Funktionsweise von Runen und Detailwerte von Rüstungen oder Schwächen der irrwitzigen Endbosse zu diskutieren. Es gibt schier unendlich viel zu wissen, und so wenig wird einem vom Spiel erklärt. Blickt man sich nicht um, kehrt man nicht an Orte zurück, verpasst man Geschenke von Mitstreitern oder lässt ganze Areale mit Kettenschwingenden Riesen und Gift speienden Wesen aus. Vieles ist optional und manchmal führen wieder Passagen zum nächsten Levelabschnitt, die wie Pfade zu versteckten Kammern aussehen. Es gibt keine Landkarte und keine Hinweispfeile, es wird die reinste, aufregendste Form des Entdeckerdrangs geweckt und die Schönheit dieses Albtraums liegt in seiner Unvorhersehbarkeit.

Gerade deshalb sollte man seine Erfahrungen mit anderen teilen. Online, wird die Welt mit den Geistern fremder Spieler belebt, die einem Botschaften an kritischen Stellen hinterlassen und zeigen, wie sie gefallen oder aufgestiegen sind. Es ist eine passive, minimale Beeinflussung, die das Erlebnis jedoch ungemein bereichert. Es tut gut, mit seinen Zweifeln und Glücksmomenten nicht allein zu sein.

Bild: Bloodborne

Dungeon-Master

Gemeinsam zur Sache geht es dann so richtig, wenn man Freunden und Fremden zur Hilfe kommt oder sich unter die Arme greifen lässt. Über spezielle Glocken kann man Mitspieler rufen oder begleiten und so kooperativ auf Monsterjagd gehen. Wenngleich Bosse im Koop-Modus ausdauernder werden, hilft die sprichwörtliche Lastverteilung enorm, schwierige Widersacher zu meistern. Wortlos lässt man Schwerter und Äxte die Kommunikation übernehmen. Teuflisch daran ist, dass man bei der Bestellung fremder Spieler damit rechnen muss, von Trollen heimgesucht zu werden. Besser, man kennt seine Gefährten und schützt eine Spielsession per Passwort.

Wer selbst nach der Bezwingung aller Endgegner nach Yharnam zurückkehren möchte, findet in den Chalice Dungeons eine der spannendsten Herausforderungen. Diese drei unterschiedlichen Kerker können allein und gemeinsam bestritten werden und werden jedes Mal aufs neue per Zufall generiert. So verändern sich bei jedem Antritt das Layout, die Art der Feinde und Fallen und halten die Begegnungen in den Katakomben und Sümpfen frisch.

So faszinierend die Aufeinandertreffen mit anderen Spielern sind, so absurd wirkt es, wie kryptisch From Software den Weg zueinander gestaltet hat. Glöckchen, um Mitspieler zu rufen, Rituale, um in die Dungeons zu finden... Dass selbst aus grundlegenden Funktionen wie dem Online-Gaming ein Rätsel gestrickt wurde, hat Charme, wirkt für Neueinsteiger andererseits gar etwas bemüht kompliziert.

Rauhe Schönheit

"Bloodborne" braucht keine lange Einführung, um zu verstehen, worum es geht. Es setzt darauf, dass man so wie der wortkarg hineingestoßene Protagonist selbst entdeckt, wer man ist und was es zu entdecken gibt. Die Designer haben Großes geleistet, diese fantastisch schaurigen Kulissen mit so viel Details und Atmosphäre zu füllen, dass man die inszenierte Theatralik vergleichbarer Genrewerke nicht vermisst.

Gerade in brenzligen Situation enerviert jedoch die stellenweise unausgereifte Technik. Ab und zu einbrechende Bildraten irritieren im Kampfgeschehen genauso, wie die teils bockige manuelle Fokussierung auf Gegner. Wird diese aktiviert, zentriert die Kamera das Bild auf den Widersacher und erleichtert es enorm, den Überblick zu behalten. Probleme bereitet allerdings, dass der Fokus währenddessen gerne mal auf andere Feinde umspringt, wenn sich diese zwischen Spieler und Ziel stellen. Das kann sinnvoll sein, wenn es sich um gleich starke Kontrahenten handelt. Springt der Fokus hingegen gerade dann um, wenn ein nerviger Raabe in den Rundumschlag eines Giganten springt, treibt einen das System zur Weißglut. Ebenso ärgerlich ist, das der Fokus nur bis zu einer bestimmten Entfernung aufrechterhalten wird. Gerade bei springenden und speienden Bossen will man den Blickkontakt nicht verlieren.

Es sind kleine Makel, die sich bestimmt nachpatchen lassen, aber besonders bei einer Herausforderung, die so viel Fleiß und Nervenstärke abverlangt, das Fass zum Überlaufen bringen können. Die Ladezeit von geschätzten 45 Sekunden nach jedem Abtreten darf indes als Bestrafung angesehen werden. Aber schenken Sie den Entwicklern diese sadistische Freude nicht und nutzen sie den Anblick des schwarzen Bildschirms als Entspannungspause.

PlayStation

Fazit

Die Schöpfer der "Souls"-Serie haben mit ihrem jüngsten Werk einen eigenständigen und ebenso charismatischen Sprössling abgeliefert. Ein Abenteuer, das einen mit purer Freude am Gameplay und kompromisslosem Design erschlägt, bei dem man sich selbst der größte Feind ist. Wer es spielt, wird es hassen und dann lieben und einer perversen Sucht verfallen, von der man Freunden begeistert erzählt und dabei jedes Kopfschütteln der anderen als Kompliment auffasst, als wäre man Teil eines elitären Kreises. Die Wahrheit ist jedoch, dass man sich nicht vor dieser Herausforderung fürchten muss, wenn man einmal akzeptiert, dass man hier nichts geschenkt bekommt und sich trotzdem alles holen kann. Ein aufwühlender, fesselnder Anachronismus zu den weichgespülten Wohlfühlerlebnissen des Mainstreams, der wieder daran erinnert, dass Erfolge nur dann wirklich befriedigen, wenn man seine eigenen Zweifel, seine eigene Überheblichkeit, seine eigene Ungeduld, seine eigenen Fehler – sich selbst besiegt. (Zsolt Wilhelm, 29.3.2015)

Dem Autor auf Twitter folgen: @ZsoltWilhelm

"Bloodborne" ist ab 18 Jahren für PlayStation 4 erschienen. Die unverbindliche Preisempfehlung liegt bei 59,90 Euro.