Wien - Das Wien Museum widmet dem "verschollenen Galizien", jenem Gebiet, das 1772 nach der Teilung Polens an Österreich fiel, eine multiperspektivische Ausstellung. Nachgegangen wird dem "Mythos Galizien", so der Titel der am Mittwoch eröffneten Schau, aus unterschiedlichen Blickwinkeln des kollektiven Gedächtnisses von Polen, Ukrainern, Juden und Österreichern.

Kurze Geschichte

Galizien, das auf dem heutigen Gebiet von Ukraine und Polen liegt, sei ein "Zufallsergebnis der europäischen Machtpolitik" gewesen, erläuterte Wien Museum-Direktor Wolfgang Kos. Nur knapp 150 Jahre später wechselte das einstige Kronland "schon wieder in die Erinnerung". Was blieb, ist ein zwischen "verlorenem Paradies" und "galizischen Elend" schwankender Mythos, dem das Wien Museum nun in Kooperation mit dem International Cultural Centre in Krakau, wo die Schau bereits zu sehen war, auf den Grund geht.

Doch "die Mythenbildung kommt ja nicht aus dem luftleeren Raum", so Kos, und daher sind in der Schau auch zahlreiche Belege für die unterschiedliche Darstellung Galiziens vertreten. Sie reichen von Landkarten, bildlichen Darstellungen der Ersten Teilung Polens oder Medaillen über eine Thorakrone bis hin zu historischen Fotografien und zeitgenössischen künstlerischen Positionen.

"Alles ist häßlich ..."

Während die Annexion des Landes aus polnischer Sicht eine nationale Katastrophe war, wird Galizien in der Ukraine als "eine der Wurzeln des ukrainischen Nationalbewusstseins" gesehen, wie es in der Ausstellung heißt. Zurückzuführen sei diese Sicht auf "die Förderung der griechisch-katholischen Kirche durch Maria Theresia und Joseph II., die im Gegensatz zum römisch-katholischen Polen und dem orthodoxen Russland zu einem Ort ukrainischer Identität wurde".

Für die jüdische Bevölkerung schließlich gelte Galizien als "Mutter Israels", da sich das Judentum relativ frei entfalten konnte. Aus "Wiener Sicht" war Galizien schließlich vor allem "ein rückständiges, weit entferntes Land mit exotischen Völkerschaften", wie es im Katalog heißt. Und tatsächlich ist es vor allem die Literatur, die dieses Bild durchaus ins kollektive Gedächtnis brachte, wie zahlreiche Zitate von Joseph Roth an den Ausstellungswänden verdeutlichen. Auch in einem Brief Hugo von Hofmannsthals heißt es: "Alles ist häßlich, elend und schmutzig, die Menschen, die Pferde, die Hunde, auch die Kinder. Ich bin sehr niedergeschlagen und ohne Mut."

"Österreichisches Texas"

Dem Mythos der Armut stand jedoch auch jener des Fortschritts gegenüber. So sei das Gebiet um 1900 durch sein großes Ölvorkommen gar zum "österreichischen Texas" geworden. Lemberg sei damals die viertgrößte Stadt des österreichisch-ungarischen Reiches gewesen.

Ein eigener Abschnitt, der sich außerhalb der Sonderausstellung, die bis zum Jahr 1918 reicht, hinter dem Museums-Shop findet, widmet sich "Galizien in Wien": Schließlich lebten im Jahr 1910 42.000 Menschen aus Galizien in Wien, viele davon jüdische Zuwanderer sowie polnische Aristokraten. Nebenan findet sich noch der Bereich "Galizien nach Galizien", der sich abschließend mit dem "imaginären Raum, der noch immer präsent ist", auseinandersetzt. Nicht zuletzt die nun durch das ehemalige Galizien laufende Schengengrenze und die aktuellen Konflikte in der Ukraine verleihen dem Mythos des Modells eines Vielvölkerstaats erneut Relevanz. (APA, derStandard.at, 28.3. 2015)