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Integrationsexperte Senol Akkilic, einst Grüne, jetzt SPÖ, wird voraussichtlich auch in der nächsten Legislaturperiode im Wiener Gemeinderat sitzen.

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Bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz präsentierte SP-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler am Freitag seinen neuen Mitstreiter Akkilic.

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Die neue Mandatsverteilung im Wiener Gemeinderat.

Wien - Der Wiener Landtagsabgeordnete Senol Akkilic wechselt von den Grünen zur SPÖ. Das gab SP-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler bei einem Pressegespräch am Freitagmorgen bekannt.

"Das ist ein Freudentag für uns", sagte Niedermühlbichler. "Ich verstehe zwar nicht, dass die Grünen auf seine Expertise und Erfahrung verzichten können, freue mich aber umso mehr, einen absoluten Integrationsexperten für uns gewonnen zu haben. Wir nehmen das Thema Integration und Zusammenleben in der Stadt sehr ernst." Der Wechsel von Akkilic in den SPÖ-Klub ist übrigens noch nicht offiziell. Denn formal kann eine derartige Rochade während einer Legislaturperiode nicht erfolgen.

Weitreichende Folgen für Wahlrecht

Der Übertritt Akkilics hat weitreichende Folgen. Am Freitag wird im Landtag über ein neues Wahlrecht debattiert. Im Vorfeld der Sitzung gingen am Donnerstag zum wiederholten Mal die Wogen zwischen den Koalitionspartnern SPÖ und Grünen hoch. Der grüne Juniorpartner kämpft seit längerem darum, den mehrheitsfördernden Faktor im Wiener Wahlrecht mithilfe der Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ zu beseitigen. Dieser bevorzugt die Sozialdemokraten besonders.

Das Ziel war, eine Abstimmung im Plenum zu erreichen, in dem Grün-Schwarz-Blau mit 51 zu 49 Mandaten die Mehrheit hatte – bisher. Mit dem Wechsel Akkilics hat die Opposition knapp vor der Abstimmung diese Mehrheit verloren, nun besteht ein Patt.

Häupl bietet Grünen Gespräche "auf Augenhöhe" an

Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) bot den Grünen unterdessen weitere Gespräche über das Wahlrecht an – und zwar "auf Augenhöhe". Persönliche Befindlichkeit sei kein guter Ratgeber, warnte er die Grünen vor beleidigten Reaktionen. Er hoffe auf eine "Cool-down-Phase" in den kommenden Tagen, danach könne man erneut über eine Änderung des (Wahlrechts reden. Welche Vorschläge die SPÖ dazu präsentieren werde, wollte er nicht verraten. Häupl zufolge ist jedenfalls noch Zeit: Damit eine Neuregelung bei der Wahl im Oktober gilt, müsste der Beschluss spätestens bei der Landtagssitzung im Mai fallen.

Den Wechsel Akkilics zur SPÖ kommentierte Häupl knapp: "Es ist, wie es ist." Ob nun das Klima in der Koalition massiv beeinträchtigt sei? "Das war schon belastet genug", so der Bürgermeister und Verweis auf die von den Grünen begehrte Änderung der Geschäftsordnung, mit der die Wahlrechtsreform doch noch durchgebracht werden sollte. "Die Grünen haben geglaubt, wir lassen uns das einfach so gefallen."

Vassilakou wirft Häupl Vertrauensbruch vor

Der SPÖ-Personalcoup und die damit endgültig verhinderte Wahlrechtsreform bringt die Koalition gehörig ins Wackeln. Die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou warf den Roten am Freitag Vertrauensbruch vor: "Die SPÖ klammert sich an ihre Privilegien und scheut sich nicht, die allerunterste Schublade zu bedienen." Über Konsequenzen werde man parteiintern beraten.

Vassilakou wollte vor Journalisten heute ein vorzeitiges Ende von Rot-Grün trotz mehrfacher Nachfrage nicht dezidiert ausschließen. Gleichzeitig sprach sie aber davon, dass man nun einen "Modus Operandi" für die Zusammenarbeit in den "nächsten Monaten" finden müsse. Klubchef David Ellensohn gab ergänzend zu bedenken, dass eine Vorverlegung der Wahl - selbst wenn gewünscht - im Stadtparlament nicht mehr ohne SPÖ-Zustimmung erfolgen könne und zudem ein Termin vor dem Sommer wegen diverser Fristen so gut wie nicht mehr machbar wäre. Deshalb werde man am 11. Oktober wählen.

Fassungslos über "Aprilscherz"

Die spontane Abwerbung des grünen Mandatars Senol Akkilic durch die SPÖ - just eine Stunde vor Beginn des Wahlrechts-Landtags - wertet Vassilakou jedenfalls als "unwürdiges Schauspiel, das einen bestenfalls fassungslos zurücklässt". Die SPÖ klammere sich an ihre Macht - "koste es, was es wolle". Das Vorgehen des Koalitionspartners könne man nicht einfach abtun und zur Tagesordnung übergehen. Man werde in den nächsten Tagen in den grünen Gremien beraten, "was das für die weitere Zusammenarbeit heißt".

Das zuvor verkündete Angebot von Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), noch einmal in Sachen Wahlrecht zu verhandeln, schlug Vassilakou brüsk aus: "Das kann wohl nur ein vorgezogener Aprilscherz sein." Anders als die Grünen habe die SPÖ die vergangenen vier Jahre offenbar nicht ehrlich verhandelt. Das Ziel sei wohl stets gewesen, "soweit zu kommen, dass wir das erleben, was wir heute erlebt haben". Eine zweite Auflage von Rot-Grün sieht die Vizebürgermeisterin aber durchaus möglich.

Ihrem bisherigen Parteifreund Akkilic hatte Vassilakou nicht viel auszurichten: "Ich will sein Verhalten nicht kommentieren." Sie wies allerdings darauf hin, dass Akkilic "bis gestern alle Beschlüsse des Klubs mitgetragen hat". Und alle von der Partei gesetzten Schritte in Sachen Wahlrecht seien im grünen Klub stets einstimmig beschlossen worden.

Fixmandat gegen Stimme

Für seinen Wechsel soll ihm von der SPÖ ein fixer Mandatsplatz für die nächste Wahl zugesagt worden sein, den er bei den Grünen nicht gehabt hätte. Akkilic will nun seine "antifaschistische Arbeit fortsetzen".

Akkilic versicherte, dass der Wechsel zur SPÖ "kein leichter Schritt" gewesen sei. Er begründete seine Entscheidung damit, dass die Grünen mit der Opposition und gegen die SPÖ eine Geschäftsordnungsänderung durchsetzen wollten. Das entspreche nicht der Gepflogenheit und Tradition, da man die parlamentarischen Regeln bisher immer im Allparteienkonsens modifiziert habe.

Austritt per E-Mail bekanntgegeben

Akkilic hatte Freitagfrüh per E-Mail den Austritt aus der grünen Partei und dem grünen Rathausklub mitgeteilt. Er begründete seinen Wechsel in dem Pressegespräch wie folgt: "Durch die SPÖ habe ich die Möglichkeit erhalten, die so wichtige Integrationsarbeit fortzuführen und weiter für jene Menschen zu arbeiten, die neu in diese Stadt kommen."

Koalition bleibt vorerst aufrecht

Niedermühlbichler untermauerte erneut, dass die rot-grüne Koalition aufgrund dieser Angelegenheit nicht platzen werde. Sollten die Grünen aber trotz allem ihre Wahlrechtsanträge einbringen, bedeute das für die Zukunft sehr wohl, dass die Zusammenarbeit schwieriger werde. Dabei habe die Koalition "hervorragende Arbeit" geleistet: "Wir wollen auch nach der Wahl mit den Grünen verhandeln."

Ellensohn: Schwarzer Tag im Landtag

Der grüne Klubobmann David Ellensohn reagierte wenig erfreut auf die Entwicklung. "Für mich ist das der Tiefpunkt, es ist ein schwarzer Tag im Wiener Landtag", sagte er zum STANDARD. Er habe erst kurz vor 8 Uhr in einer knappen E-Mail von Akkilics Wechsel erfahren. Diesen Schritt müsse Akkilic nun mit seinem Gewissen ausmachen. Eine Anspielung auf die Konditionen des Wechsels konnte sich Ellensohn nicht verkneifen: "Ich war nicht in die Vertragsverhandlungen eingebunden." Bedenken wegen der Wahlrechtsreform habe Akkilic ihm gegenüber nie geäußert.

Die Grünen wollen den geplanten Antrag am Freitag dennoch mit ÖVP und FPÖ einbringen (Livestream der Sitzung hier >>>). Der Wiener ÖVP-Chef Manfred Juraczka sagte zum STANDARD, dass Akkilics Wechsel "traurig für die Demokratie" sei. "Ich habe immer gedacht, dass mit Tricks gearbeitet wird, aber mit derartigen nicht." Der FPÖ-Mandatar Dietbert Kowarik sprach von einem "Kasperltheater".

Neos über politischen Stil "enttäuscht"

"Mit der heutigen Verlängerung des Wiener Wahlrechtsdramas ist klarer denn je: SPÖ und Grüne haben sich durch dieses unwürdige Schauspiel nicht nur selbst geschadet, sondern auch dem Ansehen der Demokratie einen echten Bärendienst erwiesen", erklärte die Wiener Neos-Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger in einer Aussendung. Sie sei über den politischen Stil "enttäuscht."

Heftige Debatte im Landtag

In der laufenden Landtagssitzung sorgte Akkilics Übertritt für heftige Debatten. Stadtrat Rudi Schicker (SPÖ) sagte: "Akkilic ist aus freien Stücken gewechselt", was für Gelächter im Plenum sorgte. FPÖ-Klubchef Johann Gudenus wetterte, dass Akkilic "eingekauft" worden sei. Er vermutet einen bewussten rot-grünen Deal: "Das war ein von langer Hand vorbereiteter Coup." Die Grünen erhielten 13 Millionen Euro für die Mobilitätsagentur, dafür könne die SPÖ das Wahlrecht behalten, so Gudenus.

Auch in den sozialen Medien sorgt der Überraschungscoup für intensive Reaktionen.

(burg, krud, rwh, derStandard.at, 27.3.2015)