Als würden Soldaten irgendwo im Urwald lagern und auf das Ende des Wolkenbruchs warten: David Lieskes Buchpräsentation.

Foto: Mumok / LAURENT ZIEGLER

Wien - Palmen, Tarnnetze, Ölfässer, Kanister, Patronenhülsen, Sitzkissen im Camouflagemuster, dazu abgelegte Militärhelme und -stiefel. Nackte Glühbirnen hängen tief von der Decke, geben warmes Licht, während rings um das Soldatencamp soundtechnisch ein Wolkenbruch auf dichtes Blätterwerk niederzugehen scheint. Es ist angenehm, geradezu lauschig. Vogelschreie. Glockenklang?

Zu David Lieskes Personale Platoon (RL-X) steigt man tief ins Mumok hinab - denn schließlich liegen dort, im Keller, ja die Leichen begraben, wie es heißt. Lieske nennt seine Leichen "secrets". Und hier hebt er sie, indem er in 300 Exemplaren seines Buches I tried to do this work tiefe Einblicke in seine Biografie gewährt.

Das Arrangement der hier aufgestapelten Bücher bricht die militärische Szene. Sie türmen sich nicht wie Lesefutter, das sich Soldaten fürs Schlechtwetter zur Seite gelegt haben, sondern erinnern eher an Buchmessekojen. Das ist Lieskes Absicht: Dieses Militärcamp ist bloß Kulisse. Dennoch ist es symbolisch aufgeladen: Es zeigt den Kampf des Künstlers mit seiner Offenbarung, die Explosivität des Inhalts, die Vereinnahmung durch den Leser.

"Ich bin ein Künstler und ich nehme mir die Freiheit, meinen Job zu hassen, wie alle anderen auch", erklärte der 1979 in Hamburg Geborene einmal. Mit zwanzig gründete er ein Musiklabel, und als er nach Versuchen mit Film und Foto Anfang der 2000er an die Kunsthochschule wollte, riet man ihm, sich gleich eine Galerie zu suchen. Er machte Karriere, bis er beschloss, keine Kunst mehr machen zu wollen. I tried to do this work (2007) ist eine der letzten Arbeiten seiner Künstlerkarriere. Bis zur Schau im Mumok lag sie sieben Jahre in der Lade.

Kein narzisstischer Akt stehe hinter dieser Arbeit, sondern der Vorwurf, seine bisherigen Arbeiten hätten nichts mit ihm zu tun, erzählt Lieske. Also beschloss er, seine Autobiografie schreiben zu lassen - von einem berühmten Popliteraten! Über mehrere Wochen hinweg hat Lieske in ein- bis zweistündigen Sitzungen (unterbrochen vom Konsum der TV-Serie O. C. California) Autor Ingo Niermann von der Couch aus im Plauderton Wegmarken seines Lebens erzählt: erster Schultag, erstes Poster, Masturbation, Schwulensauna, Beziehungen, Kunst, Musik, Karriere et cetera. 103 Kapitel hat Niermann daraus gemacht. Dass er von seiner Kunst (noch) nicht leben könne, ihm das Fehlen eines Katalogs zu seiner Arbeit peinlich sei und er zeigen wolle, wie gut Kunst sein kann, gibt Lieske da ebenso zu, wie dass er gerne Hausfrau wäre. Das war 2007, inzwischen ist er Galerist.

Der silbergraue Einband seines Buchs zeigt sein Porträt - vor dem Gesicht eine Nikon; das schwarze Loch des Objektivs richtet sich gegen den Betrachter. Doch: Die umgekehrte Buchstabenfolge auf der Kamera verrät das Spiegelfoto. Lieske gibt sich dem Selfie-tum hin und richtet dabei die "Waffe" auch gegen sich selbst. Weil ihm die deutsche Fassung schließlich doch zu intim war, ließ er sie ins Englische übersetzen. Auch die Semi-Öffentlichkeit des Museums erleichterte das Preisgeben privater Details; ein Detektor stellt sicher, dass kein Exemplar des 286-Seiten-Bandes den Raum verlässt.

Entgegen dem paramilitärischen Setting hat die Schau mit Gewalt wenig zu tun: Es ist ein zärtlicher Akt, in dem sich die Besucher in diesem zum Verweilen einladenden Leselager in die Bekenntnisse des sensiblen Selbstbeschauers vertiefen. (Michael Wurmitzer, Spezial, DER STANDARD, 28./29.3.2015)