Larissa (li.) und Lucy haben Lupus. Die Krankheit tritt in Schüben auf, und ihr Verlauf ist schwer vorhersehbar. Mutter Trang L. ist seit Jahren "ständig auf dem Sprung".

Foto: Christian Fischer

Auf Reisen ist ein Koffer nur mit Medikamenten voll. Bis zu 25 Tabletten brauchen die Zwillinge pro Tag, auch logistisch eine Herausforderung.

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Larissa und Lucy finden es blöd, dass sie schon um 20 Uhr ins Bett müssen. Die Freundinnen der 13-Jährigen dürfen schon viel länger aufbleiben. Sie sind Teenager und wollen auch so behandelt werden. Aber die Zwillinge brauchen viel Schlaf, rund elf bis zwölf Stunden täglich, und trotzdem sind sie oft erschöpft. Die Regale im Wohnzimmer sind mit Brettspielen und DVDs gefüllt: Außerhalb der Schule verbringen sie viel Zeit zu Hause, besonders im Sommer. "Die Hitze und direkte Sonnenstrahlen können einen Schub auslösen", sagt ihre Mutter Trang L.

Alle Töchter haben die Autoimmunerkrankung Systemischer Lupus erythematodes. Jasmin, die Älteste, ist vor zweieinhalb Jahren daran gestorben. Sie wurde 16 Jahre alt. Die Schwestern haben die gleiche Grunderkrankung, aber unterschiedliche Verläufe und Nebenerkrankungen. Larissa hatte mit acht Jahren einen Schlaganfall und litt an Epilepsie. Nach einer Gehirnoperation sind die Anfälle zurückgegangen, aber sie nimmt nur noch die rechte Hälfte ihres Sichtfeldes wahr. Außerdem fällt es ihr schwer, ihre Impulse unter Kontrolle zu halten.

"Es wird besser, aber die Messer liegen bei uns nicht in den Schubladen", sagt ihre Mutter und zeigt nach oben auf den Küchenkasten, wo sie scharfe Objekte verwahrt. Die 38-Jährige pflegt ihre Kinder seit vielen Jahren. Sie ist ein wandelndes Lexikon, was Befunde, Medikamente und Symptome betrifft. Der biologische Vater kümmerte sich in der ersten Zeit nach der erschütternden Diagnose noch um seine Kinder, doch die Beziehung zerbrach bald. Seit der Scheidung hing alles an der Mutter, die noch Jahre im Berufsleben stand. "Zunächst war die Arbeit eine Abwechslung, aber irgendwann nur noch eine Zerreißprobe. Bis das Gehirn versagt", sagt sie. Im Jahr 2013 war sie ausgebrannt und erholte sich sechs Wochen in der Reha.

"Es ist eine emotionale Stemmleistung", sagt Ilona Manske vom Malteser Care-Ring. Sie betreut die Familie und evaluiert regelmäßig, was über die medizinische Versorgung hinaus gebraucht wird: Das reicht von Haushaltshilfe bis zur Vermittlung mit Behörden oder der Übersetzung von Befunden. Die Pflegedienstleistung hilft seit 2011 bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit lebensverkürzenden oder -bedrohenden Krankheiten zu Hause.

Österreich steht am Anfang

"Die Versorgung im Kinderhospizbereich steht in Österreich am Anfang", sagt Martina Kronberger-Vollnhofer, Leiterin des mobilen Kinderhospizes Momo und Kinderhospizbeauftragte im Dachverband Hospiz Österreich. Die Betreuung durch Momo ist kosten- los und rein spendenfinanziert. Nur in Niederösterreich und der Steiermark gibt es öffentlich finanzierte Palliativ- und Hospizteams. In allen anderen Bundesländern gibt es entweder gar keine Angebote für Kinder und Jugendliche, oder sie werden durch Spenden und viele Ehrenamtliche aufrechterhalten.

Laut Dachverband gibt es bis dato kein stationäres Kinderhospiz in Österreich. Dabei sind laut zurückhaltenden Schätzungen mehr als 1000 Familien in Österreich betroffen. Genaue Zahlen fehlen. "Als einziges Land weltweit erfasst Großbritannien seit 20 Jahre die zugrunde liegenden Erkrankungen nach palliativmedizinischen Aspekten mit einem internationalen Diagnosekatalog", sagt Kronberger-Vollnhofer. Dadurch kann sowohl die Häufigkeit der einzelnen Erkrankungen als auch die Betreuungsdauer nachvollzogen werden. Denn aufgrund der modernen Medizin leben Kinder mit schweren Krankheiten oft bis ins junge Erwachsenenalter. Die besonderen Bedürfnisse von ihnen und ihren Familien werden zumeist nur unzureichend erfasst.

Recht auf Auszeit

Ein Kinderhospiz ist kein Ort, der nur in den letzten Lebenstagen hilft. "Auch Eltern haben das Recht durchzuschlafen, Zeit für sich und die gesunden Kinder zu haben oder selbst krank zu sein", sagt Kronberger-Vollnhofer. Nach dem Tod eines Kindes kann das stationäre Hospiz Unterstützung bei der Trauer bieten.

Ein neues Projekt in diesem Bereich ist das spendenfinanzierte Hilde-Umdasch-Haus des Malteser Care-Ring in Amstetten, das bis zum Herbst fertiggestellt werden soll. Es wird Platz für zehn Kinder und Jugendliche mit lebensverkürzenden Krankheiten bieten. Eltern können dadurch temporär entlastet werden, oder die Jugendlichen ziehen in eine betreute Wohngemeinschaft.

Die Missstände und Versäumnisse für schwerkranke Kinder hinsichtlich der Angebote im Hospiz- und Palliativbereich finden allmählich politische Beachtung. Die parlamentarische Enquete-Kommission zur "Würde am Ende des Lebens" hat diesen März nach neunmonatiger Beratung ihren Endbericht mit 51 Empfehlungen an den Nationalrat präsentiert. Ein Fazit: Es gibt viele Lücken, besonders für Kinder und Jugendliche. Neben dem großflächigen Ausbau der mobilen Teams müssten zwei bis drei Kinderhospize entstehen. Im Moment gibt es nur drei pädiatrische Palliativbetten an einem Standort in Niederösterreich.

Es scheitert an der Einigung über die Finanzierung, sagt Kronberger-Vollnhofer: "Es ist ein Pingpongspiel zwischen Gesundheits- und Sozialministerium auf der einen Seite und Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungsträgern auf der anderen Seite. Unisono heißt es: Wir haben zu wenig Geld." Der Enquete-Bericht sei laut Ärztin ein guter Fahrplan, sie hofft auf rasche Umsetzung. Wichtig ist zudem eine zentrale Beratungsstelle. Eltern müssen oft einen Spießrutenlauf zwischen den Behörden absolvieren, bis sie wertvolle Informationen bekommen. "Zunächst weiß man nicht: Was steht einem zu?", sagt die Mutter der Zwillinge. Sie hätte das Pflegegeld für ihre Kinder viele Jahre früher beantragen können.

Psychologische Betreuung

In der Regel braucht es viel mehr als medizinische Betreuung. "Eine Familie ist ein fragiles System, das unter Belastung kippen kann", sagt die Momo-Leiterin. Neben den Ärztinnen und der mobilen Kinderkrankenpflege Moki-Wien betreuen je eine Sozialarbeiterin, Psychologin, Seelsorgerin und das Momo-Hospizteam die Familien psychosozial. In Wien bietet der "Rote Anker" des Hospizes Rennweg psychologische Betreuung. Silvia Langthaler ist dort Psychotherapeutin und weiß: "Wichtig ist Ehrlichkeit, Kinder bekommen alles mit. Sie fühlen sich sonst mit dem Tabuthema alleingelassen."

Mit Larissa und Lucy wird alles besprochen. Besonders Larissa ist sehr offen, sagt ihre Mutter: "Sie hat sich vor die Klasse gestellt und erklärt, wieso sie Medikamente nimmt und dadurch zugenommen hat." Wütend machen Trang L. dumme Kommentare: "Im Zoo haben Erwachsene laut gesagt, dass meine Kinder die kuriosesten Tiere sind." Seit dem Tod der großen Schwester schwebt zudem die Frage im Raum: Wird mir das auch passieren? Der Verlauf von Lupus ist nicht vorhersehbar. Mit zwei betroffenen Kindern kommt es regelmäßig zu Krankenhausaufenthalten. Das ist für alle belastend, sagt Trang L.: "Wir sind ständig in Alarmbereitschaft. Es kommt mir vor wie ein Dauerschub." (Julia Schilly, DER STANDARD, 28.3.2015)