Gelungenes Musical: Ann Mandrella und Erich Schleyer in der Travestieshow "Victor/Victoria" am Stadttheater Klagenfurt.

Foto: Studio Bomba / Aljosa Rebolj

Klagenfurt - In den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts schlüpften die Frauen massenweise in Männerklamotten. Was wie eine Mode erschien, stellte allerdings weit über das Straßenbild hinaus Geschlechterrollen infrage. Es ist kein Zufall, dass im Sog der Entwicklung in Berlin der Film Victor und Victoria die Diskussion um eine Ebene komplexer machte: Die Varietésängerin Victoria ist abseits der Bühne zwar der polnische Graf Victor, aber dieser ist eine Erfindung. Hinter der doppelten Verstellung, aus Geldnot von dem homosexuellen Entertainer Carol Todd erdacht, stößt King Marchan, der Nachtklubbesitzer aus Chicago, am Ende instinktgeleitet doch auf die englische Sängerin Victoria Grant.

Das anregende Thema ist mittlerweile um eine ganze Genderwissenschaft reicher, aber beileibe nicht ausdiskutiert. Nun wird es vom Klagenfurter Stadttheater in seiner diesjährigen Musical-Produktion in sinnenfreudiger Ausschöpfung aller erotischen Dreideutigkeiten aufgegriffen.

Gespielt wird die von Henry Mancini komponierte Fassung, die am Broadway ab 1995 zwei Jahre lang ausverkauft war, damals mit Julie Andrews in der Titelrolle, der Golden-Globe-Gewinnerin der Neuverfilmung von 1983. In Klagenfurt sind Victor und die beiden Victorias mit der britischen Sopranistin Ann Mandrella besetzt, deren Auftritte als Mannfrau in reizvoller Schwebe zwischen Weiblichkeit und Knabenhaftigkeit den Abend krönen. Aber auch rundum gibt es Hörens- und Sehenswertes im Überfluss: Erich Schleyer ist ein berührend schwuler Carol Todd, Tim Grobes King Marchan wird von einer sehr amerikanischen Vorstellung von Männlichkeit fast zerrissen, seine Freundin Norma, dargestellt von Ines Hengl-Pirker, von einer sehr amerikanischen Vorstellung von Weiblichkeit - nämlich einer Barbie, die gern die Krallen zeigt.

Vicki Schubert hat all das sehr leicht und lustvoll in Szene gesetzt. Fantasiesprühend Anne Marie Legensteins Kostüme, von den Puderperücken der Louis-Seize-Zeit bis zu den Masken auf den Höschen-Kehrseiten der Varietétänzerinnen. Auf dem Montparnasse (Bühne: Stephan Koch) verbindet sich die Armut von Blumenmädchen mit dem Glamour von Showtreppen. Sogar einen federleichten Cancan gibt es, was in einem Land, in dem man sich traditionell auf den G'stampften versteht, doch etwas Besonderes ist. Und Günter Wallner verwandelt das Kärntner Sinfonieorchester in eine veritable Big Band. (Michael Cerha, DER STANDARD, 28.3.2015)