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Wenn auch das Asylgesetz nicht hilft, so sorgt doch die Musik von Georg Friedrich Händel für Trost: der Chor und die Sängerin, formschön verteilt im Sakralraum des Wiener Burgtheaters.

Foto: APA/Techt

Wien - An der Rückwand des Wiener Burgtheaters erstrahlt ein riesiges Kreuz im gleißenden Licht. Durch die Längsachse sickern Asylwerber. Die Ärmsten der Armen scheinen zu zögern. Einer nach dem anderen plumpst in knöchelhohes Wasser. Offensichtlich ist die Votivkirche geflutet worden. Ein paar Flüchtlinge proben Schwimmzüge. Als könnten sie der Tatsache, dem rauen Mittelmeer entronnen zu sein, keinen Glauben schenken.

Es dauert seine Zeit, bis die Schutzbefohlenen im Schutz der hohen schwarzen Kirche Aufstellung genommen haben (Bühne: Olaf Altmann). Die Schutzflehenden des Aischylos sind in die Obhut Elfriede Jelineks übergegangen. Sie tragen Masken aus Plastiksackresten und sind wie zum Sprung geduckt.

Mit knapper Not entronnen

Der Text der Literaturnobelpreisträgerin enthält herrlichsten Chorgesang. "Wir leben", tönt das Kollektiv der "Refugees". Das ist mehr, als viele Leidensgenossen von sich sagen können. Als Flüchtlinge sind die Schutzbefohlenen nur mit knapper Not davongekommen. Indem sie um Asyl werben, müssen sie auf menschenwürdige Behandlung hoffen. Es schlägt die Stunde der Bürokraten, der Verfahrensabwickler. Am Wort sind nicht die Armen, sondern die Wohlstandsverwalter. Über die Asylanten wird Recht gesprochen. Und damit schlägt die Stunde der Jelinek'schen Sprache. Wer Recht spricht, läuft Gefahr, Unrechtes zu sagen.

Die Besetzung der Votivkirche 2012/2013 ist noch in deutlicher Erinnerung. Mit wütender Inbrunst käut Jelinek die Ereignisse wieder. In der Wiener Burg ist das Wütendste die Musik (Bert Wrede). Violinen schrauben sich in die Höhe, schwere Bässe erschüttern den Dom. Von da an hat uns die Routine wieder.

Regisseur Michael Thalheimer inszeniert die österreichische Erstaufführung der Chor-Tirade als würdiges Palmsamstagsfest. Ihr Auftritt, bitte: Die herrlichen Burgschauspielerinnen und Burgschauspieler trippeln durchs Wasser. Für jede(n) von ihnen ist ein Texthappen vorrätig. "Angst" lautet das Thema. Auf der Bühne passiert alles mit der größten Sicherheit. Man lüftet die Maske und spricht Text. Jelinek kehrt die Wörter und Phrasen so lange um, bis sie ihren Ungeist preisgeben. In der Burg begnügt man sich mit Textaufsagen.

Jelinek kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen. Ein "Aufenthaltsrecht" kann man "ableiten", so wie man Flüsse ab- oder umleitet. "Ableiten" kann man auch Menschenströme. Zu Wort kommt das hässliche Deutsch der Verordnungen. Jelinek ist die legitime Erbin des französischen Philosophen Michel Foucault. In ihren rasenden Partituren hat die Sprache immer schon die Oberhand gewonnen. Durch das "Subjekt", den mündigen Menschen, fließt der Diskurs wie ein reißender Bach. Er spült die Beharrungskräfte der Flüchtlinge ohne Unterschied hinweg.

Lachkrampf der Verzweiflung

Es ist natürlich eine Freude, Christiane von Poelnitz bei der Deklamationsarbeit zuzuhören. Einer der Herren hat im Schutz des Halbdunkels sogar einen Lachkrampf der Verzweiflung. Der Text handelt zudem von solchen Asylwerbern, die glücklicher waren als die Kirchenbewohner: eine Jelzin-Tochter, oder Anna Netrebko. Und um auch letzte Zweifel auszuräumen, erscheint eine Sängerin im schwarz glänzenden Reifrock und singt wundermild die Händel-Arie Lascia ch'io pianga aus Rinaldo. "Es wird nicht geschehen. Es ist nicht. Wir sind gar nicht da", tönt es am Schluss. Und während der Chor der Erniedrigten in der Finsternis verstummt, sinnt man darüber nach, warum einen diese (freundlich akklamierte) Aufführung bis ins Herz kaltgelassen hat. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 30.3.2015)