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Die Walk-Free-Stiftung gegen Sklaverei schätzt, dass eine Viertelmillion Philippiner in sklavenähnlichen Verhältnissen lebt - viele davon im Ausland. Jobs in Krankenhäusern zählen da wohl noch zum besseren Los.

Foto: Reuters/RANOCO

Manila - Menschliche Arbeitskraft ist einer der wichtigsten Exportartikel der Philippinen. In Österreich wurden etwa in den 1970er Jahren Krankenschwestern auf Kosten der Stadt Wien eingeflogen. Das Inselreich exportiert Arbeiter und Arbeiterinnen seit 40 Jahren. Die Bevölkerung in dem armen katholischen Land explodierte ohne Aufklärung und Verhütungsmittel. Der Staat war überfordert, es fehlten dringend Jobs.

Umgekehrt sind die Philippiner auf die Überweisungen von Landsleuten aus aller Welt dringend angewiesen. Der Staat fördert den Export von Arbeitskräften, Forscher geißeln das als Versagen.

Die Aussprache des "ch" in Bauch ist eine Tortur für Philippiner. Beim Deutschkurs des Goethe-Instituts in Manila versuchen einige, mit "Er hat Bau-weh" davonzukommen, aber die Lehrerin lässt das nicht gelten. Rund 20 Krankenschwestern und Pfleger büffeln hier für die Deutschprüfung. Ein "ch" in Bauch ist für Pfleger wichtig, ebenso wie der Zungenbrecher "Stützstrümpfe".

Lorenzo Ancheta (26), Francis Verdadero (25) und Sheila Monte (35) wollen nach Deutschland. Der Pflegenotstand und ein Programm der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) machen es möglich. Es gibt in Manila eigens eine Behörde für Arbeiter in Übersee (POEA), die "Weltklasse-Migranten" vermitteln will, wie sie schreibt. Barmixer, Hausangestellte, Reinigungskräfte, Installateure, Rohrleger, Schweißer, Erntehelfer und Matrosen sind auch zu haben.

Menschen als Ware

"Was ist das für ein Staat, der sein eigenes Volk exportiert?" fragt Robyn Magalit Rodiguez, Dozentin für Asien-Amerika-Studien an der Universität von Kalifornien. "Er behandelt die Menschen wie Ware." Ein Staat, der für sein Volk keine anständige Lebensgrundlage schaffe, habe versagt.

Heute lebt jeder zehnte der 100 Millionen Philippiner im Ausland, schätzt die Kommission für Übersee-Philippiner. Die Migrantenbehörde geht davon aus, dass täglich mindestens 4.300 Menschen das Land verlassen. Der Export rechnet sich: Ihre Geldüberweisungen machen rund zehn Prozent der Wirtschaftsleistung aus.

Die Philippiner sind in aller Welt beliebt: fromm, Familienmenschen, gewissenhaft, sagen Personalchefs. Jeder kann Englisch. Das Land war Jahrhunderte erst spanische, dann US-amerikanische Kolonie und ist westlich geprägt. Geschätzt werden sie auch in der arabischen Welt und Asien: Eine Viertelmillion Philippiner arbeitet in Saudi-Arabien, 180.000 in den Vereinigten Arabischen Emiraten, 160.000 in Singapur.

"Die Migranten sind die Lebensretter unserer Wirtschaft", sagt Len Cabinig von der Organisation "Migrante", die zurückgebliebene Familien unterstützt. "Ohne ihre Überweisungen würden wir untergehen. Aber statt immer weiter Leute ins Ausland zu schicken, müsste der Staat die heimische Wirtschaft stärken, um hier Jobs zu schaffen."

Zerrissene Familien

Denn gesellschaftlich sind zerrissene Familien problematisch: Kinder wachsen bei Großeltern auf, manche Mutter sieht ihre Kinder nur alle zwei Jahre auf zweiwöchigem Heimatbesuch. "Wir haben viele Kinder von Migranten im Ausland hier, die Drogen nehmen, in Gesetzeskonflikte geraten oder als Teenager schwanger werden", sagt Cabinig.

Die Migranten selbst sind im Ausland oft in prekärer Lage. Regelmäßig machen Skandale mit misshandelten Hausangestellten Schlagzeilen. "Ausländer haben in vielen Ländern weniger Rechte. Das nutzen Arbeitgeber oft aus", sagt Rodriguez. Die Walk-Free-Stiftung gegen Sklaverei schätzt, dass eine Viertelmillion Philippiner in sklavenähnlichen Verhältnissen lebt - viele davon im Ausland.

Die Pfleger im Goethe-Institut kann das nicht schrecken. "Ich will meine Mutter unterstützen", sagt Ancheta. "Ich will neue Horizonte entdecken", meint Verdadero und Monte "will die Welt bereisen". Alle kennen andere, die vor ihnen in die Fremde gegangen sind. "Arbeiten in Deutschland ist wie ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist", hat eine Freundin Monte erzählt. Ihr deutsches Lieblingswort: genau. Präzise, und eine prima Antwort auf ganz viele Fragen, findet sie. (APA/red, derStandard.at, 30.3.2015)