Die grandiose Nina Stemme als neue Wiener Elektra.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wien - Mitunter sind derbe Buhchöre auch Hoffnung nährende Frühindikatoren. Sie weisen zwar schmerzhaft, aber doch darauf hin, dass eine Inszenierung "kultigen" Status erlangen dürfte, hat sich die kollektive Premierenpsyche einmal plärrend an ihr abreagiert. Womöglich haben Regiehände ja schwer verdauliche Werkwahrheiten freigesetzt.

Selbige Theorie gilt jedoch nicht immer und leider nur sehr selten für die Wiener Staatsoper. Es wurde Uwe Eric Laufenberg für seine Version von Strauss' Elektra zwar mit eher lauter Unfreundlichkeit bedacht. Der Produktion deshalb besondere Qualitäten zuzuschreiben gelingt allerdings beim besten Willen nicht. In einem - per Paternoster erreichbaren - Kohlekeller (mit beigewürzter grindiger Duschecke; Bühnenbild: Rolf und Marianne Glittenberg) herrscht ja der bescheidene Alltagsstil eines regional bedeutenden Stadttheaters.

Es muss natürlich immer Freude darüber aufkommen, wenn Elektra, dieses bis zum Zerreißen gespannte musikalische Nervensystem, mit seinen kontrapunktischen Modernezuckungen und vokalen Grenzgefühlen, so respektabel bewältigt wird wie hier. Und wer wie Nina Stemme (als Elektra) ihre Stimmsubstanz nahezu ungefährdet in den Dienst kultivierter Dramatik wie Hochtonlyrik stellt, dem verziehe man, hätte er den ganzen Abend nur sitzend absolviert. Was die Freude über den auch abseits von Stemme tragfähigen Musikteil trübt, ist dieses Verharren der Regie im Mindestdienst nach Vorschrift, der Figuren ungestaltet in plakativer Posenkonvention belässt.

Immerhin die glänzende Anna Larsson als Klytämnestra: Sie vermittelt differenziert eine hinfällige Person, der als Rollstuhlpflegefall Spritzen verabreicht werden. Ihre Annäherung an Tochter Elektra versprüht auch jene szenische Intimität, die entlang einer echten Interaktion zwischen den Charakteren entsteht.

Über die meisten Werkstrecken jedoch wirkt die Arbeit, als hätte Laufenberg sein Linzer Ring des Nibelungen fast alle Ideenkraft gekostet. Da hopst Chrysothemis (die intensiv singende Riccarda Merbeth ist kurzfristig für Anne Schwanewilms eingesprungen) hilflos und fast lächerlich als Unschuld durch die Kellergegend. Da wird die Begegnung zwischen Orest (gesanglich deftig, szenisch starr Falk Struckmann) und Elektra zum kleinen, fast versteckten Inzest, bei dem sie den Zweireiher gegen ein Kleid tauscht. Und fantasiert sich Elektra, diese Seelenwüste, in der nichts als Hass gedeiht, durch ihre Rachepläne, ist reichlich Axtschwingen angesagt. Wie vorhersehbar.

Ungerechte Buhs

Klar: Wie dann zum finalen Tanz etwas Licht in die Kellerbude dringt, wie alle nach Elektras gestischer Anleitung in Bewegung geraten, wirkt das nur noch, als käme die quasi angeforderte Regierettung schon zu spät. Der Eindruck einer düsteren Szeneversteinerung hat sich längst verfestigt, während der Paternoster noch zum Museum der abgeschlachteten Kreaturen wird. Langsam wirkt das Repertoirearchiv der Staatsoper übervoll mit dürftigen Produktionen.

Ein paar ungerechte Buhs gab es übrigens auch für Dirigent Mikko Franck. Nachdem Franz Welser-Möst seine Job aufgab, hat der junge Finne die heikle Sache übernommen. Und wenn er auch nicht alle Details in hochtransparenter Version lieferte, animierte er das Staatsopernorchester doch zupackend zu tragfähig spannender Stilistik. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 31.3.2015)