Zürich - Zürcher Forscher haben aus Pflanzenzellen das empfindlichste Thermometer der Welt konstruiert. Es erkennt die Wärme einer Hand schon aus Dutzenden Zentimetern Distanz. "Cyberholz" nennen die Forscher das Material, das ein Hybrid aus Tabakzellen und synthetischem Material ist.

"Unser Sensor reagiert mindestens hundertmal stärker als die besten existierenden Sensoren", wird der Mitentwickler Raffaele Di Giacomo, Postdoktorand an der ETH Zürich, in einer Mitteilung der Hochschule zitiert. Der elektronische Sensor ändert seine Leitfähigkeit in Abhängigkeit von der Temperatur.

Von der Natur zur Technik

Pflanzen haben die außerordentliche Fähigkeit, schon sehr geringe Temperaturunterschiede zu erkennen und darauf mit Änderungen in der Leitfähigkeit ihrer Zellen zu reagieren, schreibt die ETH. Diese Fähigkeit wollte das Team um Chiara Daraio in ein lebloses, trockenes Material überführen, das temperaturempfindlich bleibt.

Also ließ Di Giacomo winzige Nanoröhrchen aus Kohlenstoff in die Zellen von Tabakpflanzen wachsen. Diese elektrisch leitenden "Carbon Nanotubes" bildeten ein Netzwerk um und in den Zellen. Der Forscher trocknete die Mischung und erhielt ein festes, holzähnliches Material, das er "Cyberholz" taufte.

Wegen den Nanotubes ist es elektrisch leitend, und zwar ähnlich empfindlich und abhängig von der Temperatur wie lebende Tabakzellen, wie die Wissenschafter im Fachjournal "PNAS" vom Montag berichten. Die Leitfähigkeit des Sensors hängt direkt von der Distanz zum warmen Objekt ab.

Patent bereits angemeldet

Schlüsselmolekül ist ein Zuckerstoff in der Pflanzenzelle, das Pektin. Es kann sich zu einem Gel vernetzen, wobei der Prozess temperaturabhängig ist. In diesem Gel befinden sich auch Kalzium- und Magnesium-Ionen. Mit steigender Temperatur wird das Gel weicher und die Ionen können sich freier bewegen. Als Folge leitet das Material Strom besser.

Die Forscher haben den Sensor zum Patent angemeldet. Sie möchten ihn ganz ohne Pflanzenzellen, nur mit Pektin und Ionen weiterentwickeln. Anwendungen sehen sie viele: Denkbar wäre etwa ein "berührungsloser Touchscreen", der sich über Gesten steuern ließe, die über Temperatursensoren erfasst würden. Ebenfalls möglich wären kostengünstige Wärmebildkameras oder Nachtsichtgeräte. (APA, derStandard.at, 31.3. 2015)