Das Präriegras raschelt bei jedem Schritt durch die karge Landschaft. Das Auge meint in Schottland zu sein, aber der restliche Körper weiß es besser: Er schwitzt schon bei der geringsten Bewegung. Mit ihrer subtropischen Lage hat die Osterinsel ein mildes Klima, doch die Luftfeuchtigkeit macht einem zu schaffen. Es gibt nur wenig Süßwasser, kein einziges Bächlein fließt hier. In dem porösen Vulkanboden versickert schnell jeder Niederschlag.

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Abgenabelt vom Rest der Welt liegt Hanga Roa, die einzige größere Siedlung im Südwesten des Eilands.

Die 163 Quadratkilometer große Insel besteht aus drei Vulkanen, die ihr die markante dreieckige Form verleihen. Sie haben sich zu verschiedenen Zeiten dicht nebeneinander aus dem Meer erhoben. Die Linienmaschine aus Chile braucht für den Flug zu diesem Dreieck fast fünf Stunden. Die nächsten Nachbarn im Westen leben 2.200 Kilometer entfernt auf den Pitcairninseln. Rapa Nui, entferntes Land, heißt die Osterinsel bei ihren Bewohnern. Oder auch Te Pito O Te Henua - Nabel der Welt.

Die Stimme der Osterinsel

Abgenabelt vom Rest der Welt liegt Hanga Roa, die einzige größere Siedlung im Südwesten des Eilands. In dem kleinen Dörfchen leben 4.000 Menschen, ihre Häuser stehen am Ortsrand, die meisten zusammengenagelt aus Pressspanplatten und Wellblech. Immerhin: Radio Manukena sendet aus einem gemauerten Bungalow. Drei Personen arbeiten für den Lokalsender. Das Studio wirkt improvisiert und etwas heruntergekommen.

Dafür ist Radio Manukena täglich von 8 bis 22 Uhr on air. Gesendet wird auf Spanisch und Rapanui, erzählt Catalina Tuki. Sie ist die Stimme der Osterinsel: Moderatorin, Redakteurin, Cutterin und "Seelenpostkasten" in einer Person. Nachrichten liest sie mit energischer Stimme, Grußbotschaften schickt sie mit Temperament und Wärme in den Äther. Dazwischen läuft polynesische Musik, fröhlicher Ukulelen-Sound. Musik sei wichtiger als das Wort, sagt Catalina Tuki. Auf der Insel läuft überall Radio Manukena: im Auto, in der Bar, im Supermarkt, in der einzigen Bank der Insel, in jedem Haushalt.

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Die Moderatorin ist sichtlich stolz, als sie erzählt, wie wichtig das Lokalradio für die Rapanui sei. Mitten im Satz klingelt im Regieraum das Telefon. Ein junger Mann ist in der Leitung und erzählt ihr, seine Mutter habe heute Geburtstag. Er möchte sie grüßen und ihr gratulieren. Tuki notiert alles, dann geht sie auf Sendung, und schon weiß jeder auf der Osterinsel, wo heute Abend die Feier stattfinden wird. Nachbarschaftsradio - unterstützt von der Unesco und von Radio Niederlande.

Ostersonntagssichtung

Die meisten Reisenden kommen aber nicht wegen der lebendigen Feste, sondern um die stummen Statuen aus Stein, die Moai, zu sehen. Die riesigen Köpfe ohne Unterleib versetzen Menschen auf der ganzen Welt in Erstaunen, seit Jacob Roggeveen das Eiland betrat. Der niederländische Kapitän war 1722 im Auftrag der westindischen Handelsgesellschaft mit drei großen Segelschiffen unterwegs, als er an einem 5. April und Ostersonntag Land sichtete. Er nannte es nach dem Tag der Entdeckung die Osterinsel.

Nach ihm kamen Weltumsegler, Missionare, Sklavenhändler - und Wissenschafter wie Claudio Cristino. Seit über 30 Jahren lebt und arbeitet der Archäologe auf der Osterinsel. "Man muss sich das einmal vor Augen führen", sagt der Chilene, "eine kleine Gruppe von Menschen war in der Lage, auf dieser Insel eine großartige Kultur zu entwickeln - inmitten des Pazifiks, im Nichts, total isoliert von der Außenwelt." Cristinos Forschungen haben dazu beigetragen, so manches Rätsel der Osterinsel zu lösen.

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15 Moai an der Südküste: Bis zu neun Meter hoch ragen die Statuen auf. Mehr als 600 sind über die ganze Insel verteilt.

An der Südküste, wo sich die Tongariki-Plattform befindet, steht eine Gruppe von 15 Moai. Inselbewohner haben sie mit Cristino vor einigen Jahren wieder aufgerichtet und restauriert. Bis zu neun Meter hoch ragen die Statuen auf. Mehr als 600 sind über die ganze Insel verteilt. Der größte der Giganten wiegt rund 270 Tonnen. Zählt man auch die nicht fertiggestellten Moai hinzu, die noch im Steinbruch von Raru Ranaku liegen - dort, wo sie aus dem porösen Vulkangestein gehauen wurden -, dann sind es an die 1.000.

Ähnlicher Gesichtsausdruck

Jeder dieser Steinkolosse besteht zur Hälfte aus einem Gesicht mit tiefen Augenhöhlen, schmalem Mund, gewölbter Stirnpartie und spitzer Nase. Und alle haben einen sehr ähnlichen Gesichtsausdruck, betont Cristino: "Wenn Sie sich anschauen, wie die Statuen sich im Laufe der Zeit verändert haben, dann werden Sie einen Trend bemerken. Zuerst gab es naturalistische, menschengroße Figuren. Im Laufe der Zeit veränderten sich die Proportionen, und die Figuren bekamen länglichere Formen. Es scheint so, dass mit der Bedeutung der Moai ihre Größe stetig zunahm."

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Bis heute rätseln die Wissenschafter allerdings, was die Vorfahren der heutigen Rapanui dazu veranlasst haben mochte, die Moai umzuwerfen.

Aufgestellt wurden die Steinköpfe an den sogenannten Ahu: offenen, rechteckigen Tempelanlagen, aufgeschichtet aus Geröll, zusammengehalten durch Stützmauern aus grauem Basalt. Manche Ahu sind bis zu 150 Meter breit, und das verwendete Gestein wiegt bis zu 9.000 Tonnen. Insofern stellen die Tempelanlagen die Statuen bei weitem in den Schatten.

"Wir fanden fantastische Straßen entlang der Küstenlinie. Jeder heutige Straßenbauingenieur wird Ihnen bestätigen, dass dies außergewöhnliches Wissen voraussetzt", sagt Cristino. Bis heute rätseln die Wissenschafter allerdings, was die Vorfahren der heutigen Rapanui dazu veranlasst haben mochte, die Moai umzuwerfen. Als Jacob Roggeveen die Osterinsel als erster Europäer betrat, standen die Moai noch. 50 Jahre später, als der Engländer James Cook 1774 auf seiner zweiten Südsee-Expedition Rapa Nui besuchte, lagen sie auf dem Boden.

Viel Holz zur Blütezeit

Nahrungsknappheit durch Überbevölkerung und Umweltzerstörung lautet eine aktuelle wissenschaftliche Erklärung dafür, dass die alte Kultur der Osterinsel unterging - allerdings nicht in einem plötzlichen gesellschaftlichen Crash wie früher angenommen. Nach heutigen Schätzungen lebten auf der Insel zu ihrer Blütezeit im 16. Jahrhundert bis zu 25.000 Menschen. Wissenschafter haben zudem nachgewiesen, dass die Insel einst von Wäldern bedeckt war. Sie wurden abgeholzt, um die Statuen zu transportieren, um Kanus und Häuser zu bauen und um die Toten zu verbrennen.

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Es gibt auch schöne Strände auf der Osterinsel.

Der Biologe Jorge Alejandro Emunds arbeitet für die chilenische Forstbehörde Conaf und kümmert sich seit 2004 um die Aufforstung der Insel. 40.000 kleine Bäumchen in schwarzen Plastiksäcken warten auf einen neuen Standort. Sie werden es nicht leicht haben, denn der Boden ist karg und die starken Winde tragen die Mineralien fort, die die Bäumchen zum Überleben so dringend brauchen. Ohne Kunstdünger funktioniere hier gar nichts, sagt Edmunds, aber der koste Geld, das gerade gestrichen wurde. So ist die Erosion heute der größte natürliche Feind der Insel.

100.000 Bäume gepflanzt

Seit langem mache man sich Gedanken, wie der Schaden zu begrenzen sei, den Wind und Wellen dem Land zufügen. Zunächst gab es einen Versuch, auf drei Hektar Fläche verschiedene Bäume anzupflanzen. Mit Aito-Baum erzielte man die größten Erfolge, das Projekt wurde verlängert. Seit 2006 gibt es überdies ein Aufforstungsprogramm auf der südwestlichen Inselspitze, in Poike. Unterstützt wird das Vorhaben durch die chilenische, vor allem aber durch die französische Regierung. Deren Gelder standen jedoch nur bis Ende 2012 zur Verfügung.

Immerhin habe man bis dato rund 100.000 Bäume gepflanzt, sagt Edmunds, und diejenigen, die gut gedeihen, werden in sechs Jahren stolze fünf bis sechs Meter gewachsen sein. Viele von ihnen kapitulieren aber vor den meteorologischen Bedingungen. Auf der Osterinsel gibt es immer starken Wind, intensive Sonneneinstrahlung - und die salzige Gischt. Die nagt nicht nur an den alten Gesichtern der Moai, sondern auch an jungen Bäumen. (Michael Marek & Saskia Guntermann, Rondo, DER STANDARD, 3.4.2015)