Einen dringlichen, fast schon emotionalen Appell gab am Mittwoch die chinesische Delegation heraus, nachdem Außenminister Wang Yi die Verhandlungen in Lausanne verlassen hatte. Politische Führungsstärke sei angesagt, Kompromisse beider Seiten und Kreativität wie eine Phasierung des Abkommens und eine All-inclusive-Lösung für die offenen Fragen.

Wang verlangte eine "Rolle für den Uno-Sicherheitsrat": China und Russland sind ja bei den Atomverhandlungen in ihrer Funktion als Teil der P5 (permanente Ratsmitglieder) dabei. Wie Teheran waren sie gegen einen sogenannten "Snapback"-Mechanismus, den besonders Frankreich forderte: Iran-Resolutionen, die bei einer Einigung aufgehoben werden, könnten bei iranischen Verletzungen wieder automatisch in Kraft treten - und mit ihnen die Sanktionen -, ohne dass eine neue Resolution nötig ist. Moskau und Peking sehen dies als Versuch, sie ihres Vetorechts zu berauben.

Dennoch wurde die Rolle Russlands und Chinas bei den Verhandlungen allgemein als konstruktiv eingeschätzt. Russland hat ja eine besondere Beziehung zum Iran und zu dessen Atomprogramm: Moskau und Teheran ziehen bei der Syrien-Politik an einem Strang, der (schon vor der islamischen Revolution 1979 geplante) Atomreaktor Bushehr wurde von den Russen gebaut - und Russland liefert auch den Brennstoff dafür, zu hohen Preisen. Das heißt auch, dass Russland ein Geschäft verliert, wenn der Iran einmal, in Frieden mit der internationalen Gemeinschaft, den nuklearen Brennstoff für den eigenen Bedarf produzieren wird.

Nukleare Nichtverbreitung

Kombiniert mit dem Antagonismus zu den US-Interessen im Nahen Osten und dem schwierigen Verhältnis zum Westen wegen der Ukraine-Krise gab es Zweifel, ob Moskau bei den Verhandlungen nicht quertreiben könnte. Aber Russland und auch China, wie auch die USA, Großbritannien und Frankreich offizielle Atomwaffenstaaten, teilen das Nichtverbreitungsanliegen der anderen. Nicht, dass man in Russland und China, so wie das im Westen kommuniziert wird, den Iran unbedingt als Staat sieht, der nur darauf wartet, Atomwaffen zu produzieren. Aber ein Scheitern der Verhandlungen und etwaige Reaktionen darauf könnten letztlich dazu führen, dass der Iran aus dem Atomwaffensperrvertrag austritt - mit allen möglichen Konsequenzen in der Region, in der sich der Iran und Saudi-Arabien bereits in mehreren Konflikten gegenüberstehen.

Sowohl Russland als auch China mögen zwar zeitweise mit einem gewissen Genuss das Scheitern der US-Nahostpolitik verfolgen: An einem noch ärger destabilisierten Nahen Osten haben sie aber kein Interesse.

In einem Artikel für Carnegie-Tsinghua, der chinesischen Filiale des Washingtoner Thinktanks Carnegie Endowment for Peace, macht Tong Zhao auf die starken wirtschaftlichen Interessen Chinas im Iran und im Nahen Osten aufmerksam. Iran ist der drittgrößte Öllieferant Chinas, und von den Iran-Sanktionen sind viele im Iran engagierte Firmen betroffen.

Tong schreibt, dass der Erfolg des chinesischen Entwicklungsprogramms stark von einem stabilen Westasien abhängt. Anders als früher sei China heute bereit, sich auch in sicherheitspolitischen Fragen außerhalb seines unmittelbaren Einflussbereichs zu engagieren. Mit dem wachsenden geopolitischen Einfluss Chinas wachse auch die Fähigkeit Pekings, vermittelnd einzugreifen.

Neue Regeln und Normen

Nicht nur für Russland und China ist ein weiterer Aspekt interessant: Ein Atomdeal könnte mittelfristig neue Normen und Regeln und Überwachungsmechanismen dafür schaffen, wie auch in anderen Fällen sichergestellt werden kann, dass ein als zivil deklariertes Atomprogramm auch so bleibt. China etwa hat mit Japan bereits einen potenten Atomstaat vor seiner Haustür, aber auch Vietnam hat ein ehrgeiziges Atomprogramm; und die Philippinen werden ebenfalls oft als möglicher nuklearer Kandidat genannt. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 2.4.2015)