Eine Idee hatte der sonst recht fidele Herr Ober aus Mailand* recht fix: Man glaubt nicht, wie viele Leute ein spanisches Lokal aufmachen wollen - und zum Spionieren in seines kommen!

Stimmt: Das glaub' ich wirklich nicht. Jedenfalls glaube ich nicht an die vom Ober angedeuteten Scharen. Aber: Ignacio in 1010 ist wochentagabends schon recht gut besucht, und wir sind nicht die einzigen, die sich, einander und das Essen fotografieren (und lassen).

Und ich verstehe gewisse Verdachtsmomente, selbst in Zeiten langsam abebbenden Foodfotowahns. Nur: Kann einer, der sein Essen im (möglichst) rechten Licht fotografieren möchte, 2015 noch großen Verdacht erregen? Beim Spanier (und Basken) womöglich schon, woher auch immer er (oder sie) kommt.

Was für Spionage spricht:

Zur Foto-Dokumentation kam der Ruck-Zuck-Stil einer überfallsartigen Kommandoaktion - immerhin angekündigt, man spricht hier wohl von Reservierung, aber auch das war womöglich Teil einer größeren Strategie:

  1. Terrain vorausschauend absichern.
  2. Perfekt zeitgleich im eingespielten Dreierteam einfallen.
  3. Mit dem Einstieg(sgetränk) schon die Karte fix rauf- und runterbestellen - alles gern gleich!
  4. Fotografieren, um nicht zu sagen: schießen!, was das Zeug hält.
  5. Alle materiellen Beweise bis hin zu den Olivenölvorräten vernichten (fürs goldige Flüssigfett haben wir einen Special Agent).
  6. So rasch, wie es die Aufgabe erlaubt, und möglichst ohne Verlust von Einsatzkräften: ab nach Hause!
  7. Natürlich nicht, ohne es den Besuchten heimgezahlt zu haben (in diesem Fall, spricht gegen Spionage: mit der Kreditkarte).

All das kann einem natürlich ein bisserl militärisch-spionagig vorkommen. Man könnte aber auch von familiär bedingtem Zeitdruck ausgehen. Und vom Chronisten-Gefühl, das zu Verputzende auch bildlich zu dokumentieren. Auch wenn all das, der Kalauer darf nicht fehlen, manch' Wirt und Wirtspersonal ein bisserl spanisch vorkommt.

Neue Karten, bitte!

Aus *Mailand kömmt Herr Ober, wenn ich sein fröhliches Verständnis richtig verstand, als ich Verdejo falsch mit Verdicchio beantwortete. Aber da hatte ich schon begonnen, die Karte abzufotografieren, und also diente mir Verdicchio womöglich nur zur Tarnung. Aber die Abwehr schlief nicht: Nächsten Donnerstag wechseln wir die Karte!

Endlich Essen!

Schade eigentlich, jedenfalls über weite Strecken. Aber sehen Sie (endlich!) selbst:

Artischocke zum Einstieg - das wär's jetzt, mehr gibt's nicht, scherzt der Herr Ober im Ignacio. Wir aber hatten schon in die Karte gespäht.

Foto: Harald Fidler

Da haben wir einmal alles, sagte unsere Fachkraft für Fettes in allen Erscheinungsformen, und also war's beim "gemischten Teller" vulgo "Ibéricos". Natürlich nicht alles aber schon recht viel und erfreulich: rauchiger Käse (gute Käse haben keine Namen, keine spanische Weisheit), Jamón, Salchichón und Chorizo, erfreulich unbeweint.

Foto: Harald Fidler

Der Experte fürs Fettige sprang umgehend an auf das Reizwort Foie Gras, hier in Gestalt von "Foie Gras Mi Cuit mit Trüffel und Brandy".

Ich hätt mir ja als alter Dessert-Aficionado unter Mi Cuit doch was Flüssigeres vorgestellt als recht fest-kühle Leber, aber was weiß ich schon.

Der Mann des Fettes und des Öles verwies mehrfach und überraschend - ein bisschen fragend - auf Kumquats am Rande. Womöglich wollte er uns Mitesser nur von seiner Leber ablenken.

Foto: Harald Fidler

Das Ablenken von der eigenen Leber freilich tat hier keine dringende Not: Dieselbe Leber, oder jedenfalls eine ihrer sehr nahen Verwandten, ruhte auf schmackhaft eingetopften Linsen und Steinpilzen.

Ich mochte den Eintopf und nahm die mit ihm zart erwärmte Leber gern in Kauf.

Foto: Harald Fidler

Optisch: mein Liebling, in schlüssig-knochigem Gebinde.

Physikalisch (man kann gern auch von Textur sprechen, von Haptik oder vergleichbaren Disziplinen): 1a - cremissimo. Falls Eskimo das Wort nicht strengstens geschützt hat.

Geschmacklich: ein bisserl schwarz übertrüffelt - aber, wieder einmal ein eher weit gehendes Lieblingswort in dieser kleinen, dreckigen Fresskolumne: sehr geil.

Entonces: Wir schreiben hier von "Rinderknochenmark bei Niedrigtemperatur", was möchte man sich Cremigeres vorstellen (höchstens Ochsenknochenmarkerdäpfelpüree)?

Foto: Harald Fidler

Die kulinarische Weiterverarbeitung der meist an sich schon recht fertig wirkenden Chorizo erschien mir zuletzt ja etwas suspekt.

Hier geht man doch etwas schlüssiger heran an die scharfe Wurst: oben drauf - höchstens halb gares - Ei, als Basis sehr kräftiges, aber auch weinlos keineswegs trockenes Gröstl aus Weißbrot, Chorizo und Paprika.

Oder, wie die Speisekarte sagt: Migas mit Ei 65°.

Foto: Harald Fidler

"Seeigel Kaviar" steht auf der Karte, Seeigel Kaviar steht auf der Rechnung (immerhin 19,00, das teuerste essbare Stück unserer Kommandoaktion). Aber...

... mir Universaldilettanten scheint: Die wirklich großen Kügelchen sind doch eher nicht dem fiesen Schwarzstachler zuzuordnen, oder?

Viel eher schon das gelbe Breichen (sprich: Brei-chen) darunter: ein bisschen salzig, mehr als ein bisschen jodig (jö!) und ein bisschen oder mehr noch bitter.

Zeit einzuwenden: Der recht dominante Paradeispaprikagurkenessigundölpolster unter dem Seeigelgelb stach mir ein bisschen zu stark hervor.

Aber: Wenn Paprika und Paradeis und Essig und Gurke sich langsam, langsam verabschieden... dann kommt er hervor, der jodige Fiesling - und hält sich lang, fast so lang wie seine raue Schale in der Fußsohle.

Foto: Harald Fidler

Obersig, sage ich, so dilettantisch wie oft. Und was sagt der bisher völlig ungenannte dritte Mann in unserem Team? Bechamelig, sagt der dritte Mann. Und er hat den Pulpo a Feira immerhin bestellt.

Kurzum: Man lernt den Oktopus schon zu lieben, wenn man sich nur durchs Obers gründlich einarbeitet.

Foto: Harald Fidler

Trotz schwerer Prüfungen davor: Ein wirklich großer Gang fehlt noch.

Er trägt den schmucken Titel: "Ei Trüffel Kartoffel Blutwurst" und schlägt zuallererst mit großer Erdäpfelwucht zu. So fett, so dicht, so wuchtig, so gut. Man hätt glatt die Blunze überdenken können, die schon ein bisschen penetrant wiederholte Trüffelei ohnehin, das Ei lieber nicht.

Erdapfel Ei Blut Öl, so hieße mein Vorschlag.

Foto: Harald Fidler

Hier misch ich mich nun wirklich nicht ein. SWAT-Kollege 1 wie 2 sagen: sehr gut. Ich finde: eh.

Wir sprechen von: "Brot und Schokolade"

Ich frage mich auch hier: Wozu Schokolade?

Foto: Harald Fidler

Und das nächste Mal, wenn wir Spione tatsächlich noch einmal eingelassen werden in der Wiener Salztorgasse 7, dann probieren wir, wofür Ignacio nicht allein auf diesem kleinen Fressportal vielfach gepriesen ward - alten Dosenfisch, wenn man's dilettantisch zusammenfassen möchte. Wie ich. (Harald Fidler, derStandard.at, 14.4.2015)

3x3 Gänge, ordentlich Wein: 184,50 Euro bei Ignacio.

Foto: Harald Fidler