Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht erst seit der Resolution des EU-Parlaments zum Völkermord an den Armeniern ist im Verhältnis zwischen EU und Türkei einiges zurechtzurücken. Ankaras Reaktion war aber ungewöhnlich scharf.

Foto: Reuters / FRANCOIS LENOIR

Brüssel/Ankara/Wien – Auch für jene, die mit dem sonst oft harten Ton der türkischen Diplomatie vertraut sind, waren es besonders kräftige Worte, die das Außenministerium in Ankara in der Nacht zum Donnerstag für das EU-Parlament fand. Man könne die Reso lution, die die Volksvertretung der Union nur wenige Stunden zuvor mit großer Mehrheit angenommen hatte, nicht ernst nehmen, heißt es in der in einem sarkastischen Tonfall gehaltenen Aussendung. Sie würde sowohl die Geschichte als auch das Gesetz verstümmeln.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass das Parlament die Türkei dazu auffordert, das Vorgehen des Osmanischen Reiches gegen die Armenier von 1915 bis 1917 als Völkermord anzuerkennen. Damals wurden nach Einschätzung von Historikern rund 1,5 Millionen Mitglieder der armenischen Minderheit von Vertretern des Osmanischen Staats ermordet.

Schon 1987 hatte das Europaparlament die Verbrechen als Völkermord bezeichnet. In späteren Resolutionen wurde die Türkei zur Anerkennung der Taten als Genozid aufgefordert – eine Haltung, die Ankara am Donnerstag mit dem Verweis auf die Wahl beteiligung von nur 42 Prozent bei den EU-Wahlen 2014 erneut ablehnte.

Ein Symbolakt trifft sein Ziel

Doch der symbolische Akt des Parlaments, der mit der großen Mehrheit von 554 zu 13 Stimmen bei 44 Enthaltungen angenommen wurde, trifft Ankara im Vorfeld des offiziellen armenischen Gedenkens an den 100. Jahrestag am Freitag nächster Woche offenbar besonders hart.

Das Thema ist für Ankara auch deshalb sensibel, weil zahlreiche spätere Führungsfiguren der jungen türkischen Republik an den Verbrechen beteiligt waren. Die Türkei widerspricht vehement Darstellungen, denen zufolge man von einem Völkermord sprechen könne. Sie verweist darauf, dass es im Ersten Weltkrieg zahlreiche Opfer gegeben habe, darunter viele muslimische Türken. Auch nennt Ankara deutlich niedrigere Opferzahlen. Historiker, nicht Politiker, sollten sich mit dem Geschehen befassen, sagte jüngst Staatspräsident Tayyip Erdogan.

Diese sind sich in ihrer Einschätzung allerdings in großer Mehrheit einig. Zudem verweisen viele darauf, dass Erdogans Wunsch nach historischer Aufarbeitung auch dadurch erschwert wird, dass der türkische Staat wichtige Akten noch immer unter Verschluss hält.

"Irrelevant"

Schon im Vorfeld der Abstimmung hatte sich Staatspräsident Tayyip Erdogan zum vorherseh baren Ergebnis geäußert und das Votum als "irrelevant" bezeichnet. Die Türkei könne keine solche Sünde eingestehen, die Resolution werde daher in Ankara "beim einen Ohr hinein- und beim anderen wieder hinausgehen".

Tatsächlich nahmen türkische Medien am Donnerstag zunächst eher wenig Notiz vom neuen Streit zwischen Ankara und Brüssel. Die regierungsnahe Yeni Şafak verwies mit der Überschrift "Entscheidung aus dem EU-Parlament, die nur belächelt werden kann" lediglich auf einen kurzen Artikel. Die islamisch-konservative Zeitung "Zaman" zitierte ausschließlich die Stellungnahme des türkischen Außenministeriums. Linksorientierte Blätter berichteten eher nüchtern von der Resolution, die sie, anders als die Äußerungen des Ministeriums, teilweise zitieren.

Österreich will nachziehen

Allerdings versucht die AKP die Kritik von außen im Wahlkampf für das Parlamentsvotum im kommenden Juni zu nützen. Schon nachdem Papst Franziskus vor einigen Tagen von Völkermord gesprochen hatte, "warnte" Erdogan ihn davor "diesen Fehler noch einmal zu begehen". Premier Davutoglu hatte dem Papst vorgeworfen, auf diese Art den "Rassismus in Europa" zu fördern.

Neben dem EU-Parlament haben 20 EU-Mitgliedsstaaten die Verbrechen an den Armeniern als Völkermord definiert, in Frankreich steht die Leugnung sogar unter Strafe. Österreich, das bisher nicht zu diesen Staaten zählt, will in der kommenden Woche nachziehen. (Manuel Escher, Tugba Ayaz, DER STANDARD, 16.4.2015)