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"Südafrika muss permanent an sich arbeiten, sich weiterentwickeln, das ist das Vermächtnis von Nelson Mandela. Aber die Wunden aus der Vergangenheit sind tief": Pretty Yende.

Foto: APA / Roland Schlager

STANDARD: Sie wurden 1985 geboren, in der Zeit der Apartheid. Wie haben Sie diese in Ihrer Kindheit erlebt?

Pretty Yende: Bevor wir nach Piet Retief gezogen sind, bin in einer abgelegenen Gegend aufgewachsen, in der es kein Fernsehen gab. Ich war mir in meiner Kindheit nicht bewusst, dass Schwarze und Weiße nicht gemeinsam in die Schule gehen. Ich wusste nicht, dass es Apartheid gibt! Meine Eltern haben mir beigebracht, dass alle Menschen gleich sind. Ich bin froh, dass ich so aufgewachsen bin, denn durch diese geschützte Kindheit habe ich auch keine Wunden aus dieser Zeit.

STANDARD: Als die Apartheid für beendet erklärt wurde, waren sie neun Jahre alt. Wie haben Sie die Ereignisse erlebt?

Yende: Ich erinnere mich, dass ich ferngeschaut habe, aber nicht begriffen habe, was da passiert. Ich habe mich gewundert, warum alle so fröhlich sind! Erst später, als ich auf eine spezielle Schule gehen wollte, haben meine Eltern mir erklärt, dass es eine Schule für Weiße und Schwarze ist und wie die Dinge in Südafrika so sind. Aber das war schon nach 1994.

STANDARD: Nelson Mandela wurde 1994 Präsident, davor war er 27 Jahre inhaftiert. Aber als er freigelassen wurde, hat er nie Gefühle von Hass oder Rache transportiert. War er durch seine Offenheit, sein Verzeihen der ideale Brückenbauer zwischen der schwarzen und der weißen Bevölkerung?

Yende: Ja. Und die Einstellung von Mandela haben auch meine Eltern geteilt. Mittlerweile sprechen sie zwar mit mir auch über ihre negativen Erlebnisse von früher. Aber man soll nicht zu lange daran denken, man soll sich auf das Gute konzentrieren. Und das ist genau das, was Mandela Südafrika und der ganzen Welt gelehrt hat.

STANDARD: Können sich an seine Angelobung erinnern?

Yende: Nein, eigentlich nicht ... Ich war so jung damals! Aber an seinen Tod kann ich mich erinnern: Ich war damals in Mailand. Ich kenne ein Mitglied der Familie Mandelas, und so wusste ich, dass er gestorben ist, bevor es in den Medien war. Die Welt ist für mich stillgestanden. Ich wusste, dass ich ihm das alles zu verdanken habe: dass ich so viel lernen durfte, dass ich ins Ausland konnte. Und dass ich jetzt in jedem Opernhaus dieser Welt stehen und mich dabei stolz fühlen kann. Ich habe dann in Südafrika bei einer Trauerfeier für ihn gesungen.

STANDARD: Wie ist die Situation in Südafrika heute? Sind die Spannungen zwischen Weißen und Schwarzen stark?

Yende: Grundsätzlich: Die schlechten Zeiten für die schwarze Bevölkerung haben Jahrhunderte angedauert, und die guten sind noch nicht so lange da. Es wird Zeit brauchen, bis sich die Verhältnisse der Weißen und Schwarzen angeglichen haben. Aber es wird besser. Südafrika muss permanent an sich arbeiten, muss sich weiterentwickeln, das ist das Vermächtnis von Nelson Mandela. Aber die Wunden aus der Vergangenheit verschwinden nicht von selbst, denn sie sind tief.

STANDARD: Zum Konzert: Arbeiten Sie zum ersten Mal mit Johan Botha zusammen?

Yende: Ja. Ich habe ihn natürlich als Künstler gekannt, er ist eine Legende in Südafrika. Getroffen habe ich ihn nur einmal an der Scala, vor drei Jahren. Wir haben in der Oper ein unterschiedliches Repertoire, und es ist aufregend, mit ihm zusammen auf einer Bühne zu stehen. Wir haben ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt: Ich singe einige Belcanto-Arien, zusammen singen wir aber auch Mimì-Rodolfo-Szenen aus La Bohème. Und da wir in Wien sind, singen wir auch Operette. Ich freue mich schon sehr! (Stefan Ender, DER STANDARD, 18./19.4.2015)