TTIP macht mobil. Die vier Buchstaben, die für Transatlantic Trade and Investment Partnership stehen, sind für die einen das Synonym für Aushöhlung erreichter sozialer und ökologischer Standards, für Hormonrinder und Chlorhühner, für die anderen sind sie die Verheißung von mehr Wachstum und einfacheren Handelsbeziehungen. TTIP ist zu einer Art Glaubenskrieg geworden.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass in Zeiten der Globalisierung eine Vereinheitlichung von technischen Normen oder eine wechselseitige Anerkennung von Standards wie bei Autoblinkern zwischen der EU und den USA versucht wird. Heikel wird es, wenn es um Lebensmittel und medizinische Produkte geht. Problematisch ist jedoch der Investorenschutz. Dass Schiedsgerichte die normale Gerichtsbarkeit aushebeln können, gefährdet die Demokratie. Das wäre das festgeschriebene Primat der Wirtschaft über Politik und Judikatur.

Es reicht nicht, wie im bereits ausverhandelten Vertrag der EU mit Kanada, Ceta, klarere Regeln für Sonderklagsrechte auszuarbeiten, wann also ein Investor einen Staat klagen kann. Es gibt auch dort keine Möglichkeit für ein Berufungsverfahren. Auch das von amerikanischer Seite gerne verwendete Argument, derzeit würden mehr Europäer in den USA klagen als umgekehrt, ist nicht überzeugend.

Sogar der Ex-Chef der Welthandelsorganisation (WTO), Pascal Lamy, sieht gar keinen Grund, Schiedsverfahren in den Vertrag aufzunehmen. Lamy, der normalerweise nicht als Kronzeuge für Globalisierungskritiker taugt, sagte in einem STANDARD-Interview: "Das ist nicht notwendig." Schiedsverfahren seien dann sinnvoll, wenn man dem Justizsystem nicht trauen könne, was in den USA und Europa nicht der Fall sei.

Schiedsgerichte sind Teil des Verhandlungsmandats, das die EU-Länder der Kommission erteilt haben. Österreich hat selbst Investorenschutzabkommen mit 62 Ländern und ist bekanntlich Teil der EU. Bundeskanzler Werner Faymann hat dem Mandat zugestimmt. Beim Gipfel im März hieß es in der Abschlusserklärung: "Die Mitgliedsstaaten und die Kommission sollten ihre Bemühungen steigern, die Vorteile des Abkommens zu kommunizieren, und den Dialog mit der Zivilgesellschaft verstärken."

Nur, wer macht das in Österreich? Faymann bringt zwar in Brüssel kritische Anmerkungen vor, stimmt aber doch der Verpflichtung zu, Werbung für TTIP zu machen. Zu Hause präsentiert er sich als absoluter Gegner. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sieht die Vorteile für die Wirtschaft, tritt angesichts der weitgehend negativen öffentlichen Meinung aber nicht engagiert dafür ein. Eine sachliche Auseinandersetzung auf Basis von Argumenten ist kaum möglich, weil neben der Kronen Zeitung auch einige NGOs dieses Thema für Kampagnisierungen und Stimmungsmache nutzen.

Kommission und EU-Länder sind an der Situation mitschuldig. Warum diese Geheimniskrämerei, warum ist das Verhandlungsmandat nicht von Anfang an veröffentlicht worden? Warum dürfen EU-Abgeordnete nur in einem Hochsicherheitsraum Einsicht in Akten nehmen? Warum kann man die divergierenden Verhandlungsstandpunkte nicht transparent offenlegen? Offen ist auch noch, ob die Parlamente aller 28 EU-Staaten zustimmen müssen. So, wie die Verhandlungen derzeit geführt werden, verfestigen sich das Misstrauen und der Eindruck: Der Wirtschaft wird alles untergeordnet. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 18.4.2015)