Am Ende alles gut? Der Nahkampf der Liebenden verheißt im Wiener Tanzquartier nur auf dem Papier "unendlichen Spaß".


Foto: Depreitere

Wien - Bei fünf Typen bleibt offenbar die CD hängen, und sie fallen aus der Zeit. Zwei Männer und drei Frauen scheinen es geschafft zu haben in dem Tanzstück Ah | Ha der Choreografin Lisbeth Gruwez und des Musikers Maarten Van Cauwenberghe, beide aus Belgien, das am Wochenende im Tanzquartier Wien seine Österreichpremiere hatte: Dieses Quintett ist nicht mehr von dieser Welt.

Was eigentlich als künstlerischer Versuch über Ekstase und das Lachen konzipiert ist, hat einen beachtlichen Mehrwert als Satire auf eine Gesellschaft, die sich in einem unendlichen Spaß - David Foster Wallace ist da tatsächlich nicht weit - festgefressen hat. Die ganze Herrlichkeit, von einer Party zum nächsten Kick, von gemeinsam zu einsam, von höchsten Flügen zu geilsten Absackern, kulminiert zu Beginn von Ah |Ha in einem gemeinsamen Wippen, das vom hektischen Quietschen einer einzelnen Bettfeder begleitet wird.

Einmal aus der Zeit geraten, verwandeln sich die fünf Dumpfbacken in zombiehafte Fleischautomaten. Zu solchen sind sie vielleicht - ohne es zu merken - auch schon zuvor degradiert worden. Nun wetzen sie das ultimative Resümee ihres Daseins herunter. Und das lautet, wie könnte es anders sein, dass da nichts war, nichts ist und nichts sein wird außer ein verzerrtes Grinsen, ein gequältes Haha, ein Erstarren knapp vor Eintritt des eh schon zur Routine geronnen gewesenen kleinen Todes.

Sie eiern einander entgegen und wieder voneinander weg. Die Bettfeder beginnt zu orgeln, das Licht wird gasgelb. Sie drängen sich zusammen, fallen voneinander ab, hecheln ihr Lachen dem Publikum entgegen. Und dieses schaut gebannt in einen Abgrund, der den Blick in sich hineinzieht wie ein Strudel und der sich zieht wie ein Strudelteig. Apokalyptisch wird's trotzdem nicht, denn am Ende lockert Lionel Richies Schmalzhymne "Hello, is it me you're looking for?" die Stimmung wieder, und die Tänzer schauen ansatzweise notgeil ins sich entspannende Auditorium.

Postmoderne Indifferenz

Ist also am Ende alles gut? Man kann sich's aussuchen. Hurra, die CD läuft wieder: "Let me start by saying I love you." Die postmoderne Indifferenz hat ihre Ekstasis erreicht. Gruwez und Van Cauwenberghe wissen, wie Zuschauerinnen und Zuschauer unterzubuttern sind. Gemein, aber wirksam. Deshalb werden die in den Sitzreihen von den Tänzerinnen und Tänzern auch ausgelacht. Aber das passiert bereits vor dem Abspielen von Lionels öliger Liebesleiche. Damit es weniger wehtut. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 20.4.2015)