Mehr als 210.000 Wiener Haushalte leben in privaten Altbaumietwohnungen mit Baujahr vor 1945.

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Es ist schon fast ein Ritual: Jedes Jahr wieder berichtet die Arbeiterkammer (AK) von zu hohen Mieten in Wiener Altbauwohnungen. Diese seien im Fall von unbefristeten Mietverträgen um rund ein Fünftel teurer als erlaubt, schreibt AK-Präsident Rudi Kaske am Montag in einer Aussendung. "Bei befristeten Mietverhältnissen schlagen die Vermieter über 60 Prozent mehr auf den Hauptmietzins drauf, als sie dürften", so Kaske, der von "reiner Abzocke" spricht.

200 Inserate untersucht

200 Inserate, die zwischen Dezember und März auf zwei Onlineplattformen geschalten wurden, hat sich die AK angesehen; 90 davon befristet, 110 unbefristet. Anhand der darin genannten Ausstattungsmerkmale haben die AK-Mitarbeiter dann errechnet, welche Zuschläge auf den gesetzlichen Richtwert (in Wien aktuell 5,39 Euro je Quadratmeter) drinnen wären.

Im Durchschnitt über alle 110 unbefristeten Wohnungen kam man dabei auf einen prozentuellen Ausstattungszuschlag von 5,87 Prozent, bei den befristeten Wohnungen waren es 8,11 Prozent. Schließlich wurde jeweils noch ein Lagezuschlag von 1,34 Euro je Quadratmeter dazugerechnet; man habe hier mit einem Durchschnittswert über ganz Wien operieren müssen, weil man die exakten Postadressen der Wohnungen nicht zur Verfügung hatte, heißt es in den Erläuterungen. (Anm.: Die erlaubten Lagezuschläge in Wien variieren laut aktueller Lagezuschlagskarte der Stadt Wien zwischen 0,40 Euro – etwa im 20. Bezirk – und 7,99 Euro im ersten Bezirk; in Gründerzeitvierteln ist gar kein Lagezuschlag erlaubt.)

Dabei habe sich gezeigt, dass bei unbefristeten Verträgen im Schnitt 18 Prozent, bei befristeten Verträgen 62 Prozent zu viel an Miete vorgeschrieben wurde. Pro Jahr würden diese Mieter deshalb um 1.200 Euro (unbefristet) beziehungsweise sogar 3.108 Euro (befristet) zu viel an Miete zahlen, so die AK-Untersuchung.

"Richtwert anheben"

Für den Obmann der Wiener Fachgruppe der Immobilientreuhänder, Michael Pisecky, sagen diese Wohnungsinserate allerdings "gar nichts über die abgeschlossene Miethöhe", weil sie nur die Angebotsseite zeigen würden. "Zusätzlich ist die willkürliche Auswahl von 200 Inseraten innerhalb von vier Monaten eine verschwindend geringe Auswahl, wenn man dem gegenüberstellt, dass täglich für Wien rund 5.000 Wohnungen inseriert sind."

Für Pisecky, der am Montagvormittag zu einem Pressegespräch über das Mietrecht geladen hatte, liegt das Hauptproblem im Wiener Altbau im "seit Jahrzehnten künstlich niedrig gehaltenen Richtwert". Dieser müsse "rasch auf ein realistisches Niveau angehoben werden", etwa auf jenes der Steiermark von 7,44 Euro. Im Gegenzug könnte dann auch der Lagezuschlag, der im ersten Bezirk schon weit über dem eigentlichen Richtwert liegt, wieder zurückgenommen werden, so Pisecky.

"Traurige" Entwicklung der Richtwerte

Was aus dem an sich vernünftigen Richtwertsystem, das seit Mitte der 1990er-Jahre gilt, in den vergangenen beiden Jahrzehnten geworden sei, sei "traurig", so Pisecky am Montag. Denn die ursprüngliche Idee mit dem Richtwert als Basis und den Zu- und Abschlägen gewährleiste einerseits eine individuelle Betrachtung der einzelnen Wohnungen, andererseits eine gewisse Marktnähe. "Das waren zwei sehr gute Kernpunkte."

Nun sei der Wiener Richtwert aber "seit 20 Jahren zu niedrig kalkuliert", weil man einerseits schon bei der Einsetzung der Richtwerte auf einen möglichst niedrigen Wiener Richtwert geachtet habe, andererseits seit damals auch die Richtwerte nicht mehr an die wahren Grundkosten angepasst habe. Ein Beirat, der die regelmäßige Neuberechnung verantworten sollte, wurde später (unter Schwarz-Blau) wieder aufgelöst, seither werden die Richtwerte im Wesentlichen nur an die Inflation angepasst.

"Die AK und auch andere meinen, dass Wohnen billiger werden muss. Ich würde mir das für viele andere Dinge auch wünschen", übte Pisecky mit einer Portion Sarkasmus Kritik an der aktuellen AK-Erhebung. Er wies darauf hin, dass man "die heutige Wohnsituation der Österreicher nicht mehr mit den 1980er-Jahren vergleichen könne", denn einerseits sei die Wohnqualität erheblich verbessert worden – "95 Prozent leben heute in Wohnungen der Kategorie A" –, andererseits steige die Wohnfläche pro Person weiter an. "Das ist ein gefährliches Spiel", so Pisecky; "da wird eine Erwartungshaltung erzeugt, die nicht erfüllt werden kann".

"Bitte keine Penthäuser mehr!"

Speziell in Gründerzeitvierteln, wo ein Lagezuschlag per Gesetz nicht erlaubt ist, sei Vermieten "kaum noch rentabel", so Pisecky. Immer mehr Vermieter würden deshalb einen Verkauf ihrer Wohnungen in Erwägung ziehen, wodurch Mietwohnungen sukzessive vom Markt verschwinden würden.

Im Übrigen würde ohnehin der Markt für die entsprechende Mietenregulierung sorgen, so der Fachgruppenobmann: "Wohnungen mit hohen Mieten werden schon seit Jahren weniger nachgefragt", speziell in den Dachgeschoßen stehe vieles leer. Wegen dieses Überangebots richtete Pisecky am Montag auch einen Appell an die Bauträger: "Bitte keine Penthäuser mehr auf dem Dach!"

Neues Modell für Befristungen

Was die überhandnehmende Befristung von Mietverträgen angeht (ein Umstand, der von der AK ebenfalls seit Jahren scharf kritisiert wird), schlug der Fachgruppenobmann ein Modell vor, das im Wesentlichen auch der derzeit diskutierte SPÖ-Entwurf für ein "Universalmietrechtsgesetz" vorsieht: Gestaffelte Befristungsabschläge, je nach Befristungszeitraum bemessen. So könnten längere Befristungen "belohnt" werden.

Einiges abgewinnen könnte Pisecky aber auch einem anderen Modell: Gar kein Befristungsabschlag mehr, dafür sollte der Mieter ab dem Zeitpunkt der Kündigung eines befristeten Vertrags bis zum Auszug keine Miete mehr zahlen müssen. (Martin Putschögl, derStandard.at, 20.4.2015)