Da krabbeln tagein, tagaus Besucherströme in den Bauch des Riesen, um Swarovskis Kristallwelten zu besichtigen, und dann ist plötzlich Pause. Acht Monate lang bekam das aus einem Grashügel wachsende Wesen lediglich Architekten, Designer, Bagger und Bauarbeiter zu Gesicht. So lange dauerte die Entstaubung und Frischmachung einer der am meisten frequentierten Sehenswürdigkeiten Österreichs im Tiroler Wattens. "Man kann sagen, wir liegen unter den Top Five des Landes", sagt Stefan Isser, Geschäftsführer der Kristallwelten, der sich den 30. April dieses Jahres besonders rot und fett im Kalender einkringelte.

An diesem Tag werden die Kristallwelten nämlich wiedereröffnet, gefeiert wird ferner ihr 20-jähriges Bestehen. Überhaupt ist bei Swarovski Party angesagt, denn das Unternehmen darf heuer auf immerhin 120 Jahre anstoßen.

Mehr als zwölf Millionen Besucher aus 60 Ländern kamen bisher nach Wattens, um den kauernden, wasserspeienden Riesen und die sogenannten Wunderkammern zu besuchen. Die Idee zu diesen entstand in Anlehnung an die alte Kunst- und Wunderkammer von Schloss Ambras in Innsbruck. Gestalterischer Pate der Kristallwelten war André Heller, der damals "eine Idee aus der Vergangenheit in ein Konzept der Gegenwart übersetzt hat", wie es seitens Swarovski heißt.

In und rund um den Riesen wird umgestaltet.
Foto: Swarovski Kristallwelten

Mund auf

In den vergangenen Monaten sind die Kristallwelten mit einer Größe von 7,5 Hektar auf mehr als das Doppelte angewachsen. Neben umfassenden Neuerungen im Garten werden auch fünf der insgesamt 14 Wunderkammern neu bespielt, das Ziel sei es, eine "neue Dimension in Sachen Staunen" zu schaffen.

Staunen, das ist ein Zustand, dem etwas Unerwartetes vorausgeht. Zu erwarten ist, dass sich Swarovski etwas angetan hat. Um möglichst viele Münder vor Staunen aufgehen zu lassen, wurde auch eine schöne Stange Geld in die Hand genommen hat. 34 Millionen Euro steckte man in Glitzertown.

Dass einiges in Sachen Wunderkammern rausflog, ist dem Zeitgeist geschuldet, hatte manche Ecke der alten Kristallwelten doch ein Stück weit die Anmut von Kasperltheater und Wurstelprater. Für die neuen Welten holte man unter anderem den niederländischen Designer Tord Boontje an Bord, der genauso wie das britische Designerduo Fredrikson Stallard bereits einiges für Swarovski ausbaldowerte. Darunter ist auch der Kristallbaum "Silent light" zu finden, den Boontje mit Alexander McQueen entwarf. Ans Goldene Dachl kommt der noch nicht heran, aber er ist eines der am meisten fotografierten Objekte in Wattens.

Detail des Kristallbaums "Silent night"
Foto: Anatol Jasiutyn

Ebenfalls engagiert wurden die südkoreanische Künstlerin Lee Bul und die extravaganten belgisch-niederländischen Designer vom Studio Job. Ein Name fehlt jedoch in den "Kristallwelten reloaded": André Heller. Gab es da vielleicht Ärger? "André Heller ist mit den Kristallwelten untrennbar verbunden. Wir sind mit ihm im allerbesten Einvernehmen", sagt Stefan Isser von Swarovski und meint weiter: "Die Halbwertszeiten solcher Institutionen werden immer kürzer - auch deshalb hat sich die Familie Swarovski dazu entschlossen, auf dieses internationale Netzwerk von Gestaltern zurückzugreifen."

Sternchen schauen

Die neuen Kammern haben einiges drauf. Hier finden Farbexperimente statt, abstrakte Spielereien, geschaffen wurden kristalline Welten, changierende Spiegellandschaften, in welchen man durch räumliche Illusionen tapst und andernorts Kristalle vorfindet, die wie fremdartige exotische Vögel, Reptilien oder Blüten in einem Wald erscheinen.

Herzstück des neuen Gartens ist die beeindruckende Kristallwolke von Andy Cao und Xavier Perrot, die aus 800.000 handgesetzten Kristallen besteht und über der Anlage schwebt. Ein Pfad führt die Besucher direkt zum Spiegelwasser, in dem das Leuchten der Kristalle wie Sternchen eingefangen werden soll.

Die Kristallwolke von Andy Cao und Xavier Perrot, bestehend aus 800.000 Kristallen.
Foto: Swarovski Kristallwelten / Gerhard Berger

Vom renommierten Architekturbüro Snøhetta wurde ein Spielturm entworfen, der auf vier Ebenen eine ganz besondere Raumerfahrung möglich macht. Die Fassade des Turmes besteht aus 160 kristallinen Facetten, wobei keine der anderen gleicht.

Selbstverständlich wurde auch der Shop neu gestaltet. Dafür holte sich der Herr des Kristalls unter anderem Unterstützung vom Herrn der Fliese, dem italienischen Unternehmen Bisazza. Auch dieser Ort ist kein unwichtiger, denn in Sachen Besucherverweildauer ließ der Shop so manche Kammer alt aussehen. Das könnte sich jetzt ändern. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 27.4.2015)