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"1915, 1,5 Millionen": eine Installation in der armenischen Hauptstadt Jerewan.

Foto: REUTERS/David Mdzinarishvili

Am 24. April jährt sich zum 100. Mal der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. 1,5 Millionen Armenier fanden zwischen 1915 und 1923 im Osmanischen Reich den Tod in systematisch geplanten Massakern und auf Todesmärschen in der syrischen Wüste. Jeder zweite Armenier hat somit die Pogrome nicht überlebt. Für die Überlebenden und ihre Nachkommen gilt der Völkermord bis heute als das zentrale Merkmal ihrer Identität. Die seelischen Wunden werden jeder neuen Generation in die Wiege gelegt, damit die Erinnerung an diese Gräueltaten nicht verblasst.

Das Unwort: Genozid

Seit 100 Jahren wird dieses bittere Vermächtnis von den türkischen Nachkommen mit Schweigen und Ablehnung behandelt und ist Gegenstand eines hundertjährigen diplomatischen Konflikts zwischen den beiden Staaten. Zuletzt hat Recep Tayyip Erdoǧan einen islamisch-autokratischen Ton an den Tag gelegt – und ist in eine nationalistische Falle getappt. Die Türkei hat zwar die Gräueltaten an der armenischen Bevölkerung bedauert, doch die systematische und absichtliche Ausrottung ihrer christlichen Minderheit widerlegt und als historisch ungenau bezeichnet.

Warum nicht diese Verbrechen als Völkermord bezeichnen? Die Anerkennung eines Genozids führt nicht nur zum Bekenntnis einer moralischen Schuld, sondern auch zu einer politischen Haftung. Völkermord kennt keine Verjährungsfrist. Falls die türkische Regierung einen Genozid anerkennen sollte, müsste sie sich um eine etwaige Wiedergutmachung des beschlagnahmten und zerstörten Eigentums bemühen. Der Betrag würde sich auf mehrere Dutzend Milliarden Dollar belaufen.

Internationales politisches Spiel

Was meint die Staatengemeinschaft dazu? Die Anerkennung des armenischen Völkermordes scheint mit einer diplomatischen Strategie verbunden zu sein. Das erklärt auch, warum zum Beispiel die USA sich so schwertun, dieses Thema anzusprechen, trotz ihrer bedeutenden armenischen Diaspora. Die Türkei ist langjähriger Verbündeter der NATO und spielt eine strategische Rolle für die amerikanischen Interessen im Nahen Osten. Auf dem alten Kontinent stellen diese historischen Ereignisse einen der Reibungspunkte in den Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union dar.

Sich zu erinnern scheint aber für einige Pflicht zu sein: Die UNO-Menschenrechtskommission, der Europäische Rat und das Europäische Parlament haben die Gräueltaten als Völkermord eingestuft. Außerdem haben 23 Einzelstaaten wie Belgien, die Schweiz, Schweden, Frankreich, Griechenland, Zypern, Argentinien, Uruguay und sogar letztlich Syrien eine entsprechende Resolution verabschiedet. Am 12. April hat Papst Franziskus erstmals öffentlich den Begriff "Völkermord" für die armenischen Massaker verwendet und sich damit den Zorn der türkischen Regierung zugezogen.

Diplomatischer Spagat Österreichs

Am offiziellen Gedenktag werden hochrangige Staatsoberhäupter wie François Hollande und Wladimir Putin in die Kaukasusrepublik reisen und an den Zeremonien rund um die Genozid-Gedenkstätte teilnehmen.

Und Österreich? Alois Krauk, der für Armenien zuständige Botschafter, wird Österreich vertreten. Präsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Werner Faymann und Außenminister Sebastian Kurz haben aus "Termingründen" abgesagt. Es scheint, dass die Bundesregierung einem der berühmtesten Schriftsteller des Landes, Franz Werfel, den Rücken zugekehrt hat. Dieser hatte aus Perspektive der Augenzeugen über den Völkermord in seinem Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" berichtet.

Wiederholt sich die Geschichte?

Dieser Gedenktag sollte Spuren in der Gegenwart hinterlassen. Heute drohen den Christen im Nahen Osten abermals der Tod, das Exil und die Zerstörung ihrer Kultur. Hoffen wir, dass sich die Geschichte nicht wiederholt und die Christen im Orient nicht erneut zur Zielscheibe antiwestlicher Stimmungen werden. Es würde mehr als nur Beileidsbekundungen bedürfen, um diese neuen Wunden zu heilen. (Arlette Zakarian, derStandard.at, 23.4.2015)