Newcastle upon Tyne - Das ist überaus ungünstig: Bienen meiden mit für sie schädlichen Neonicotinoiden behandelte Pflanzen nicht etwa. Sie steuern sie sogar bevorzugt an, wie eine aktuelle Studie zeigt. Beim Sammeln von Nektar und Pollen könnten die Insekten deshalb mehr von den Schadstoffen aufnehmen als bisher angenommen, schreiben Forscher aus Großbritannien und Irland im Fachblatt "Nature".

Der Status quo

Gegenwärtig gibt es ein EU-weites Moratorium für die drei verbreitetsten Neonicotinoide, das ihre Anwendung zunächst bis Ende des Jahres stark einschränkt. Es handelt sich um synthetisch hergestellte Wirkstoffe, die zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen eingesetzt werden. Wird das Saatgut damit behandelt, verteilen sich die Mittel beim Wachstum auf die gesamte Pflanze, sind also später auch im Pollen und Nektar zu finden.

In der Vergangenheit lieferten mehrere Studien Hinweise darauf, dass die Mittel die Bienen beeinträchtigen, zum Beispiel indem sie ihr Lernvermögen und ihre Orientierungsfähigkeit stören. Die Neonicotinoide könnten damit auch zum gegenwärtig beobachteten Bienensterben beitragen, fürchten Experten.

Diese Befürchtungen waren Anlass für das Moratorium, das am 1. Dezember 2013 in Kraft trat. Die Anwendung der Neonicotinoide Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin wurde damit vorübergehend stark eingeschränkt, um in weiteren wissenschaftliche Studien das Gefährdungspotenzial genauer zu prüfen. Kritiker des Moratoriums führten unter anderem an, dass in Laborstudien zu hohe Konzentrationen der Neonicotinoide eingesetzt wurden und dass die Bienen im Freiland vermutlich auf andere Pflanzen auswichen.

Unbequeme neue Erkenntnisse

Diese Annahme prüften nun die Forscher um Sebastien Kessler von der Newcastle University. Sie boten Hummeln und Honigbienen eine reine Zuckerlösung und eine mit Neonicotinoiden versetzte als Nahrung an. Die Wirkstoff-Konzentration lag dabei in Höhe der im Freiland in Nektar und Pollen zu findenden.

Die Insekten mieden die Wirkstoffe in den Versuchen nicht, fanden die Forscher heraus. Im Gegenteil: Zwei der drei in den Zuckerlösungen eingesetzten Neonicotinoide waren offenbar besonders attraktiv für die Bienen. Sie naschten davon lieber als von der puren Zuckerlösung. In einer ergänzenden Analyse zeigten die Forscher, dass die Bienen die Neonicotinoide nicht schmecken können, die Bevorzugung also eine andere Ursache haben muss.

Die Folgerung

"Neonicotinoide steuern im Nervensystem von Bienen die gleichen Mechanismen an wie Nikotin im Gehirn von Menschen", erläuterte die Studienleiterin Geraldine Wright von der Newcastle University. "Die Tatsache, dass die Bienen eine Vorliebe für Neonicotinoid-belastete Nahrung haben, ist besorgniserregend, weil es vermuten lässt, dass die Neonicotinoide ähnlich wie Nikotin als Droge wirken und solche Nahrung besonders belohnend wirkt."

Die Forscher folgern, dass es nicht ausreicht, um Felder herum einen Streifen mit Futteralternativen für die Bienen zu pflanzen. Die Einschränkung der Neonicotinoid-Verwendung sei womöglich der einzige Weg, den Rückgang der Bestäuber-Populationen aufzuhalten. Risiken und Nutzen dieser Insektizide müssten genau abgewogen und Alternativen sorgfältig geprüft werden, heißt es in einem Kommentar zu den Ergebnissen.

Weitere Studie

In einer zweiten Studie gingen schwedische Forscher um Maj Rundlöf von der Universität Lund der Frage nach, ob die hauptsächlich in Laborstudien festgestellte Gefährdung der Bienen auch im Freiland nachzuweisen ist. In Südschweden legten sie insgesamt 16 Versuchsflächen an. Auf acht wurden Raps ausgesät, dessen Samen mit einem Neonicotinoid-haltigen Insektizid und einem Fungizid behandelt worden waren. Auf den anderen acht wurde nur das Fungizid eingesetzt.

Dort, wo das Insektizid verwendet wurde, wuchsen und vermehrten sich Hummeln und Wildbienen schlechter. Weibchen der Roten Mauerbiene (Osmia bicornis), die in Nestern neben Insektizid-belasteten Feldern herangewachsen waren, legten keine neuen Brutzellen an. Honigbienen-Kolonien gediehen hingegen an den belasteten Feldern genauso gut wie an den unbelasteten.

Möglicherweise könnten sie die toxische Substanz besser entgiften, schreiben die Wissenschafter. Über mögliche Langzeitfolgen sage das jedoch nichts aus. Bei der Beurteilung der Neonicotinoide sollten nicht nur Honigbienen als Modellorganismen eingesetzt werden, da sie möglicherweise anders reagieren als andere Bienen.

Offene Fragen

Die Studien erweiterten das Wissen über die Risiken der Neonicotinoide, es blieben aber zahlreiche Wissenslücken, schrieben Nigel Raine von der University of Guelph in Kanada und Richard Gill vom Imperial College London in ihrem Kommentar. So müsse weiter erforscht werden, wie Rückstände im Boden auf dort lebende Bienen wirken und ob die Neonicotinoide auch andere Bestäuber-Insekten beeinflussen. Alternativen zu diesen Insektiziden müssten sorgfältig geprüft werden, um nicht unbeabsichtigt vielleicht noch gefährlichere Stoffe einzusetzen.

Neonicotinoidhaltige Mittel werden unter anderem von den Chemiekonzernen Bayer CropScience und Syngenta hergestellt. Sie warnen davor, dass Verbote zu deutlichen Einbußen bei der Ernte führen. Umweltschützer etwa vom BUND kritisieren, dass auf bestimmten Insektizid-Verpackungen der Aufdruck "nicht bienengefährlich" stehe. In diesem Zusammenhang entschied das Düsseldorfer Landgericht kürzlich, dass der BUND weiter behaupten darf, zwei von Bayer hergestellte Produkte mit dem Neonicotinoid-Wirkstoff Thiacloprid seien schädlich für Bienen. Bayer verzichtete darauf, gegen dieses Urteil Berufung einzulegen. (APA/red, derStandard.at, 22.4. 2015)