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Der europäische Literatur-Staatspreis geht an Mircea Cartarescu.

Foto: EPA/HENDRIKÜSCHMIDT

Zum Symbol für sein Schreiben hat Mircea Cartarescu den Schmetterling erkoren. Die Bände seiner Trilogie Orbitor (zu Deutsch: "blendend") fügen sich zum symmetrischen Leib eines Falters. Linker Flügel, Körper und Rechter Flügel sind die drei Romane übertitelt. Leider ging dieser schöne Hintersinn in der deutschen Übersetzung (Die Wissenden, Körper und Rechter Flügel) verloren.

Rein äußerlich lässt sich von einer Abrechnung mit der rumänischen Ceaușescu-Diktatur sprechen. Aber Cartarescu (58) hat mehr im Blick als die kommunistische Autokratie mit ihren katastrophalen Begleiterscheinungen von Hunger, Terror und Personenkult.

1834 Seiten umfassen die drei deutschen Bände, deren Sprachgewalt den gelernten Lyriker verrät. Kaliber wie Proust und Joyce standen Pate für die phantasmagorische Verwirbelung von Fantasie und Realität. Riesenschmetterlinge erwachen in dieser Meisterprosa ebenso zum Leben wie Statuen und Tote. Man lauscht Securitate-Agenten beim Erörtern "wirkungsvoller" Foltermethoden. Ceaușescus Palast verwandelt sich in einen gigantischen Uterus.

Cartarescu wurde nicht müde, die autobiografische Zuverlässigkeit seines Erzähler-Ichs "Mircea" infrage zu stellen. Der Autor selbst stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Die Jahre der Diktatur überdauerte er als Schullehrer, ehe er als Lektor für rumänische Sprache an der Universität Bukarest arbeitete. 14 Jahre verwendete Cartarescu in der Zeit nach 1992 auf die Herstellung seines Opus summum. Als bekennender "Postmodernist" hat er in seinem Universalroman eine bezeichnende Episode versteckt. Tote erscheinen und vertreiben die Familie des Erzählers aus der Gegend südlich der Donau. Auf der Flucht opfert ein Bub den eigenen Schatten, um seine Sippe zu retten.

Die Bewältigung der Ceaușescu-Ära mag für Cartarescu, diesen Schlemihl aus Südosteuropa, die Austreibung von Dämonen bedeutet haben. Er selbst lebt heute zurückgezogen in Bukarest. Mit seiner Frau, der Autorenkollegin Ioana Nicolaie, hat er einen Sohn. Arbeitsaufenthalte führten den Dichter nach Stuttgart und nach Amsterdam. Erst unlängst erhielt Cartarescu den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung - und nun Österreichs Staatspreis für europäische Literatur. Sich selbst sieht er in der Tradition der Aufklärung. Den Präsidenten seines Heimatlandes verehrt er: Klaus Johannis, ein Deutschrumäne, habe die wirkungsvolle Bekämpfung der Korruption versprochen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 24.4.2015)