Helmut Kramer war über 40 Jahre für das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), das er ab 1983 leitete, tätig. Von 2005 bis 2007 war er Rektor der Donau-Universität Krems, 2009 gründete er die Plattform für Interdisziplinäre Alternsfragen ÖPIA.

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STANDARD: Ist das bald nach 1945 etablierte Machtgefüge für Toppositionen noch wirksam?

Kramer: Tatsächlich sind Machtstrukturen der österreichischen Wirtschaft, die sich bald nach 1945 ausgeprägt haben, und ideologische Differenzen zwischen den lange Zeit dominierenden Großparteien in Resten auch heute noch deutlich erkennbar. Um die Verstaatlichung der zahlreichen nach der Naziherrschaft "herrenlosen" Unternehmen und um die Steuerung der Grundstoffindustrien und der Energiewirtschaft entzündeten sich Diskussionen, die durch die realistische Befürchtung, die Besatzungsmächte könnten die Hand auf "deutsches Eigentum" legen, allerdings sehr rasch (Verstaatlichungsgesetze 1946 und 1947) pragmatisch beigelegt wurden. Etwa die Hälfte der verstaatlichten Unternehmen lag in der sowjetischen Besatzungszone. In dieser ließ sich die Besatzungsmacht nicht hindern, die meisten Großunternehmen in einen sowjetisch geführten Wirtschaftskomplex, die "USIA", einzugliedern und österreichischer Unternehmensführung zu entziehen. Die positive Einstellung der SPÖ zum Management durch die staatlichen Hände und die zwar grundsätzlich abwehrende Haltung der ÖVP, die sich aber in der großen Koalition Einflussbereiche zu sichern wusste, führten zu einer bis heute festzustellenden, für das österreichische Wirtschaftssystem typischen Vermengung von Managementverantwortung unter parteipolitischer "Aufsicht".

STANDARD: Der Grundstoffboom kurbelte am Erfolg ...

Kramer: In der Epoche des Grundstoffbooms der Fünfzigerjahre bildete sich in den verstaatlichten Unternehmen eine von durchaus beachtlichen Forschungs-, Ingenieurs- und Vermarktungsleistungen geprägte Managementkultur, welcher Mathias Mander in seinem Roman Der Kasuar einen faszinierenden soziologischen und humanen Ausdruck gegeben hat. Die schrittweise Privatisierung der aus der Nachkriegszeit überkommenen, ideologisch motivierten Bereiche der staatsnahen Wirtschaft war ein Prozess, der bis in jüngste Zeit verfolgt werden kann und der nach wie vor nicht abgeschlossen ist. Angesichts der fortschreitenden Liberalisierung und internationalen Öffnung vieler unternehmerischer Aufgaben wurde politische Einflussnahme zunehmend fragwürdig.

STANDARD: Auch ein Vorbote und eine Auswirkung der EU-Mitgliedschaft ...

Kramer: Ja. Trotz der ernüchternden Erfahrungen der nach jeder Wahl wechselnden staatlichen Strukturkonzepte für die "Verstaatlichte", trotz deren epochaler Katastrophe Mitte der Achtzigerjahre und der schweren volkswirtschaftlichen Schäden, die ihr voraus- und von ihr ausgingen, haben erst die Bedingungen der Mitgliedschaft in der EU und die Liberalisierung der globalen Kapitalmärkte diese Mechanismen weitgehend obsolet gemacht.

STANDARD: Für Milliardenskandale reicht's aber noch ...

Kramer: Dass das Management nach wie vor nicht genügend gegen unsachlichen und parteipolitischen Missbrauch gesichert ist, beweisen die bestürzenden Ereignisse um die Kärntner Landes-Hypothekenbank. Das Schauspiel um die Wahrnehmung staatlicher Aufsichtsinstanzen, Anteilsrechte und Haftungen, das gerade jüngst geboten wurde, zeigt, dass Sinn, Formen und Tragweite der staatlichen und parteipolitischen Interventionen in der Wirtschaft in Österreich nach wie vor nicht klar sind. Aber noch einmal zurück: Ein Gegengewicht zu den ausgeprägten staatlichen Einflusskanälen stellte schon seit der frühen Nachkriegszeit die Förderung der außenwirtschaftlich orientierten Wirtschaftszweige im Rahmen des von den USA gewährten Marshallplans dar. Österreich zählte zu den Ländern, in denen diese Unterstützung am meisten Gewicht erlangte. Sie bezog sich nicht nur auf wichtige Sparten der Industrie, sondern auf einen viel breiteren privatwirtschaftlichen Sektor, etwa im Bereich der Tourismuswirtschaft, der für die Wirtschaftskraft Österreichs mitentscheidend wurde.

STANDARD: Fehlt heute ein Professionalisierungsschub im staatsnahen Bereich?

Kramer: Management, das einem scharfen Wettbewerb ausgesetzt ist, muss professionell agieren. Es fehlt in Österreich weniger an der Ausbildung und der professionellen Ausübung von Managementfunktionen. Eher schon könnten die bescheidene Wirtschaftskompetenz breiter Kreise der Bevölkerung, weitgehend auch der Bürokratie, sowie nicht zuletzt der Mangel an Zivilcourage als ungünstige Rahmenbedingungen angesehen werden.

STANDARD: Noch einmal zu den Chefsesseln und den jüngsten Rochaden: Es entsteht der Eindruck, dass Externe und auch der Generationenwechsel alte Nepotismen - oder freundlicher: alte Netzwerke - ablösen.

Kramer: Eine jüngere Generation ist im Begriff, Managementfunktionen zu übernehmen. Die Zeiten haben sich geändert. Nepotismus hat im globalen Wettbewerb weniger Erfolgsaussicht. In der Regel ist diese junge Generation an Managern besser ausgebildet und hat andere Auffassungen von ihren Zielen, von ihrer Kommunikation und von Entscheidungsstrukturen. Auch haben die klassischen Netzwerke älterer Generationen einiges an Bedeutung verloren. Allerdings sind mit neuen Technologien "soziale" und andere Netzwerke an ihre Stelle getreten. Deren Einfluss im Interesse der gesamten Gesellschaft zu regulieren ist gegenwärtig eine sehr aktuelle Aufgabe.

STANDARD: Der sogenannte Turbokapitalismus mit seinem globalen Exposure hat wohl auch etwas vom Erbe der aufgeteilten Republik weggefegt?

Kramer: Wie jüngste Ereignisse zeigen, wurde unangebrachter staatlicher und parteipolitischer Einfluss stark zurückgedrängt, aber nicht beseitigt. Zurückgedrängt ist auch die Bedeutung von ausländischen Investitionen, die in Österreich den bescheidenen Inlandsmarkt zu bearbeiten hatten oder billige Arbeit in peripheren Regionen nutzen wollten. Entstanden ist augenscheinlich eine weniger klar "aufgeteilte" Republik. Dazu kommt eine breitere Vielfalt an auch internationalen Eigentümer- und Einflussstrukturen, Konzern- und Syndikatsformen, unter anderem auch Mischformen von privat und staatlich. (Karin Bauer, DER STANDARD, 25./26.4.2015)