Ferdinand Piëch: Eine Ikone der Autoindustrie tritt beschädigt ab.

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Im Jahr 1975.

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Wolfsburg - Nach dem Rücktritt von VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch sehen Branchenexperten den Autokonzern vor großen Herausforderungen. "Eine neue Machtbalance muss gefunden werden", sagte Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, am Sonntag.

"Der Konzern muss sich mittelfristig strukturell neu aufstellen und dezentraler organisiert werden." Die Kernfrage, mit welchem Führungspersonal Volkswagen in die kommenden, strategisch wegweisenden Jahre gehen wolle, sei weiter ungeklärt, so Bratzel.

Ferdinand Piëch war am Samstag von seinem Amt als VW-Aufsichtsratschef zurückgetreten. Vorausgegangen war ein zweiwöchiger Machtkampf, nachdem Piëch von Vorstandschef Martin Winterkorn abgerückt war.

"Tragisches Ende"

Bratzel kommentierte den Rücktritt Piëchs als "tragisches Ende" einer großen Lebensleistung. "Ein Stück weit wird er selbst Opfer seines eigenen Führungsstils." Die Art des erzwungenen Rücktritts ähnele in Form und Stil stark an die durch Piëch in der Vergangenheit initiierten Personalveränderungen. Unklar bleibe, welche Rolle Piëch künftig einnehmen werde. "Er könnte als graue Eminenz im Hintergrund weiterhin wichtige Strippen ziehen. Das Machtpoker könnte im schlimmsten Fall weitergehen."

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen sagte, "strahlender Gewinner" des Machtkampfs sei die Allianz aus dem Arbeitnehmerflügel sowie dem Land Niedersachsen. Dieser Allianz gehe vor allem um die Arbeitsplätze im "Hochlohnland Deutschland". Ob der Konzern damit langfristig auf der Gewinnerseite stehe, sei ungewiss.

Zur Zukunft Piëchs sagte Dudenhöffer, er würde nicht ausschließen, dass Piëch nun auch seine Anteile der Porsche Holding verkaufe, unter deren Dach der VW-Konzern mehrheitlich steht. "Piëch ist überzeugt, dass der Weg, den VW geht, der falsche ist. Die gewinnschwache Kernmarke ist das Hauptproblem, zusammen mit den Versäumnissen und der Modellschwäche auf dem US-Markt."

Machtkampf mit nur einem Sieger

Branchenanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler sagte, es sei ein Machtkampf gewesen, bei dem es nur einen Sieger geben konnte. "Ich denke, die Klarheit in der Führungsfrage hilft VW."

Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel würdigte Piëch als herausragende Persönlichkeit der deutschen Wirtschaftsgeschichte gewürdigt. "VW und seine Beschäftigten haben ihm ungeheuer viel zu verdanken", sagte der SPD-Vorsitzende am Sonntag.

Aktionärsschützer für Generationenswechsel

Der Rückzug von Piëch bietet nach Ansicht von Aktionärsschützern die Chance für einen Generationswechsel im Vorstand von Volkswagen. "Jetzt wäre es an der Zeit, dass Martin Winterkorn den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt und in der Geschäftsführung ein Generationswechsel stattfindet", so der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Ulrich Hocker.

Winterkorn besitze mit seinen Erfahrungen und seinem Ansehen über die nötigen Voraussetzungen, um Chefkontrolleur zu werden. "Er passt zu VW", sagte Hocker.

Diese personellen Veränderungen wären im Nachhinein der eleganteste Abschluss des Machtkampfes um Europas größten Autobauer Volkswagen. Für die Nachfolge Martin Winterkorns im Vorstandsvorsitz gebe es eine Reihe potenzieller Kandidaten innerhalb des Konzerns. "Da sind genug Kandidaten", betonte Hocker. Der Wolfsburger Konzern habe bereits einiges getan, um Manager von außen zu holen und um auf diese Weise die Managerreihen zu verstärken. Ob ein solcher Generationswechsel im Vorstand aber schon bis zur Hauptversammlung am 5. Mai in Hannover geregelt werden kann, ist nach Meinung von Hocker unwahrscheinlich.

Entscheidend sei, wie die Familie Piëch reagiert und ob das große Aktienpaket in ihrem Besitz bleibt. Unklarheiten in dieser Frage könnten neuen Spekulationen Tür und Tor öffnen, warnte Hocker. Der Wechsel von Winterkorn an die Aufsichtsratsspitze und der Generationswechsel im Vorstand müsse auch von allen Seiten gewollt sein. Europas größter Autobauer könne so relativ rasch zur Tagesordnung zurückkehren. "Ein 78-Jähriger hat auch das Recht zurückzutreten", meinte Hocker. Der Machtkampf der vergangenen Wochen habe die Kapitalmärkte verunsichert und damit dem Unternehmen Volkswagen und dessen Aktionären geschadet.

Komplexe Machtstruktur

Die Machtaufteilung im VW-Aufsichtsrat ist komplex: Das Sagen haben die Inhaber der Stammaktien. 50,73 Prozent dieser Stämme gehören der Stuttgarter Porsche Automobil Holding SE (PSE). Sie versuchte vor rund sechs Jahren, die alleinige Macht beim VW-Konzern zu holen, was gescheitert ist. Nun steht gut die Hälfte des VW-Konzerns unter dem Dach der PSE. Und bei der wiederum haben die Porsches und Piëchs das alleinige Sagen. Allerdings entfallen die Anteile nicht zu gleichen Teilen auf die zwei Familienzweige, deren unterschiedliche Namen daraus resultieren, dass die Porsche-Tochter Louise Anton Piëch geheiratet hatte. Die Porsches haben mit gut 50 Prozent der PSE-Stämme ein leichtes Übergewicht gegenüber den Piëchs. Jedoch zwingen Verträge den PS-Clan, mit einer Stimme zu sprechen.

Durch das VW-Gesetz steht der Konzern zudem unter dem Schutz des deutschen Staates. Der Europäische Gerichtshof wies 2013 eine Klage der EU-Kommission gegen das VW-Gesetz ab und beendete damit einen jahrelangen Rechtsstreit. Bei Europas größtem Autobauer geht ohne den Segen des Aktionärs Niedersachsen (das Land hält 20 Prozent) also nichts.

Gewerkschafter übernimmt

Berthold Huber (65), bis November 2013 Chef der größten Industriegewerkschaft IG Metall, zieht nun interimistisch in den Aufsichtsrat ein und wird auch die VW-Hauptversammlung am 5. Mai leiten. VW wird schon bisher ein gutes - oft zu gutes - Verhältnis zur Gewerkschaft nachgesagt. Der Konzern hat einen großzügigen Haustarifvertrag, und das Miteinander war einst so gut, dass eine Affäre rund um Lustreisen des Betriebsrats auf Firmenkosten die Schlagzeilen beherrschte.

Ob Huber - er hatte 2009 die deutsche Abwrackprämie erfunden - im Gremium bleibt, ist offen. Der neue VW-Aufsichtsratschef will sich jedenfalls in der Personalfrage Zeit lassen. (APA, Reuters, dpa, red 26.4.2015)