STANDARD: Woran denken Sie bei Reindustrialisierung?

Fahnemann: Ich denke langfristig und glaube, dass es eine Re-Regionalisierung der Produktion geben wird.

STANDARD: Wieso?

Fahnemann: Weil wir es uns in Zukunft nicht mehr werden leisten können, Produkte über Kontinente zu schippern. Die Automatisierung schreitet voran, Energie wird immer wichtiger. In manchen Industrien wird es schneller gehen mit der Re-Regionalisierung, in anderen langsamer.

STANDARD: Die EU-Kommission hat sich die Reindustrialisierung Europas auf die Fahnen geschrieben?

Fahnemann: Eines ist klar: Wir machen sicher keine Investition wegen einer Subvention. Ein Projekt muss sich rechnen, auch ohne Förderung. Wichtig ist ein investitionsfreundliches Umfeld. Es geht gar nicht so sehr um Auflagen. Die Vorschriften, die es heute etwa im Umweltbereich gibt, unterscheiden sich in China oder in den USA kaum von denen in Europa. Bei uns aber dauert es unglaublich lang, bis so etwas bearbeitet wird. Die Bürokratie in Europa ist ein Hemmschuh.

Bild nicht mehr verfügbar.

"In manchen Industrien wird es schneller gehen mit der Re-Regionalisierung, in anderen langsamer."
Foto: APA/Georg Hochmuth

STANDARD: Europas Politiker suchen nach Hebeln für Wachstum?

Fahnemann: Europa ist Vorreiter bei erneuerbaren Energien, da gibt es Top-Technologien. Trotz aller Probleme im Zusammenhang mit den Erneuerbaren sollten wir die Vorteile, die wir auf dem Gebiet haben, viel mehr ausspielen. Da sind wir den Amerikanern überlegen. Die haben sich mit Schiefergas zwar zehn, vielleicht 15 Jahre gekauft, irgendwann ist die billige Ressource aber zu Ende. Mittel- bis längerfristig fahren wir mit den Erneuerbaren sicher besser. Die variablen Kosten für Wind und Sonne sind gleich null.

STANDARD: Als Chef eines global agierenden Unternehmens sind Sie fast mehr in der Luft als im Büro in Wien. Welche Fragen bekommt ein Europäer in Asien oder USA abseits des rein Geschäftlichen gestellt?

Fahnemann: Beispielsweise, ob es wirklich ein Europa gibt oder doch viele verschiedene Länder. Viele verstehen Europa nicht.

STANDARD: Etwa die Diskussion um einen Grexit, den möglichen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro?

Fahnemann: Zum Beispiel. Wenn man anfügt, dass der Schuldenstand Griechenlands vor vier, fünf Jahren etwa dem des Rhein-Main-Gebiets entsprach, ist die Gegenseite meist sehr erstaunt und sagt, dass das doch gar nicht dramatisch sei. Ich möchte das gar nicht kleinreden. Das Unverständnis, das uns außerhalb Europas entgegengebracht wird, rührt daher, dass wir uns nicht einheitlich zeigen. Europa ist der größte Wirtschaftsraum der Welt. Durch Einigkeit wären wir noch viel stärker.

Bild nicht mehr verfügbar.

"Das Unverständnis, das uns außerhalb Europas entgegengebracht wird, rührt daher, dass wir uns nicht einheitlich zeigen."
Foto: APA/Georg Hochmuth

STANDARD: Mit ihren Produkten, insbesondere im Industriebereich, sind sie sehr nah am Wirtschaftsgeschehen, näher als viele Ökonomen. Wie schätzen Sie 2015 ein?

Fahnemann: Im Oktober sind wir im Industriebereich von einem sehr herausfordernden 1. Quartal 2015 ausgegangen. Der Jänner war okay, der Februar etwas besser und der März lag nochmals drüber. Unsere heutige Prognose ist somit insgesamt gesehen etwas optimistischer als noch im Oktober. Man muss aber tiefer hineinschauen.

STANDARD: Was sehen Sie da?

Fahnemann: Alles, was landwirtschaftliche Maschinen betrifft, hat im Moment ein deutliches Minus. Auch in den USA, die insgesamt besser unterwegs sind als Europa, läuft das Agrargeschäft zäh. Wir sehen eine gewisse Sättigung, nachdem in der Landwirtschaft zuletzt viel investiert wurde. Im Bereich kleine und mittlere Kräne hingegen gibt es ein Plus.

STANDARD: Inwieweit trifft Sie der Russland-Ukraine-Konflikt?

Fahnemann: Unterschiedlich stark. Bei Profilen für PVC-Fenster sind wir stark betroffen – erstens durch die Rubelschwäche, die unsere Produkte mit einem Schlag viel teurer gemacht hat, aber auch durch ein nationalistischeres Einkaufsverhalten. Wo immer es russische Anbieter gibt, sind russische Unternehmen angehalten, dort einzukaufen. Wenn 20 bis 30 Prozent des Russland-Geschäfts wegfallen, tut das weh; für die gesamte Semperit sind es nur fünf Prozent, das ist verkraftbar.

STANDARD: Und in der Ukraine?

Fahnemann: Alle Minen befinden sich in der Ostukraine. Da geht derzeit gar nichts, da ist Kriegsgebiet. Wir merken zunehmend, dass Firmen, die bisher sehr viel Geschäft in Russland oder in der Ukraine gemacht haben, auf andere Märkte ausweichen. Der Preisdruck ist intensiver geworden.

Bild nicht mehr verfügbar.

"Wenn 20 bis 30 Prozent des Russland-Geschäfts wegfallen, tut das weh; für die gesamte Semperit sind es nur fünf Prozent, das ist verkraftbar."
Foto: APA/Georg Hochmuth

STANDARD: Was haben Sie gegen ihren Partner in Thailand, Sri Trang, mit dem Semperit ein 50:50-Joint-Venture betreibt?

Fahnemann: Nichts Persönliches. Aber es gilt, ein paar Dinge zu klären. Das Joint-venture gibt es seit mittlerweile 25 Jahren. Ich kenne kaum ein anderes 50:50-Gemeinschaftsunternehmen, das so lange Bestand hat. Wir wollen an dem starken Wachstum im Bereich medizinische Handschuhe bestmöglich partizipieren. Faktum ist, dass eine 50:50-Lösung nicht immer zu schnellen Entscheidungen führt. Wir fühlen uns auch zu wenig informiert, das lassen wir jetzt von einem Schiedsgericht in der Schweiz klären.

STANDARD: Eine weitere Zusammenarbeit scheint unter diesen Umständen zumindest erschwert?

Fahnemann: Ja, es gibt fundamentale Meinungsunterschiede, insbesondere was die Transparenzpflicht betrifft. Wir waren nicht in der Lage, das unter uns zu regeln, deshalb soll das nun eine neutrale Instanz tun.

STANDARD: Sollten sie nicht Recht bekommen, ist dann auch ein Ausstieg denkbar?

Fahnemann: Es gibt viele Optionen. Wir jedenfalls gehen davon aus, dass die Bescheide in unserem Sinn ausfallen. Das Worst-Case-Szenario ist sicherlich, wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist.

STANDARD: Wie lange wird es dauern, bis das ausjudiziert ist?

Fahnemann: Ende des Jahres, Anfang nächsten Jahres sollten wir mehr Klarheit haben.

Der durchschnittliche Verbrauch eines Amerikaners liegt heute bei 160 Handschuhen pro Jahr, in Europa sind es im Gesamtschnitt weniger als hundert.
Foto: Semperit

STANDARD: Glauben Sie, dass die Europäer ähnlich wie beim Rauchen den Amerikanern auch in puncto Hygiene nacheifern und sich immer öfters Gummihandschuhe überstreifen werden?

Fahnemann: Ja, der Trend geht eindeutig in diese Richtung. Der durchschnittliche Verbrauch eines Amerikaners liegt heute bei 160 Handschuhen pro Jahr, in Europa sind es im Gesamtschnitt weniger als hundert. Im medizinischen Bereich gibt es kaum Unterschiede zwischen Europa und USA. Gravierend ist der Unterschied im Hygienebereich abseits der Medizin.

STANDARD: Sie zahlen für 2014 eine ungewöhnlich hohe Dividende. Ist das dem Druck des Hauptaktionärs B&C-Holding geschuldet?

Fahnemann: Nein, das hat primär mit dem Markt und der Zinslandschaft zu tun. Wir sehen im Moment kein Mega-Kaufobjekt am Markt. Für das Geld, das wir auf der hohen Kante haben, gibt es so gut wie keine Zinsen. Gleichzeitig können wir uns extrem günstig von außen finanzieren. Also haben wir gesagt, wir schütten das an unsere Aktionäre aus, die unseren Weg in den vergangenen Jahren mit einer bewusst niedrigeren Ausschüttungsquote als in den Jahren davor mitgegangen sind.

STANDARD: Ein zusätzliches Geschäftsfeld ist kein Thema?

Fahnemann: Wir produzieren Handschuhe, da wäre es denkbar, auch Mundschutz zu machen. Wir haben solche Ideen geprüft, aber wieder verworfen, zumal wir noch genügend Wachstumspotenzial in unseren vier angestammten Geschäftsfeldern Sempermed (medizinische Handschuhe; Anm.), Semperflex (Hydraulik- und Industrieschläuche), Sempertrans (Förderbänder) und Semperform (Profile) sehen.

STANDARD: Und das größte Wachstum?

Fahnemann: Nach wie vor auf der Medizinseite, die Handschuhe wachsen weltweit mit fünf bis sieben Prozent pro Jahr. Weltweit werden 170 Milliarden Handschuhe hergestellt. Gut 20 Milliarden davon hat im Vorjahr Semperit verkauft. (Günther Strobl, DER STANDARD, 28.4.2015)