Wien - Man könnte über ungewöhnliche Gesten sprechen, die Hand in der Hosentasche, über unmögliches Verhalten auch im Publikum - zumindest gemessen an den Gepflogenheiten im klassischen Konzert - und könnte auch über Aufmerksamkeitsdefizite und Beifallüberschuss plaudern.

Doch angesichts des Auftritts von David Garrett - dem (Ex-)Weltrekord- Hummelflug-Spieler und Paganini-Filmdarsteller, der sich parallel zu den breitenwirksamen Showprogrammen auch ein traditionelleres Terrain erobern möchte - muss man eigentlich über anderes berichten. Der Jubel seiner Fans funktioniert ähnlich reflexartig wie puristische Vorurteile, die dann auch rasch bei der Hand wären.

Gut und lässig

Und manches war bei diesem Brahms-Violinkonzert auch musikalisch unkonventionell: So betont nonchalant und lässig, wie Garrett sein Instrument stimmt, so ruppige Akzente entkommen ihm auch durch seine rockige Gestik. Seine anfangs deutlich spürbare Nervosität, die den Geigenklang recht eng werden ließ und Zäsuren verkürzte, sowie die nicht immer ganz saubere Intonation wären leicht zu kritisieren.

Andererseits ist es nicht damit getan, seine instrumentale Versiertheit festzustellen. Denn Garrett bewältigte schließlich nicht nur den Part und die großen formalen Dimensionen des Stücks, sondern drückte ihm durchaus einen persönlichen Stempel auf. Und: Er wirkte dabei authentischer als manche seiner hochglanzpolierten Kollegen aus der nobleren Fraktion, die freilich zuweilen ihrerseits poppig gestylt daherkommen. Die Übung, ein anderes Publikum anzulocken und dieses womöglich weiter für die nicht einfache Materie zu interessieren, ist jedenfalls geglückt - und zwar klar ohne billige Kompromisse.

Eine Entdeckung

Souveräner und reaktionsschneller Teil der ungleichen Koalition war neben den Wiener Symphonikern dann auch der kurzfristig eingesprungene junge Dirigent Lahav Shani, der bei Brahms manche Gestaltungswunder vollbrachte, jedoch auch viel Aufmerksamkeit für die Koordination benötigte.

Zuvor hatte Lahav Shani bereits bei Peter Iljitsch Tschaikowskys Fünfter Symphonie eine ganz phänomenale Visitenkarte abgegeben: Der 26-jährige Israeli ist der Inbegriff eines großen Talents und dabei schon ein fähiger, reifer Musiker, der einen flexiblen, vollen Klang und perfekte, transparente Phrasen modellierte. Er holte aus Tschaikowsky alle Tiefe und allen Ernst, zeigte ihn allerdings auch als den großartigen Architekten, der er war.

Nicht zu vergessen: Die Wiener Symphoniker waren jenes Spitzenorchester, das sie sein können, wenn einmal alle Umstände stimmen. (Daniel Ender, 5.5.2015)