Die französische Nationalversammlung billigte am Dienstagabend in erster Lesung ein neues Geheimdienstgesetz, das den französischen Ermittlern ebenso große Kompetenzen einräumt wie der amerikanischen NSA. Das behaupten zumindest die 86 Abgeordneten der Grünen und anderer Kleinparteien, die gegen das Gesetz votierten. Die 438 Befürworter der regierenden Sozialisten und der bürgerlichen Opposition hielten dagegen, Frankreich brauche unbedingt einen klaren Rechtsrahmen, um der Terrorbedrohung nach den Attentaten auf das Satiremagzin "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt im Jänner wirksam zu begegnen.

Die französischen Polizeidienste erhalten insbesondere die Möglichkeit, bei Online-Providern Datenschreiber zu installieren, um mit Algorithmen ganze Metadatenströme abzufangen. Das ermöglicht, eine Art Massenüberwachung vorzunehmen. Mit so genannten "Imsi Catchern" können sie zudem Mobiltelefone in einem gewissen Umkreis direkt abhören.

Eingriffe auch ohne Rechtsgrundlage schon möglich

Premierminister Manuel Valls erklärte während der Debatte, Frankreich sei eines der einzigen westlichen Länder, das sich noch kein solches Geheimdienstgesetz gegeben habe. Der neue Erlass legalisiere nur Eingriffe, die technisch gesehen schon vorher möglich gewesen, aber oft "verdeckt" – das heißt ohne Rechtsgrundlage – angewendet worden seien.

Gegner monieren, die Pariser Regierung schaufle sich Vollmachten zu, die größer seien als anderswo, aber weniger kontrolliert. Die Abhör- und anderen Operationen müssen nicht mehr wie früher durch Untersuchungsrichter genehmigt werden. Eine effektive Gewaltentrennung ist damit nicht gegeben. Denn die neu geschaffene Kontrollkommission gibt nur unverbindliche Empfehlungen ab; außerdem kann sie in "Notfällen" umgangen werden. Individuelle Einsprachen sind zwar möglich, doch muss die abgehörte Person zuerst einmal merken, dass sie abgehört oder sonstwie überwacht wird.

Ungenaue Formulierungen

Auch wenn Valls die neuen Vollmachten mit der Terrorbekämpfung rechtfertigte, sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, bei "wesentlichen" wirtschafts- oder außenpolitischen Interessen großflächige Überwachungen zu veranlassen. Diese Begriffe sind so ungenau formuliert und weitgefasst, dass die Dienste des Premierministers sich eigentlich in jedem Fall selber die Kompetenz zu den Lauschangriffen geben können.

Verfassungshof soll prüfen

In einer Petition haben deshalb 850 betroffene Internet- und andere Unternehmen gegen das Gesetz protestiert und teilweise mit dem Auswandern aus Frankreich gedroht. Präsident François Hollande kündigte deshalb von sich aus an, er werde den französischen Verfassungsgerichtshof anrufen, um die Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte durch das neue Gesetz prüfen zu lassen. Nach der Debatte im Senat wird das Gesetz in den nächsten Wochen im Schnellverfahren in die Nationalversammlung zurückkehren, um dort definitiv abgesegnet zu werden.

Der Umstand, dass der deutsche Geheimdienst BND auf Bitte der amerikanischen NSA unter anderem französische Spitzenbeamte und womöglich auch Minister abgehört hatte, wurde in der Parlamentsdebatte nicht weiter thematisiert. Das würde auch nicht viel Sinn machen: Der französische Geheimdienst erhält in dem Gesetz Kompetenzen, von denen der BND wohl nur träumen kann. (Stefan Brändle, 6.5.2015)