Genf - Trotz wirtschaftlichen Wachstums nimmt die Zahl sozial ungesicherter Beschäftigungsverhältnisse nach Expertenangaben weltweit zu. Als Folge würden Einkommen sinken und die Armut wachsen, warnte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht. Den Angaben zufolge arbeiten drei Viertel aller Erwerbstätigen weltweit in befristeten oder informellen Jobs.

Die UN-Sonderorganisation für soziale Gerechtigkeit und Arbeitsrecht fordert die Politik auf, gegen die globale Zunahme der Einkommensunsicherheit vorzugehen.

Immer weniger Arbeitnehmer hätten eine klassische Vollzeitbeschäftigung mit festem Vertrag und sicherem Gehalt, erklärte die ILO. Ohne staatliche Gegensteuerung werde sich ein "Teufelskreis aus schwacher globaler Nachfrage und langsamen Jobaufbau der Nach-Krisen-Zeit verstetigen", warnen ILO-Fachleute im "Bericht über globale Beschäftigung und gesellschaftliche Entwicklungen 2015".

Viele Menschen würden von Arbeitgebern in eine Pseudo-Selbstständigkeit gedrängt oder seien in unbezahlter Familienarbeit beschäftigt - bei insgesamt steigender Tendenz, berichten die ILO-Experten.

Besonders betroffen sind der Studie zufolge die Entwicklungsländer. In Südasien und Afrika südlich der Sahara seien lediglich zwei von zehn Arbeitnehmern regulär angestellt, in Industrieländern seien dies acht von zehn. Problematisch sei auch der weitere Anstieg der Teilzeitarbeit, besonders von Frauen.

Steigende Lücke

ILO-Generaldirektor Guy Ryder räumte ein, dass selbst prekäre Beschäftigungsverhältnisse einigen Menschen überhaupt erst einen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichten. Sie brächten aber auch erhebliche Unsicherheiten mit sich und seien "mindestens teilweise für wachsende Armut und Ungleichheit in vielen Ländern verantwortlich". Die Lücke zwischen besser bezahlten Festanstellungen und instabilen Arbeitsformen habe sich weltweit vergrößert.

Insgesamt nahm laut ILO die Zahl der Arbeitslosen seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 bis heute um 30 Millionen auf 201 Millionen zu. Als Reaktion darauf hätten einige Regierungen, vor allem in Europa, den Arbeitnehmerschutz verringert, um für Unternehmen Anreize zur Einstellung von Personal zu schaffen. Die ILO geht davon aus, dass sich solche Maßnahmen längerfristig eher kontraproduktiv auf Beschäftigung und Erwerbsbeteiligung auswirken.

Die ILO fordert mehr politische Strategien, die wirtschaftlichen Nutzen mit dem Wohl aller Arbeitnehmer verbinden. Ein Beispiel sei das Abkommen für mehr Sicherheit in Textilbetrieben in Bangladesch, das viele Modeketten, sowie internationale und nichtstaatliche Organisationen nach dem Gebäudeeinsturz einer Textilfabrik in Dhaka vor zwei Jahren unterzeichnet haben. Ein anderes Beispiel sei in Deutschland die Einbeziehung von Hausangestellten in ein System der Alterssicherung.

Handlungsbedarf sieht die ILO besonders bei der Einbeziehung in die Sozialschutzprogrammen wie Arbeitslosenversicherungen. Davon würden bisher praktisch ausschließlich regulär Beschäftigte profitieren. Auch seien finanzielle Alterssicherungsprogramme bei Selbstständigen selten: Nur 16 Prozent aller Selbstständigen zahlten 2013 Beiträge in eine Rentenversicherung ein. (APA, 19.5.2015)