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Projektleiter Helmut Hlavacs zu den Anforderungen: "Die wenigsten Computerspiele werden sehr lange gespielt. Die große Herausforderung war es, etwas zu schaffen, das die Kinder auch ein Jahr und länger fesselt."

Foto: APA/EPA/CATRINUS VAN DER VEEN

Wien – Stark geschwächt und isoliert daheim: Bei Krebserkrankungen wie Leukämien und anderen schweren Leiden des blutbildenden Systems müssen sich Patienten mitunter einer sogenannten Blutstammzelltransplantation unterziehen. Danach ist ihr Immunsystem sehr geschwächt und die Gefahr von – oft lebensbedrohlichen – Komplikationen groß.

Die sozialen Folgen eines derartigen Eingriffs sind besonders für Kinder sehr belastend. Die Patienten müssen nach dem Krankenhausaufenthalt bisweilen noch mehrere Monate zu Hause bleiben, den direkten Kontakt zu Freunden vermeiden, sich gegen jegliche Übertragung von Viren oder Bakterien schützen.

Gleichzeitig stehen sie unter strenger Beobachtung der Ärzte. Über ihr Befinden führen sie ein Tagebuch. "Das hat sich in der Praxis als wenig hilfreich erwiesen. Wenn sich die Werte der Patienten verschlechtern, kann der Arzt nicht sofort darauf reagieren - sondern sieht dies erst, wenn er beim nächsten Besuch das Heft anschaut. Wir haben nach einem Ersatz für das eher antiquierte Patiententagebuch gesucht", sagt die Wiener Künstlerin und Forscherin Ruth Mateus-Berr.

Gezielte Patentieninformation

Das Ergebnis: ein Computerspiel für schwerkranke Kinder, das zugleich auf spielerische Art täglich Patienteninformation für den Arzt abfragt und diesen auch gezielt Abfragen in das Spiel einbauen lässt. Mateus-Berr ist Professorin an der Uni für angewandte Kunst und Gymnasiallehrerin. Seit einigen Jahren beschäftigt sie sich mit "medizinischen Kommunikationsprozessen".

Gemeinsam mit der Ärztin Anita Lawitschka von der St.-Anna-Kinderkrebsforschung und dem Informatiker Helmut Hlavacs von der Uni Wien wurde das Projekt "Interacct" geboren: "Es gibt bereits Computerspiele, bei denen die Kinder Krebszellen bekämpfen. Hier hat sich bereits ein positiver Zusammenhang zwischen dem Spielen und dem Annehmen einer Chemotherapie gezeigt", erzählt Mateus-Berr: "Doch wir wollten einen Schritt weitergehen und das Computerspiel individualisieren - abgestimmt auf die Bedürfnisse des kranken Kindes und des Arztes, der frühzeitig eine mögliche Komplikation erkennen muss."

In den letzten zwei Jahren haben die Forscher mit Fördermitteln von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG einen Prototyp des Spiels entwickelt. Zielgruppe sind Kinder zwischen acht und 14 Jahren, die in der Nachbetreuung einer Stammzelltransplantation sind. Das Spiel für den PC und das Handy in seinen Grundzügen: Der Patient kann sich einen Avatar aussuchen. Mit diesem erobert er kleine Inseln, wo er gegen andere Inselbewohner kämpfen muss, Monster, Zaubertränke und Münzen sammeln kann, Aufgaben gestellt bekommt und seine eigenen Fähigkeiten immer weiter ausbaut. Im Spiel muss der Spieler auch Daten über sein Befinden eingeben: Wie hat er geschlafen? Wie viel Appetit hat er? Hat er Schmerzen? Fieber? Wie war der Stuhlgang? Ebenjene individuellen Daten, die der Arzt zur Beurteilung des Zustandes benötigt.

"Eine Insel wird oft als Oase und Erholung gedacht. Das Kämpfen setzen wir als Metapher zum Bekämpfen der Krankheit ein", sagt Projektinitiatorin Mateus-Berr. Projektleiter Hlavacs ergänzt: "Die wenigsten Computerspiele werden sehr lange gespielt. Die große Herausforderung war es, etwas zu schaffen, das die Kinder auch ein Jahr und länger fesselt." Um dieses Verständnis zu unterstützen, ließen die Forscher im Vorfeld zum Projekt rund 200 Kinder Geschichten niederschreiben und Figuren zeichnen.

Unterschiedliche Sprachen

Nachdem das St.-Anna-Kinderspital auch Patienten mit unterschiedlichen Muttersprachen betreut, "musste die Kommunikation im Spiel so nonverbal wie möglich gehalten werden", sagt Hlavacs, das heißt möglichst wenig Textfelder und viel mehr Icons und Schaltflächen, um das eigene Befinden ausdrücken zu können.

Die Entwicklung des Computerspiels war ein Teil des Projekts, der andere Teil war die Aufbereitung der Daten für die Ärzte. Der Aufbau einer Datenbank – samt Anforderungen an die Datensicherheit – erfolgte mit dem Industriepartner T-Systems Österreich, ein Entwickler von "E-Health-Plattformen".

Das Ziel dabei: Die Mediziner können die Daten ihrer jungen Patienten täglich aufrufen, Auffälligkeiten schnell erheben und beim Verdacht einer Zustandsverschlechterung über ein paar Klicks zusätzliche Daten vom Patienten abfragen: "Der Arzt kann zudem den Avatar beauftragen, dass er den Patienten anstupst, zum Beispiel mehr zu trinken", sagt Mateus-Berr.

Die mitunter größte Herausforderung im Projekt war, so die Beteiligten unisono: sich als Vertreter unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche erst einmal zusammenzufinden. "Künstler, Informatiker, Ärzte - wir haben alle sehr unterschiedliche Denkweisen mitgebracht, unterschiedliche methodische Ansätze", sagt Hlavacs. Hier halfen viel Ausdauer, Offenheit – und häufiges Reden. Das Computerspiel wollen die Forscher nun testen. Ideen für seinen Ausbau gibt es auch bereits. So soll künftig etwa auch der Physiotherapeut über ein Kamerasystem dem Patienten körperliche Übungen anordnen können. (Lena Yadlapalli, 20.5.2015)