Der Umbau der Städte als metaphorisches Display in der Ausstellung "Life's Finest Values" in der Kunsthalle Exnergasse. Der größte Teil der Film-/Videoarbeiten wird auf Monitoren präsentiert, "The Good Life" von Vermeir & Heireman ist hingegen als große Projektion zu sehen.

Einige weitere Videos, Ausschnitte und Trailer zu Arbeiten der Ausstellung:

Foto: Wolfgang Thaler

"Tamam Görüsürüz- o.k. Wir sehen uns." (2013) ist eine filmische Materialsammlung von Gülây Akın, Brigitta Kuster und Angelika Levi in Berlin. Zehn Gespräche, die sich mit dem Wohnen am Kottbuser Tor früher und heute, der Geschichte der Einwanderung, dem migrantischen Leben und dem Zusammenleben beschäftigen.

A.Levi

"From Here to There", Iratxe Jaio & Klaas van Gorkum, 2008 - Video

Foto: Iratxe Jaio & Klaas van Gorkum

In "Swing Lesson" (2013) nahm Ina Wudtke Anleihen bei Adrian Piper, die in "Funk Lessons" (1983) weiße US-Amerikaner die Klischees des afro-amerikanischen Tanzstils erlernen ließ (Videoausschnitt). Wudtke hingegen ließ die in Clärchens Ballhaus in Berlin Versammelten Lindy Hop-Schritte für ihren Antigentrifizierungssong "The Fine Art of Living" (2013) einstudieren.

Foto: Ina Wudtke

"The Good Life (a guided tour)" von Vermeir & Heiremans (2009) - Video

Foto: Michael De Lausnay

"The Residence (a wager for the afterlife)" ebenfalls vom belgischen Duo Vermeir & Heiremans (2012) - Video

Foto: Vermeir & Heiremans

Wien - "Dividendenregen und Kaviarträume nehmen uns unsere Freiräume." Als das Kollektiv The Good, The Bad & The Ugly 2013 anlässlich des drohenden Abrisses der Essohäuser in Hamburg die Dämonen der Gentrifizierung musikalisch an den Pranger stellte und mit Reimen wie "Die Fratze des Teufels steht vor unserer Tür, bayrische Babylonier mit Machtgespür" bedachte, war das auch eine Reaktion auf das Album The Fine Art of Living der Berliner Künstlerin, Kuratorin und Musikerin Ina Wudtke aka DJ T-Ina Darling.

Wudtke hatte 2009 ganze sechs Stücke dem Mietwucher und der Invasion der Investoren in der deutschen Hauptstadt gewidmet; für den Albumtitel eignete sie sich sogar den Slogan der "Feinde" an, einer Luxusimmobilienfirma, die in Berlin Wohnungen für die schöne - und insbesondere exklusive - Art des Lebens anpries. "Boom boom plisch plop - blow my fuckin' top!" umschreibt der Refrain ihres Titelsongs lautmalerisch die "Zwischenfälle" bei der Sanierung der Spekulationsobjekte, die Altmieter in die Flucht schlagen.

"Ihr habt die Wüste in einen beliebten Wohnort verwandelt. Ich nehme ihn Euch weg!", gibt sie den schmierigen, renditehungrigen Anzugträger im Video zu The Law. Aus Pionieren der Gentrifizierung wurden Opfer der Gentrifizierung, sagt Ina Wudtke, die dem Thema nun gemeinsam mit Florian Wüst in der Kunsthalle Exnergasse im Wiener Wuk eine Ausstellung widmete: Life's Finest Values - ebenfalls nach dem flotten Motto einer Immobilienfirma benannt, zeigt zwölf Videos zu einer nicht nur lokalen, sondern globalen Fehlentwicklung. Ein inhaltlich präziser Fokus, der - entgegen der gängigen Ausstellungspraxis - tatsächlich einmal ein Feld aufbereitet.

"I am the Law" aus dem Album "The Fine Art of Living" von T-Ina Darling (Ina Wudtke)
RudelRecords

Es sind die Künstler und Künstlerinnen, die Kreativen, die Wohngegenden für die sogenannte "Latte-macchiato"-Mafia attraktiv machen. Ihre prekären Einkommensverhältnisse machen sie aber ebenso zum Opfer der Verteuerung wie andere Niedrigeinkommensschichten. Berlin versuchte in den vergangenen Jahren, durch die Privatisierung von Häusern des kommunalen Wohnbaus Geld in die Pleitekassen zu spülen. Bereits 2008 war der Anteil kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungen am gesamten Bestand von 30,6 (2000) auf 23,6 Prozent heruntergerasselt.

Inzwischen sei es ein Wert um 18 Prozent, mahnt Ina Wudtke. Kürzlich wurde wenigstens die "Mietpreisbremse" installiert, das bedeutet, dass neue Mieten nur zehn Prozent über dem ortsüblichen Richtmietzins liegen dürfen. Zwar sieht die Situation im "Roten Wien" rosiger aus, trotzdem macht die von antikapitalistischen Gedanken Henri Lefebvres ("Recht auf Stadt", 1968) und David Harveys ("Rebellische Städte", 2013) geprägte Schau hier Sinn:

Wer definiert Stadt heute - und wie?

Im Gegensatz zu Marx, der die Vorhut des revolutionären Wandels im Proletariat aus den Fabriken wähnte, erkannte der marxistische (Stadt-)Soziologe Lefebvre die urbanen Dimensionen des Revolutionspotenzials. Auch Harvey, der Städte als Abbilder der kapitalistischen Dynamik von Boom und Krise ansieht, glaubt daran, dass Wohnorte und Nachbarschaft Schauplätze sozialer wie politischer Solidarität sind. Wenn man heute, fast 50 Jahre nach Lefebvre und dem Aufkommen einer Psychogeografie des Urbanen, das Recht auf Stadt einmahnt, was heißt das eigentlich? Der Philosoph meinte das Anrecht auf Austausch, auf kollektiv gestalteten und genutzten öffentlichen Raum. Harvey fragt aber daran anschließend: wer definiert Stadt heute - und wie?

Von dokumentarischen bis zu experimentellen Zugängen reicht die Bandbreite der ausgewählten Filme, die teils bereits bei etablierten Festivals zu sehen waren - etwa beim Steirischen Herbst 2013 (Liquid Assets) oder der vorigen Istanbul-Biennale. Gezeigt werden sie nicht vor einem kunsttypisch glatten, weißen Display, sondern gebettet in ein Setting aus Baugerüsten. Das symbolisiert nicht nur den Umbau der Städte, sondern auch ganz konkret die rücksichtslose Sanierungswut der Investoren in Berlin, deren Auswirkungen auf die Mieter schließlich auch ein Initial für die Ausstellungsmacher war. Metaphorisch auch die Graffitischrift des Titels an der Wand: Sie übersetzt die Großkotzigkeit des Immobiliensprechs in eine widerständige Geste.

Denkmäler moderner Ideale

Selbst antikapitalistische Betrachter müssen hier jedoch stark - aber gut - investieren: Zeit. Das Phänomen einer revolutionären Moderne zeigt etwa Microbrigades (2013, Lisa Schmidt-Colinet, Alexander Schmoeger und Florian Zeyfang) über Laienbautruppen in Kuba, die von 1971 bis 1975 jährlich bis zu 20.000 Wohnungen errichteten. Vierzig Jahre später bröckelt zwar der Putz und die Fassadenfarbe ist nur noch eine leise Erinnerung, aber sonst vermittelt der atmosphärische Beitrag über "Denkmäler" moderner Ideale ein recht idyllisches Bild. Annika Erikssons I am the dog that was always here (2013) hingegen ist ein schwermütiges Filmgedicht, in dem in der Peripherie Istanbuls ausgesetzte Hunde zum Symbol für Opfer der Gentrifizierung werden.

Den Ausverkauf des Öffentlichen breitet Oliver Ressler in The Plundering (2013) aus, lässt Betroffene aus Tiflis wie Zeugen der Anklage frontal auftreten. Sehenswert auch The Anarchist Banker (2009) von Jan-Peter Hammer, das in der Aufmachung eines Fernsehinterviews daherkommt: Der Banker verkauft sich doch tatsächlich als Anarchist, vertritt die These, je mehr Geld er anhäufe, umso größer werde seine persönliche Freiheit. Entlarvend auch das Video Lobbyists (2009) von Libia Castro und Ólafur Ólafsson, die Protagonisten rund um das EU-Parlament in Brüssel vor die Kamera baten. Ein besonderes Highlight ist der perfekt produzierte Film The Good Life des Duos Vermeir & Heiremans. Die Umwandlung einer Kunsthalle in Luxuswohneinheiten inszenieren sie in einer Gebäudehülle: Die ist also ebenso leer wie die angepriesene Lifestyle-Philosophie, die die Kreativität als Gemeingut preist und von in der Sonne genossenen Croissants predigt. (Anne Katrin Feßler, 21.5.2015)