Ein König mit Anlehnungsbedürfnis: Simon Zagermann (Edward, re.) mit seinem geliebten Gaveston Thiemo Strutzenberger.

Foto: Alexi Pelekanos

Abtritt Englands König Edward II. entbrennt in Liebe zu Gaveston, dem Sohn eines Fleischhauers. Die mächtigen Peers sind entsetzt. In ihren Neid mengt sich der Abscheu vor einem schwulen Verhältnis. Edward und Gaveston lassen keinen Zweifel daran, dass sie einander von Herzen zugetan sind. Zuerst wird der König gezwungen, seinen Günstling zu verstoßen. Doch damit nicht genug. Das Reich geht in Flammen auf, Gaveston wird ermordet. Des Königs Fall führt tief hinab in die Verliese des Londoner Tower, dorthin, wo es nach Kot stinkt.

Alibi Die Verschwörer, voran der ehrgeizige Mortimer, versuchen, ihr Tun mit dem Staatsnotstand zu rechtfertigen. Dem Monarchen wird ein rotglühender Pfahl ins Rektum gerammt. Sohn Edward rächt trotz seines zarten Alters den Vater und verschont auch die Frau Mama nicht. Königin Isabella hat, vom Gemahl erotisch vernachlässigt, Trost in den starken Armen Mortimers gesucht.

Brecht Das "sehr beweinenswerte Los" von Edward II. wurde zur Vorlage von Christopher Marlowes (1564-1593) gleichnamigem Königsdrama. Bertolt Brecht nahm gemeinsam mit Lion Feuchtwanger eine Bearbeitung vor, die 1923 an den Münchner Kammerspielen gezeigt wurde. Brechts Jugendwerk gilt als Gründungsdokument des "Epischen Theaters".

Körper Der Oberösterreicher Ewald Palmetshofer hat im Auftrag der Wiener Festwochen eine neue Version des Stückes angefertigt. In Edward II. Die Liebe bin ich stellt Palmetshofer Marlowes Text (1594 veröffentlicht) vom Kopf auf die Füße. Die weitschweifige Rhetorik der Vorlage wird durch eine Sprache der Leiblichkeit ersetzt. Homosexuelle Erotik bemächtigt sich der Sprache bei Hof. Sogar Königin Isabella kann sich der sexuellen Aufladung des herrschaftlichen Diskurses nicht entziehen. Sie fragt allen Ernstes, indem sie ihr Los als verschmähte Gemahlin beklagt: "Mein König trägt ein Loch in seiner Brust / ob das die Öffnung ist, in die sein Liebster Liebe macht (...)".

Zweierlei Königsleiber

Liebe Die Liebe findet keinen Platz in einer Ordnung, die den "doppelten Körper" des Königs unversehrt zu erhalten wünscht. Der natürliche Leib des Monarchen ist nur in strikter Trennung von seinem "politischen Körper" zu verstehen. Dieser überdauert jeden Wechsel der Person. Die Königswürde bleibt unter allen Umständen sakrosankt. Mit Anbruch der Moderne wechselt das Körperbild allmählich auf die Nation als das Staatsganze über ("Etwas ist faul im Staate ...").

Schwulsein Die radikalste Lesart des Stoffes entwickelte der britische Filmregisseur Derek Jarman 1991. Jarman entwarf das nachtschwarze Bild von Thatcher-England: ein Reich des homophoben Grauens. Edwards schwule Liebe stürzt das Land ins Chaos, weil er seinen Günstling mit Ehrentiteln überhäuft. Die von ihm gemiedene Königin wird von Tilda Swindon androgyn gespielt. Sängerin Annie Lennox hat einen Gastauftritt. Zu ihrem Titel Ev'rytime We Say Goodbye nehmen der König und sein Liebhaber herzzerreißend voneinander Abschied.

Tower Palmetshofers kluge Umschrift des Dramas enthüllt die Begehrlichkeiten der Figuren. Geißeln die Lords die königliche Misswirtschaft, bedienen sie sich auffällig vieler Bilder phallischen Inhalts. Dann ist von Gavestons "Stehauf-Stolz" die Rede. Wörter wie "Tiefgeburt" verweisen umgekehrt auf die Tätigkeit des Ausscheidens. Kaum ist der König gefasst und in den Tower geworfen, können die Peers - unter ihnen geistliche Herren - ihre Befriedigung nur schwer verbergen. Noch weigere der König sich zu sterben, obwohl er "bis zu den Knien im Kerker in der Jauche steht / die Pisse Scheiße aus dem Schloss / Kanäle leiten sie zum König tief hinab". Auch die Conclusio lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Es ist der Tod des Königs vorgeseh'n natürlich einzutreten / in dem Loch".

Würde Auf seinem Weg in den Untergang offenbart Edward die Größe eines Märtyrers. Er darf für den unwesentlich älteren "Bruder" von Shakespeares Richard II. angesehen werden. Auch dieser verliert wegen Pflichtvergessenheit die Krone und wird, seiner Würde beraubt, zum stillen Helden, der sein Leid als Schmerzensmann erträgt. Die Analogien zum Martyrium Christi liegen auf der Hand. Zugleich kündigt sich auf beunruhigende Weise das Ende des Mittelalters an. (Ronald Pohl, 26.5.2015)