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Nach Vorbild deutsch-französischer Initiativen nach dem Zweiten Weltkrieg soll auch der Austausch zwischen der serbischen und der albanischen Jugend gefördert werden. Der Besuch von Premier Vučić bei Premier Edi Rama in Albanien war nur der erste Schritt.

Foto: APA/EPA/Babani

Die Stimmung war diesmal viel besser als im November in Belgrad. Offensichtlich gewöhnt man sich langsam daran, dass man offen miteinander reden kann. Beim gestrigen Besuch des serbischen Premiers Aleksandar Vučić in der albanischen Hauptstadt Tirana sagte sein Gastgeber, Premier Edi Rama, die wechselseitigen Besuche würden ein Zeichen des Willens sein, die beiden Völker näher zueinanderzubringen. Er hoffe, dass Vučić wieder nach Albanien zurückkehre und auch seine Landsleute kommen würden. Rama betonte die historische Dimension der neuen Zusammenarbeit. "Wir haben die Möglichkeit, zu tun, was die Franzosen und Deutschen für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg getan haben." Die Zukunft liege gemeinsam in der EU. Nun wolle man sich zunächst gegenseitig bei Projekten für Infrastruktur, Bildung und Tourismus unterstützen. Rama betonte die Wichtigkeit des Dialogs zwischen Serbien und dem Kosovo. Dieser sei "der Prolog für die neuen Beziehungen zwischen Albanern und Serben".

Vučić sagte, dass er stolz sei, als erster Premier Albanien zu besuchen. Er betonte, dass es in der Kosovo-Frage eine Differenz zwischen Serbien und Albanien gebe. Serbien behandle den Kosovo als integralen Bestandteil, während Albanien den Kosovo als unabhängigen Staat sehe. Man wolle aber den Dialog. Im Vorfeld des Besuchs hatte ein Vorschlag des serbischen Präsidenten Tomislav Nikolić für Debatten gesorgt. Nikolić hatte vorgeschlagen, dem Kosovo als Provinz Serbiens Autonomierechte zuzugestehen, was all den Entwicklungen der letzten Jahre (der Kosovo hat sich 2008 für unabhängig erklärt) widerspricht und auch den Weg Serbiens in die EU gefährden könnte.

Ismail soll Drohne gesteuert haben

Der deutsche Historiker und Südosteuropa-Experte Konrad Clewing verweist darauf, wie elegant Vučić auf den Vorschlag Nikolićs reagiert habe. Er habe nämlich darauf hingewiesen, dass man zunächst intern darüber diskutieren müsse, wie realistisch dieser sei. Unter Experten wird angenommen, dass es sich im Hintergrund um einen Konflikt zwischen Nikolić und Vučić handeln könnte. Vučić sagte jedenfalls, dass man im Westen negativ auf Nikolićs Vorschläge reagiert habe.

Der serbische Regierungschef erwähnte in Tirana auch das Fußballspiel im Oktober 2014 in Belgrad zwischen Albanien und Serbien, das abgebrochen werden musste, nachdem eine Drohne mit einer großalbanischen Flagge über dem Stadion aufgetaucht war und serbische Fans den Rasen gestürmt und albanische Spieler attackiert hatten. Vučić meint, dass der Mann, der hinter der Aktion mit der Flagge stecke, Ismail heiße und mit anderen Leuten drei, vier Tage vor dem Spiel aus Italien nach Belgrad gekommen sei. Das Büro von Vučić hatte kurz nach dem Spiel fälschlicherweise den Bruder des albanischen Premiers, Olsi Rama, beschuldigt, die Drohne gesteuert zu haben, obwohl dies schon aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen gar nicht möglich gewesen wäre.

Großalbanien kein Projekt

Rama meinte, dass beide Seiten aus dem Vorfall eine Lektion gelernt hätten. Er stellte klar, dass "Großalbanien für uns kein Projekt oder Programm ist". Insbesondere in serbischen Medien, aber auch von russischer Seite wurde in den vergangenen Monaten immer wieder die Angst vor einem "Großalbanien" geschürt. Zudem hatte eine Aussage Ramas für Kritik gesorgt. Rama hatte im April gesagt, dass sich der Kosovo und Albanien auf "klassische Weise" vereinigen müssten, wenn die gemeinsame EU-Integration stocke. Im Parlament in Tirana gibt es allerdings keine einzige Partei, die solch ein Großalbanien unterstützen würde. Und der albanische Premier betonte am Mittwoch in Tirana, dass es vielmehr Ziel sei, dass alle Staaten in der Region in die EU integriert werden. "Wir würden lachen, wenn wir eine großserbische Fahne sehen, aber das ist eine Frage der Wahrnehmung", sagte er zu dem Flaggen-Vorfall.

Clewing denkt, dass Rama mit seinen früheren Aussagen über die Vereinigung des Kosovo mit Albanien mehr Engagement der EU in Südosteuropa provozieren wollte. "Die Albaner waren immer lammfromm, aber so lammfromm wird es Rama nicht mehr machen", so Clewing zum STANDARD. Rama habe ein Gespür für Stimmungen. Großalbanien sei kein großes Thema, aber es gebe ein Zusammengehörigkeitsgefühl. "Ein Albaner aus Tirana findet einen Kosovaren vielleicht merkwürdig, weil er so spricht, wie er spricht, aber ausländisch findet er ihn nicht", so Clewing.

Anerkennung der Diplome

Fortschritte im zwischenstaatlichen Verhältnis zwischen Serbien und Albanien gibt es nun auf einer sehr praktischen Ebene. Vučić bestätigte bei seinem Besuch, dass es zu einer vollen Anerkennung der wechselseitigen Diplome kommen werde. Bislang haben Serbien und Albanien etwa Hochschulzeugnisse nicht anerkannt. Bei dem Besuch ging es auch um Infrastrukturprojekte und Handelsaustausch. Das Treffen in Tirana ist als Teil des Berlin-Prozesses zu verstehen, der von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vergangenes Jahr angestoßen wurde. Im Vorfeld des großen Balkan-Gipfels Ende August in Wien, zu dem auch Merkel anreisen wird, müssen die Balkan-Staaten konkrete Kooperationsprojekte vorweisen. Die EU ist bereit, Geld für diese zur Verfügung zu stellen. Bisher sind einige Arbeitsgruppen entstanden, in denen Vertreter der verschiedenen Ministerien der Region zusammenarbeiten.

So geht es etwa um den Ausbau der Autobahn zwischen dem serbischen Niš und der kosovarischen Hauptstadt Prishtina. Diese Autobahn würde letztlich auch die Verbindung zwischen Belgrad, Niš und der albanischen Hafenstadt Durrës herstellen. "Die Infrastrukturprojekte könnten ernst gemeint sein", meint Clewing. "Es geht ja auch um EU-Gelder", so der Experte vom Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg.

Jugendaustausch in der Region

Ein Projekt, das vor allem Deutschland ein großes Anliegen ist, ist der Jugendaustausch in der Region. Serbien und Albanien sollen sich die deutsch-französischen Initiativen, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, als Vorbild nehmen, um ein besseres Verständnis zu entwickeln. Deshalb werden Vertreter aus Albanien und Serbien Jugendprojekte in Deutschland und Frankreich besuchen, und in Tirana soll ein gemeinsames regionales Jugendzentrum entstehen, das von der EU unterstützt wird.

In den vergangenen Jahrzehnten gab es praktisch keine Beziehungen zwischen Serbien und Albanien. Weil Albanien in kommunistischer Zeit komplett isoliert war, gab es auch lange keine Beziehungen zu Jugoslawien. Das Nichtwissen übereinander zeigt sich auch in der Medienlandschaft, so Clewing. In Belgrad gebe es keine albanischen Korrespondenten und umgekehrt. Wegen der fehlenden Kontakte und der fehlenden Kenntnis des jeweils anderen Landes kann die Öffentlichkeit auch leicht manipuliert werden.

Auf der albanischer Seite wird betont, dass man den Problemen nicht aus dem Weg gehen und alles besprochen werden sollte. Auch der Kosovo. Die Annäherung zwischen Serbien und dem Kosovo über den Dialog in Brüssel ist seit geraumer Zeit ins Stottern gekommen. Beide Seiten blockieren sich dadurch auf dem Weg Richtung EU. Insgesamt haben weltweit 109 Staaten den Kosovo anerkannt. In Südosteuropa haben dies außer Serbien, auch Griechenland und Bosnien-Herzegowina nicht getan.

Vienna Economic Forum in Tirana

Der Besuch Vučićs wurde erst vor einer Woche bestätigt – weshalb dies so kurzfristig verlief, ist unbekannt. In der serbischen Berichterstattung steht allerdings das Thema Sicherheit im Vordergrund. Tatsächlich gibt es in Tirana rund um den Besuch weitgehende Sicherheitsvorkehrungen.

Am Donnerstag findet in Tirana das Vienna Economic Forum statt, zu dem politische Vertreter aus der gesamten Region erwartet werden, unter anderem auch der mazedonische Premier Nikola Gruevski. Mazedonien gilt wegen der Feuergefechte in Kumanovo am 9. Mai, bei denen 22 Personen starben, und wegen der angespannten innenpolitischen Situation als labilster Staat in der Region. Albanien forderte eine internationale Untersuchung der Ereignisse. Rama betonte, dass das Ohrid-Abkommen, das den bewaffneten Konflikt in Mazedonien 2001 beendete, umgesetzt werden müsse. (Adelheid Wölfl, 28.5.2015)