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Serbiens Premier Aleksandar Vucic und sein albanischer Amtskollege Edi Rama während des Vienna Economic Forums in Tirana.

Foto: EPA/ARMANDO BABANI

Serbien ist kein Problem für Albanien. Aus Sicht von Tirana muss man vielmehr wegen Griechenland bangen. Vergangenen Donnerstag, als in Tirana die Premiers von Serbien, Mazedonien und dem Kosovo mit dem albanischen Premier Edi Rama zusammentrafen, formulierte dieser scharfe Worte in Richtung Athen. Er forderte neue Verhandlungen über die weiterhin unklaren maritimen Grenzen der beiden Nachbarstaaten ein. "Wir sind nicht bereit, das nationale Interesse im Namen guter nachbarschaftlicher Beziehungen wegzuverhandeln", meinte der albanische Premier. Und: "Wir haben nicht versprochen, unsere Augen zu schließen."

Die Antwort aus Griechenland darauf war besonders harsch: "Die politische Führung unseres freundlichen Nachbarlands entgleist in Worten und Taten jeden Tag mehr", sagte der Sprecher des Außenministeriums, Konstantinos Koutras. "Eine Rückkehr zu Logik und Respekt für Rechtmäßigkeit und das internationale Recht ist der sicherste Weg für Albaniens europäische Perspektive. Kein weiterer Kommentar." Das war wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass Griechenland Albanien auf dem Weg in die EU blockieren könnte, so wie es das mit Mazedonien tut. Bereits 2014 hatte Griechenland, als Albanien den Kandidatenstatus bekam, zunächst gezögert. Nun gibt es in Albanien die Sorge, dass Griechenland nur den Weg zu Beitrittsverhandlungen ebnen wird, wenn die Seegrenzen geklärt sind. Dabei geht es um viel: Im Ionischen Meer soll es Ölreserven geben. Albanien will noch Ende des Jahres mit den Beitrittsverhandlungen beginnen.

Bodenschätze im Ionischen Meer

Der Konflikt spitzt sich schon seit geraumer Zeit zu. Vor drei Wochen warnte das albanische Außenministerium Griechenland davor, in jenen Zonen im Ionischen Meer Explorationen durchzuführen, von denen unklar ist, ob sie zu Griechenland oder zu Albanien gehören. Tirana behauptet, Griechenland würde in albanischen Gewässern suchen. Als am 22. Mai die Außenminister der Region in Tirana zusammenkamen, boykottierte der Grieche Nikos Kotzias das Treffen. Albanien verlangt nun von Griechenland die geografischen Karten für die geplanten Explorationen offenzulegen. 2009 hatten Griechenland und Albanien noch ein Abkommen zur Festlegung der Seegrenzen ausgehandelt, doch die Sozialisten unter Rama – damals in der Opposition – wandten sich an das Verfassungsgericht und dieses erklärte 2010 die Vereinbarung für ungültig.

Auf der anderen Seite fordert Griechenland Friedhöfe im Süden Albaniens für griechische Soldaten, die 1940/1941 im Krieg gegen die Italiener fielen. Eine Vereinbarung zu diesen Friedhöfen wurde von Albanien nicht umgesetzt. Formal befinden sich Griechenland und Albanien sogar noch im Krieg, was auf einem griechischen Gesetz aus dem Jahr 1940 basiert, das niemals annulliert wurde.

Volksgruppe der Çamen

Ebenfalls aus dem Zweiten Weltkrieg stammt ein weiterer Disput. Es geht um die Çamen, eine Volksgruppe, die albanisch spricht und die Ende des Zweiten Weltkriegs – weil ihnen vorgeworfen wurde, mit dem faschistischen Italien und den Nazis kollaboriert zu haben – aus Griechenland vertrieben wurde. Für Griechenland ist die Sache erledigt. Die Çamen aber, die heute großteils in Albanien leben, fordern die griechische Staatsbürgerschaft und Land zurück. Die griechische Seite hat nun verstört, dass der Chef der Çamen-Partei Shpëtim Idrizi vergangene Woche zum Vize-Parlamentssprecher in Albanien gewählt wurde. Kurz darauf trat zudem der zweite Vize-Sprecher des Parlaments, der Chef der Partei für die griechische Minderheit, Vangjel Dule, zurück. Das griechische Außenministerium monierte, dass dies "der europäische Perspektive Albaniens nicht helfe". Und stellte damit schon wieder die Rute ins Fenster.

Warnung vor EU-Blockaden

Der albanische Analytiker und Journalist Remzi Lani warnt vor weiteren Blockaden für die Nachbarn auf dem EU-Weg. "Wenn wir alle blockiert werden in unseren Bemühungen, der EU beizutreten, dann schauen wir irgendwann aus wie Mazedonien." Tatsächlich blockiert Athen seit Jahren den Beitritt Mazedoniens zur Nato und damit dessen Westanbindung und den Beginn von EU-Verhandlungen. Viele Experten sind sich einig, dass Griechenland zumindest eine Mitverantwortung für die negativen Entwicklungen in Mazedonien in den vergangenen Jahren trägt. Das Land glitt immer mehr in eine autoritäre Richtung ab, der Nationalismus und die Propaganda stiegen.

Der Grund für die Blockade ist, dass Griechenland den Staatsnamen Mazedoniens nicht akzeptiert, weil man in Athen fürchtet, dass damit Gebietsansprüche (ein Teil in Griechenland trägt den gleichen Namen) verbunden sind. Griechenland verhindert auch aktiv, dass die Namensfrage in die EU-Verhandlungen mit Mazedonien einbezogen wird. Zudem hat Griechenland, neben weiteren vier EU-Staaten, den Kosovo nicht anerkannt. Aus albanischer Perspektive macht der griechische Nachbar im Süden keine aktive Balkan- und Nachbarschafts-Politik, sondern setzt auf das Veto, um eigene Interessen zu sichern.

Fortschritte mit Serbien

Mit Serbien, das gar nicht an Albanien angrenzt, gibt es hingegen Fortschritte. Der Besuch des serbischen Premiers Aleksandar Vučić in Tirana vergangenen Donnerstag ist positiv verlaufen. Vučić sprach von Freundschaft und gab mitten am Skanderbeg-Platz in Tirana den Medien Interviews. Vučić und Rama könnten künftig ganz gut als Führungsduo auf dem Balkan funktionieren. Wobei Rama eher etwas verlieren kann, wenn er mit Vučić auftritt, als umgekehrt, meint Lani.

In den Ländern Ex-Jugoslawiens (insbesondere in Serbien), wo "die Albaner" noch von vielen irgendwie mit den Kosovo-Albanern gleichgesetzt werden, fehlt es an Wissen über Albanien, an Besuchen und an Austausch, wie auch umgekehrt. Denn die albanischen Albaner besuchen im Vergleich zu den anderen Südosteuropäern viel weniger die Balkanregion, sie fahren eher nach Italien oder nach Deutschland und die Schweiz. Es fehlen auch Beziehungen mit den anderen Balkanstaaten, nicht nur mit Serbien. Der einzige Balkan-Staat, der aufgrund der Wirtschaftsmigration von vielen Albanern in den vergangenen 25 Jahren aufgesucht wurde, ist Griechenland.

Mehr Ressentiments seit Fußballspiel

Die Albaner in Albanien teilen die Geschichte, die Kriege, die Traumatisierungen, die Emotionen der Menschen in Ex-Jugoslawien nicht. Und sie können sie auch nicht nachvollziehen. Als vorigen Oktober zehntausende serbische Fußballfans 40 Minuten lang "Tötet die Albaner" im Fußballspiel in Belgrad brüllten, war der Schock in Albanien groß. Man verstand überhaupt nicht, woher dieser Hass kam. Seit diesem Fußballspiel sind die antiserbischen Ressentiments gestiegen. Und die großalbanischen Flaggen tauchen auf Kaffeehäferln und T-Shirts auf.

In Albanien gibt es zu einem großen Teil des 20. Jahrhunderts völlig andere Bezüge, historische Referenzen und Identitätsbildungen. "Wir sagen wie die anderen Leute auf dem Balkan 'Hajde', aber das ist schon das Einzige, was wir mit ihnen gemeinsam haben", sagte kürzlich ein junger Albaner in Tirana bei einem Abendessen. Die albanischen Albaner orientieren sich eher an Italien. Wenn man in Albanien das Radio aufdreht, ist es sehr wahrscheinlich, dass man italienische Popmusik zu hören bekommt. (Adelheid Wölfl aus Tirana, 1.6.2015)