Die gemeinsame Planung eines Hauses wie des Seesterns ist zeitintensiv – dafür kann überall mitgeredet werden.

Foto: Philipp Naderer / Seestern

Leben in der Großstadt kann einsam sein: Oft kennen sich Nachbarn auch nach Jahren, in denen sie Tür an Tür gelebt haben, nicht. Wer Mitglied einer Baugruppe ist, wird dieses Problem höchstwahrscheinlich nicht haben. Denn bei dieser Wohnform finden sich Menschen mit ähnlichen Weltanschauungen zusammen und bauen gemeinsam. Auch beim Wohnen wird viel Wert auf Gemeinschaft gelegt.

Fünf solche Baugruppen verwirklichen ihre Wohnprojekte auf dem Baufeld D13 in der Seestadt Aspern. Zwei davon – JAspern und B.R.O.T. – haben ihr neues Zuhause bereits bezogen. Alle anderen sollen noch heuer fertig werden. Mit der Baugruppe LiSA hat im Mai das letzte Projekt seine Dachgleiche gefeiert.

"Die Wartelisten sind lang", berichtet Luiza Puiu, die mit ihrem Freund Anfang August eine Wohnung im Projekt Seestern beziehen wird. Das junge Paar hat sich für die Baugruppe entschieden, weil sie sich eine Eigentumswohnung nicht leisten konnten. Am Projekt habe ihr gefallen, dass sie alles mitentscheiden konnten, gleichzeitig aber nicht die Verantwortung für die Finanzen tragen. Die Baugruppe, die als Verein fungiert, arbeitet mit einem gemeinnützigen Bauträger zusammen.

Wer Mitglied einer Baugruppe werden will, muss aber auf der Suche nach mehr als nur einer Wohnung sein: Wer einzieht, muss Interesse an der Gemeinschaft mitbringen, zahlreiche Gemeinschaftsflächen, etwa Sauna und Dachterrasse, stehen allen Bewohnern zur Verfügung.

Entscheidungsfindung

Mittlerweile nimmt das Projekt Seestern Formen an. Derzeit werden noch für einen Co-Working-Bereich Interessenten gesucht. Bis hierher war es ein langer Weg: "Zeitintensiv ist das schon", räumt Puiu ein. Denn jede Entscheidung wird gemeinsam gefällt. Anfangs habe sie es für unmöglich gehalten, eine Einigung zu erzielen, sagt die Fotografin. "Aber im Laufe der Diskussionen wird die eigene, strenge Meinung relativiert." Außerdem sei es schön, überall mitreden zu können – bei jedem Fenster und bei jeder Steckdose.

Im Südwesten der Seestadt gelegen, stehen der Baugruppe Que(e)rbau wohl noch viele Diskussionen bevor. Im Sommer wird das Projekt, das ein Wohnhaus für Menschen mit queeren Lebensentwürfen werden soll, dem zuständigen Grundstücksbeirat vorgelegt.

Aufseiten der Stadt zeigt man sich mit den Baugruppen in Aspern zufrieden: Ihre Mitglieder würden viel für die Bildung neuer Gemeinschaften und Nachbarschaften leisten. Nikolaus Summer von der Projektleitung Seestadt Aspern fände es "erfreulich", wenn es weitere Baugruppenprojekte in der Seestadt geben würde. Konkrete Pläne nennt er keine.

Projekte am Hauptbahnhof

Beim Wiener Hauptbahnhof läuft seit Jahresanfang ein Baugruppenverfahren: Vier Grundstücke speziell für Baugruppen werden zum Fixpreis verkauft, die Entscheidung, welche Gruppe zuschlagen darf, fällt ein Quartiersentwicklungsgremium anhand eingereichter Konzepte.

Die Abgabefrist für die erste Stufe endete vor wenigen Tagen. Ernst Gruber von der Initiative für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen schätzt, dass sich zwölf Projekte beworben haben. Auch ihre Wartelisten dürften lang werden.

Die Gründe für die wachsende Beliebtheit dieser Wohnform sieht Gruber darin, dass die jungen Generationen heute viel vertrauter mit dem Konzept einer Wohngemeinschaft sind. Auch der demografische Wandel und eine Veränderung von Arbeits- und Familienstrukturen spiele eine Rolle.

Für Luiza Puiu ist es aber auch eine Sehnsucht nach Vergangenem, die den Erfolg dieser Wohnform ausmacht: "Es gibt viele Menschen, die weg von der Anonymität der Großstadt wollen", sagt sie. "Sie wollen, dass ihre Kinder so aufwachsen wie sie früher am Land." (Franziska Zoidl, 2.6.2015)