Wenn der Sommer endlich daherkommt, ist es allen plötzlich zu heiß, und sie flüchten sich in ihre vollklimatisierten Blechdosen. Der Biker, die Bikerin hingegen schätzt den Kontakt mit den Naturgewalten, setzt sich an solchen Tagen aber idealerweise nicht hinter die Vollverkleidung eines hypernervösen Vierzylinger-Racers, sondern auf ein Naked Bike. Zum Beispiel auf die Triumph Thruxton 900, deren heuriges Sondermodell auf den Namen "Ace" hört.

Kleine Seligmachung

Kleiner Selbstversuch: Man/frau fahre zuerst mit irgendeinem hypermodernen Hornissenmoped und dann mit einem Retrobike à la Triumph Thruxton. Hier verengte Sehschlitze, dort erweiterte Pupillen. Jö, die gute alte Zeit! Fragt tatsächlich ein Herr mittleren Baujahrs beim Abstellen der Thruxton: "Oh, die ist aber liebevoll restauriert. Wie alt ist sie denn?" - "Neu." - "Wie neu?" - "Ganz neu. 400 Kilometer, Baujahr 2015." - "Ein Wahnsinn, dass man heute noch Motorräder baut, die auch wirklich noch wie Motorräder ausschauen!" Spricht's und trottet selig davon.

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Rennstrecken und Kaffeehäuser

Triumph Thruxton 900 Ace, also. Das ist kein Tippfehler und auch kein gemeiner Test der Englischlehrerin, die dich demütigen will, weil du das "Tii-Eitsch" nicht ordentlich rausbringst: Das ist der Name einer südenglischen Flugplatz-Rennstrecke, und sowas bietet sich an bei einem ehrlichen Echtmetall-Motorrad, das als Café Racer daherkommt. Man hätte auch Silverstone oder Donington oder Brands Hatch oder Goodwood probieren können... ok, vielleicht saß doch eine hantige Englischlehrerin im Marketing-Team.

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Wo Café Racer herkommen

Das "Ace" kommt vom gleichnamigen Café in Stonebridge, nordwestlich von London. Früher hieß es Trucker Café. Es ist historischer Boden für die Motorrad-Subkultur: Hier bastelte man, hier wurde der Begriff Café Racer geboren, hier machte man "Hatzerl"... Ob jemals ein Fünfer-BMW nach der BP Tankstelle auf der Triester Straße in Wien benannt werden wird?

Limitierte Edition

Jede Ace hat eine eigene Seriennummer, ist mit einem weißen Tank und schwarzen Seitendeckeln ausgestattet und hat als Logo das Treff-As - nicht im Ärmel, sondern auf den Seitendeckeln. Dazu eine melanzanifarbene Sitzbank. Laufräder und Motorblock sind schwarz. Edel und cool, technisch bleibt aber alles wie bei der Großserien-Tii-Eitsch.

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Wien statt London

Wien mag nicht ganz so cool wie London sein, hat aber einen riesigen Vorteil: Man ist in wenigen Minuten dort, wo sonst niemand ist: im Weinviertel. Herrlich, hier klingt die lästige Sehnenscheidenentzündung vom andauernden Biker-Grüßen rasch ab; hier kann man beim Rumgondeln ins Land einischau'n. Und hoffen, dass irgendwo auf der Strecke ein Café offen hat.

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Zwischen Bass und Bariton

Wer das schnell rausfinden will, braucht nur ein bissl am Gas zu zupfen, der luftgekühlte Reihenzweizylinder lässt sich mit bass-baritonem Brabbeln prächtig niedertourig fahren und legt ab zirka 5000 Touren so zu, dass es eine Freude ist. Freilich, eine Supersport ist das nicht, aber knappe 70 PS reichen allemal für die hurtige Landpartie. Am ehesten zeigt das Fahrwerk die Grenzen auf. Aber am Aftermarket gibt's ja Federbeine, Reifen und andere Komponenten sonder Zahl.

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Last year of Luftkühlung

Seit einigen Jahren sorgen eine moderne Multipoint-Einspritzung und Katalysatoren dafür, dass man durch den Abgastest kommt. Aber man tut dann doch noch so, als ob man old school wäre: Die EFI-Anlage tarnt sich als Doppelvergaser. Und mit der klassischen Luftkühlung des Twins ist es demnächst vorbei: 2016 kommt dem Vernehmen nach ein teilweise flüssigkeitsgekühlter Motor. Dann werden oben die Zylinderköpfe umspült, während der Rest wie bisher umweht wird. Eine ähnliche Lösung ließ sich schon BMW einfallen, um ihren klassischen Boxermotor in die Jetztzeit rüberzuretten. Gefallen hat es dort nicht allen. Von wegen reine Lehre und so...

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Bodenhaftung

Dass die Reifen mit 100er (vorne) und 130er (hinten) Breite für neumoderne Begriffe eher schmächtig sind, ist für die weniger Waghalsigen durchaus ein Vorteil: Man kommt mit weniger Schräglage durch die Kurve. Die Metzeler-Kombi verrichtet bei Trockenheit gute Dienste, bloß das Vorderrad läuft gern allen Längsrillen nach... ein ewiges Diskussionsthema in den einschlägigen Foren.

Solider Rettungsanker

Die Bremsen funktionieren einwandfrei und solide, lassen sich gut dosieren, sind aber naturgemäß nicht jene brutalen Anker, die dich vom Bock runterreißen. ABS gibt's erst ab nächstem Jahr, für Puristen vielleicht ein Grund, doch noch heuer zuzugreifen.

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Eh ganz schön gemütlich

Insgesamt ist die Thruxton komfortabler als gedacht. Eine Tankfüllung lang lässt es sich recht locker auf dem Bock aushalten. Und dann noch eine. Da sich die Verkleidung auf der Sitzbank mit zwei Griffen zum Inbusschlüssel abnehmen lässt, hat auch ein/e Sozius/a Platz. Theoretisch ist die Thruxton sogar einigermaßen tourentauglich, und zwar nicht nur für solche Frohnaturen, die gern zu Büßergürtel und Flagellum greifen.

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Soft oder Hard

Teilweise von Triumph selbst, zum größeren Teil aber von Drittanbietern gibt's feine, durchaus stylische Gepäcklösungen; von Softbags über Hardcases bis zu Tankrucksäcken. Doch ein bissl Vorsicht ist geboten: Nicht jedes System, das auf eine Bonneville passt, ist auch für die Thruxton geeignet. Während die Endtöpfe der Bonnie flach und tief liegen wie Abflussrohre, recken sie sich bei der Trixi keck in die Höhe. Es könnte also fallweise zu Platz- oder Hitzeproblemen kommen.

Foto: motosickle
Almauftrieb in Newchurch

Natürlich sollte jeder Triumph-Fahrer zumindest einmal im Leben nach Neukirchen am Großvenediger gepilgert sein, nämlich zu den Tridays. Dieses Hochamt der Benzinverbrennung findet heuer vom 21. bis 28. Juni statt und ist nicht nur ein Fan-Treffen auf österreichischer Ebene, sondern quasi der Songcontest mal Frequency der Triumph-Szene weltweit. Triumph hat sogar ein Bonneville-Sondermodell namens Newchurch im Programm. Österreich ist also irgendwie ein Gravitationspunkt einer weltweiten Sekte. Keine Ahnung, ob das cool oder spooky ist...

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Prädestiniert fürs Pimpen

Es gibt wenige Motorräder, die dermaßen gut geeignet sind für Um- und Ausbauten wie die Bonneville und ihre Derivate Thruxton und Scrambler. Die Thruxton Ace ist schon serienmäßig gepimpt, zumindest optisch. Da würde bis auf Nuancen - eventuell bei der Auspuffanlage - jeder optische Eingriff befremdlich wirken.

Wer also gröber umbauen will, sollte wohl eher zu einer "normalen" Thruxton greifen. Für den Alltagsgebrauch wäre zum Beispiel ein etwas höherer Lenker g'scheit. Und die Lenkerendspiegel sind zwar sehr lässig, doch diese ständig beim Durchschlängeln in der City zu opfern, ist auch schad'. Blinker, Rücklicht... das sind leichte Bastelübungen. Für alles andere gibt's Spezialisten.

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Technische Daten

Motorbauart: luftgekühlter Reihen-Zweizylinder, 865 ccm, 360° Hubzapfenversatz, DOHC, sequentielle Multipoint-Einspritzung, Bohrung 90 mm, Hub 68 mm, Verdichtung 9,9
max. Leistung: 69 PS 7400 U/min
Drehmoment: 69 Nm 5800 U/min
Antrieb: 5 Gänge, Mehrscheibenkupplung in Ölbad, Kette
Rahmen: Stahlrohrschleifenrahmen, Zweiarmschwinge
Fahrwerk vo / hi: 41mm KYB Vorderradgabel, 120mm Federweg, einstellbare Federbasis / Verchromte KYB Stereo-Federbeine, 106 mm Federweg, einstellbare Federbasis
Bremserei vo / hi: 320 mm schwimmende Bremsscheibe, Nissin 2-Kolben Schwimmsattel / 255 mm Bremsscheibe, Nissin 2-Kolben Schwimmsattel
Reifen/Laufräder vo / hi: 100/90 18 Zoll auf Alu-Speichenrad, 36-Speichen, 18 x 2,5 Zoll / 130/80 17 Zoll auf Alu-Speichenrad, 40-Speichen, 17 x 3,5 Zoll
L / B / H: 2150 / 830 / 1095 mm
Radstand / Lenkkopfwinkel / Nachlauf: 1490 mm / 27° / 97 mm
Sitzhöhe: 820 mm
Tankinhalt: ca. 16 Liter
Verbrauch: im Selbstversuch je nach Laune 5,5-7 Liter/100 km
Gewicht fahrbereit / trocken: 230 kg / 214 kg
Instrumente: Analog-Tacho und Drehzahlmesser mit einer digitalen Gesamt- sowie zwei Tageskilometeranzeigen und Uhr, Benzinstandanzeige mittels Warnleuchte
Führerscheinklasse: A
Preis
: 11.590,- Euro (Thruxton 900 Ace) / 10.990,- Euro ("normale" Thruxton 900)

Links: Triumph in Österreich - Tridays 2015 in Österreich

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme an internationalen Fahrzeug- und Technikpräsentationen erfolgt großteils auf Basis von Einladungen seitens der Automobilimporteure oder Hersteller. Diese stellen auch die hier zur Besprechung kommenden Testfahrzeuge zur Verfügung.

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