Die Bahnsteige werden durch Glaswände vollständig von den Schienen abgetrennt. Das Foto zeigt eine U-Bahn-Haltestelle in Barcelona.

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Die U5 wird zum Teil in der Trasse der heutigen U2 unterwegs sein.

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Ein solcher Ausblick wie in Kopenhagen bleibt den Passagieren in Wien verwehrt. Die fahrerlosen U-Bahnen werden mit Fahrerkabine geliefert.

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Wien – Losfahren, Geschwindigkeit einstellen und zurücklehnen – das können die Wiener U-Bahn-Fahrer schon jetzt. Die Garnituren fahren – bis auf jene der Linie U6 – fast automatisch. Trotzdem ist menschliche Expertise gefragt: etwa beim Einfahren in die Station oder wenn der Fahrer darauf achten muss, dass niemand an den Türen rüttelt, bevor er abfährt. Auf Hindernisse kann der Zug auch nicht selbstständig reagieren, der Fahrer muss im Notfall bremsen.

Das soll sich in Zukunft ändern, denn die U5, deren erstes Teilstück 2023 in Betrieb geht, soll Wiens erste vollautomatische U-Bahn-Linie werden. Sie wird dann – vereinfacht ausgedrückt – von der Leitstelle in Erdberg ferngesteuert. Das teilten Öffi-Stadträtin Renate Brauner (SPÖ) und Wiener-Linien-Geschäftsführer Günter Steinbauer am Dienstag mit. Für das neue System müssen auch die Haltestellen entsprechend umgestaltet werden. Die Bahnsteige werden mit Glaswänden vollständig von den Schienen abgetrennt und mit Türen ausgestattet, die sich nur dann öffnen, wenn ein Zug in der Station steht.

Sanfter Einstieg

Die U5 biete die "einmalige Chance", in das neue System in "überschaubarem Rahmen sanft einzusteigen", sagte Steinbauer. Denn sie wird anfangs nur auf rund fünf Kilometern verkehren; die Trasse wird aus neuen und bereits vorhandenen Streckenabschnitten und Stationen bestehen.

Mit der fahrerlosen U-Bahn wolle man auf das wachsende Wien und die steigenden Fahrgastzahlen reagieren – bis 2020 könnten diese bei einer Milliarde jährlich liegen. Die Wiener Linien versprechen sich kürzere, regelmäßigere Intervalle sowie weniger Betriebsstörungen. Die neuen Züge könnten im 90-Sekunden-Takt fahren. Heute liege das Maximum bei zweieinhalb Minuten. Die Verweildauer in der Station, Geschwindigkeit oder Takt könnten – auch in Ausnahmesituationen wie großen Sportevents – flexibler angepasst werden.

Weniger Zwischenfälle

Für Ramon Malla, Direktor der automatischen Metrolinien in Barcelona, ist die Sicherheit das stärkste Argument. Die fahrerlose Technik schließe menschliches Versagen aus. Die abgeriegelten Bahnsteige versprechen weniger Zwischenfälle, was auch einen verlässlicheren Betrieb ermögliche. Und das sorge nicht nur bei den Passagieren, sondern auch bei den Mitarbeitern für mehr Zufriedenheit, so Malla. Die vollautomatischen Metro-Linien gibt es in der spanischen Metropole seit 2009.

Weltweit wurden die ersten Systeme vor rund 30 Jahren in Betrieb genommen – mittlerweile gibt es sie in mehr als 30 Städten, wobei Asien mit 40 Prozent aller fahrerlosen Linien Spitzenreiter ist. Die europäische Statistik führt Frankreich an, wo sich ein Fünftel der automatisierten Strecken befindet. U-Bahnen ohne Fahrer gibt es weiters etwa in Italien (Rom, Turin), Deutschland (Nürnberg), Dänemark (Kopenhagen) oder Ungarn (Budapest).

"Warum überhaupt?"

"Fahrerlos bedeutet nicht menschenlos", sagte Steinbauer am Dienstag. Weil Fahrgäste "lieber mit Menschen als mit Automaten sprechen", werden Mitarbeiter der Wiener Linien als Ansprechpartner und für Problemsituationen in den Zügen mitfahren oder in den Stationen unterwegs sein. Niemand müsse befürchten, seinen Job zu verlieren. Die Streckenverlängerung schaffe zusätzliche Arbeitsplätze und der Umstieg auf Vollautomatik ein neues Jobprofil. Das konnte Roman Hebenstreit, den Chef der Eisenbahnergewerkschaft, nicht beruhigen: "Ja, aber warum macht man's dann überhaupt?", fragte er via Aussendung.

Die europaweite Ausschreibung für die 45 neuen Garnituren soll laut Brauner in den nächsten Wochen erfolgen. Wer den Zuschlag bekommt, wird Ende 2016 feststehen. Die ersten Testfahrten sind für 2018 geplant. Eine Fahrerkabine wird es weiterhin geben, denn die neuen Modelle sollen auch im konventionellen Streckennetz eingesetzt werden und mehrere "Silberpfeile" ersetzen. Bei Interieur, Design und Fahrgastkapazität wolle man sich an die jetzigen Siemens-Modelle halten.

Ohne Liftboy

Das erste U5-Teilstück kostet knapp eine Milliarde Euro – Stadt und Bund teilen sich die Kosten. Die Mehrkosten für den Umstieg auf die fahrerlose Variante werden auf ein bis zwei Prozent geschätzt. Ob bestehende Linien vollautomatisiert werden, steht noch nicht fest. Das müsse bei anstehenden Modernisierungen von Fall zu Fall entschieden werden.

Auf eine mögliche Skepsis der Fahrgäste reagiert man bei den Wiener Linien entspannt mit einem Rückblick: "Früher fuhr ja auch ein Liftboy im Aufzug mit." (Christa Minkin, 2.6.2015)