Dass Bordeaux eine wohlhabende Stadt war und ist, muss man nicht nachlesen. Mit ihren ausladenden Boulevards, den stolzen Bürgerhäusern samt schmiedeeisernen Balkönchen und den prachtvollen Repräsentationsbauten bestätigt sie diesen Eindruck auf den ersten Blick. Sie atmet eine luftige Großzügigkeit, zu der die frische Brise vom nahen Atlantik gut passt. Ein Je-ne-sais-quoi an südlicher Lebensart – dort ist man ja auch. Biarritz und Saint-Jean-de-Luz liegen etwa 200 Kilometer südlich, gleich dahinter beginnt Spanien.

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Ein besonders effektvoller Coup war das Anlegen eines Infinity Pools auf der Place de la Bourse, worin sich das mächtige klassizistische Gebäude der einstigen Börse von Bordeaux spiegelt.
Foto: picturedesk / Harald Jahn

Worauf sich Bordeaux’ Wohlstand gründet? Klarer Fall, auf den Handel mit Wein. "Machen Sie gute Weine für England!", soll einer der englischen Könige den Bordelais gesagt haben. Das wird wohl mehr ein Befehl als eine Bitte gewesen sein, denn die aquitanische Hauptstadt unterstand ab 1154 immerhin 300 Jahre lang der englischen Krone. Trotzdem können die darüber nur geschmunzelt haben: Der Weinanbau geht in der Region auf die Römer zurück, an manchen Orten bis auf die Kelten.

Gemeinsame Geldgeber

Im 18. Jahrhundert soll der Hafen von Bordeaux der zweitgrößte der Welt nach London gewesen sein. Und selbst Joseph II. war sich nicht zu schade, im Jahr 1776 zur Eröffnung des Grand Théâtre – damals das größte Europas – höchstselbst anzureisen. Immerhin war dessen Financier, der aus Frankfurt gebürtige Bankier Bethmann, auch sein eigener Geldgeber.

In jener Zeit kam zum Weinhandel noch das von Ludwig XV. erteilte Gewürzhandelsmonopol mit den Antillen dazu – sowie der Sklavenhandel via Bordeaux: eine schöne Illustration von Balzacs Bonmot, dass hinter jedem großen Vermögen ein Verbrechen stehe.

Der Altstadt mit ihren betont bürgerlichen, properen Häusern sieht man das viele alte Geld nicht gleich an, sie sind üblicherweise drei- und nicht, wie in Paris, mindestens fünfstöckig. Das liegt aber nicht daran, dass Bordeaux so provinzlerisch wäre, sondern am sumpfigen Untergrund, der keine höheren Lasten zulässt.

Reinwaschen der Altstadt

Die meisten Häuser schimmern wie reingewaschen, und das sind sie auch. Denn eine Aktion des Langzeit-Bürgermeisters Alain Juppé – eines früheren Ministerpräsidenten und Mehrfachministers – war die Reinigung der Hausfassaden in der Innenstadt, die bis dahin von Verkehr und Umweltverschmutzung unansehnlich angegraut waren. Ein langfristiges Projekt, das nach wie vor im Gange ist: Immer noch kann man zusehen, wie das eine oder andere eingerüstete Gebäude angeblich ausschließlich unter Einsatz von Wasser saubergespritzt wird.

Juppés Vorläufer darin war Kulturminister André Malraux, der in den 1960er-Jahren die Fassaden von Sarlat – zwei Autostunden östlich von Bordeaux gelegen – reinigen ließ und dadurch touristisch erst wachküsste. Heute ist das Städtchen mit seinem annähernd homogenen Ensemble aus ockerfarbigen Häusern aus dem 15. und 16. Jahrhundert Besuchermagnet Nummer eins im Nachbardépartement Dordogne.

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Den Nahverkehr erledigt in Bordeaux eine Straßenbahn, die elektromagnetisch und ohne Oberleitungen betrieben wird.

Gleichzeitig ließ Juppé einen Großteil der Innenstadt von Bordeaux in eine Fußgängerzone umwandeln. Den Nahverkehr erledigt jetzt eine Straßenbahn, die, weltweit einzigartig, mittels einer Stromschiene in der Mitte zwischen den Schienen, elektromagnetisch betrieben wird. Wozu der Aufwand? Er erübrigt Oberleitungen, die das einheitliche Stadtbild aus dem 18. Jahrhundert nur stören würden. Ein U-Bahn-Bau war in der 250.000-Einwohner-Stadt – mit Großraum 750.000 – kein Thema, denn, wie gesagt, der Untergrund verträgt’s nicht.

Neue Uferpromenade

Die Lagerhäuser des einstmals bedeutenden Hafens längs der Garonne ließ Juppé teils niederreißen, teils als Restaurants und Boutiquen adaptieren, die ebenfalls neue Uferpromenade eröffnet nun unverstellte Blicke auf das Ensemble der 300 prachtvollen Bürgerhäuser am Kai. Ein besonders effektvoller Coup war das Anlegen eines Infinity Pools auf der Place de la Bourse, worin sich das mächtige klassizistische Gebäude der einstigen Börse spiegelt.

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Die Lagerhäuser des einstmals bedeutenden Hafens längs der Garonne ließ Alain Juppé teils niederreißen, teils als Restaurants und Boutiquen adaptieren, die neue Uferpromenade eröffnet nun unverstellte Blicke auf Bürgerhäuser am Kai.


Um hier nicht in eine Jubelarie auf Alain Juppé auszuarten, der im Übrigen, wie jeder französische Staatsmann, der etwas auf sich hält, einmal in einen Korruptionsskandal verwickelt und zwei Jahre kaltgestellt war: Im Grunde hat der Mann bloß erkannt, dass die Stadt ein Schmuckstück ist, das etwas aufpoliert gehört. Seit 2007 ist die Altstadt nun Unesco-Welterbe, und heuer wurde Bordeaux zur European Best Destination gewählt – eine Auszeichnung, die auf einem breit angelegten Internetvoting der gleichnamigen Non-Profit-Organisation beruht.

Stadt der Städteplaner

Bordeaux’ eigentliches stadtplanerisches Genie war der Marquis de Tourny, unter dessen Federführung im 18. Jahrhundert die Stadtmauern niedergerissen und die alten Holzhäuser, die immer wieder einmal abgebrannt waren, durch Steinbauten ersetzt wurden. Tourny ließ großzügige Boulevards, die hier "Cours" genannt werden, und den Kai längs der Garonne anlegen. Der breite, in den Pyrenäen entspringende Fluss, der in Bordeaux die Form einer Mondsichel annimmt, sieht zwar harmlos aus, ist aber immer wieder für Überschwemmungen gut.

Erst im 19. Jahrhundert war man technisch so weit, eine Brücke ans andere Ufer, den Pont de pierre, zu errichten. Der heftige Wassergang und das Wechselspiel der Gezeiten – die sich bis hier herauf, 90 Kilometer von der Mündung der Gironde entfernt, bemerkbar machen – hatten das bis dahin unmöglich gemacht.

Hundert Jahre nach Tourny nahm sich Baron Haussmann ein Vorbild an Bordeaux, als er die spektakuläre Umgestaltung von Paris begann. Er kannte die aquitanische Stadt gut, hatte er hier doch als Unterpräfekt gewirkt.

Jean-Nouvel-Terrasse

Bordeaux ist von Weinbaugebieten geradezu umlagert, und man kann natürlich nicht alle besuchen, wenn man nicht gerade ein Sabbatjahr ohne sonstige Aktivitäten plant. Ein Ausflug ins illustre Saint-Émilion 50 Kilometer westlich der Stadt ist aber schon vielsagend: Auf der Terrasse des von Jean Nouvel entworfenen Restaurants Les Terrasses Rouges im Château La Dominique schaut man ins sanfthügelige Land mit Weingärten, die sich durch ausgesprochen kleinwüchsige, aber tief ins kalkhaltige Erdreich hinabreichende Rebstöcke auszeichnen. Linker Hand liegt das Château Cheval Blanc mit seinem an eine geschwungene Pferdemähne erinnernden Weinkeller in Weiß, und geradeaus – bereits unter der Flagge des Nachbaranbaugebiets Pomerol segelnd – Châteaux Pétrus und La Conseillante, zwei weitere Garanten für qualitativ hochstehende Rotweine.

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Saint-Émilion ist seit dem Mittelalter berühmt für seine Weine.

Wie lange schon ist Saint-Émilion berühmt für seine Weine? "Ach, seit dem Mittelalter", sagt Guillaume Carjuzaa, ein Öffentlichkeitsarbeiter aus der Gegend, und erklärt, was es mit den einzelnen Terroirs auf sich hat: Jedes für sich besitzt alle hundert Meter geologisch wie mineralisch wechselnde Beschaffenheiten. Dennoch dominieren hier Kalkböden im Unterschied zu den Kiessandböden im Médoc. "Die Weingärten sind durchschnittlich nicht größer als vier Hektar, die Bodenpreise so aberwitzig hoch, dass sich der Kauf eines Weinguts in einer Generation unmöglich rentieren kann." Was Menschen wie den Bauunternehmer Clément Fayat oder Bernard Arnault, Chef des Luxusgüter-Konzerns LVMH, natürlich nicht davon abgehalten hat, sich eines anzuschaffen.

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Jedes Terroir besitzt hier alle hundert Meter geologisch wie mineralisch wechselnde Beschaffenheiten.

Cuvée und Châteaux

Das System der Appellationen und Klassifizierungen – die diesfalls vom ganz normalen St. Émilion bis zum Premier Grand Cru Classé A reichen – sind eine Wissenschaft für sich. Und die Sorten? Carjuzaa: "Es sind Assemblagen aus überwiegend Merlot, der Sanftheit und Tanningehalt beisteuert, mit Cabernet Franc oder Cabernet Sauvignon." Assemblagen? "Das ist das, was Sie als Cuvée bezeichnen. Für uns ist ,Cuvée‘ ja der Jahrgang!" Umgekehrt steht der Begriff "Château" oft nur für ein ganz gewöhnliches Weingut, könnte man ergänzen.

Es ließen sich Bibliotheken mit den Finessen zu dieser Terminologie füllen, aber der direkte Weg zum Begreifen führt übers Weinglas. Da ging selbst dem önologisch unbedarften Schreiber dieser Zeilen der Sinn des Wortes Bouquet auf: ein Korb voller Düfte, vielleicht Johannisbeere, vielleicht Brombeere oder doch eher Himbeere? Egal. Jedenfalls ein betörendes Wölkchen, das da permanent um Bordeaux kreist. (Harald Sager, 6.6.2015)