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Schönfärberei? 1934 wechselten die neuen Machthaber auch die Straßenschilder aus und machten aus jener Hälfte vom Ring des 12. November, der an der Uni vorbeiführte, den Dr.-Karl-Lueger-Ring. 2012 erfolgte dann die Umbenennung, die von rechter Seite als "Gesinnungsterror" denunziert wurde.

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Fast genau auf den Tag vor drei Jahren war es so weit: Am 5. Juni 2012 beschloss der Wiener Gemeinderat mit den Stimmen der SPÖ und der Grünen, den nach dem ehemaligen Bürgermeister Karl Lueger benannten Abschnitt der Ringstraße in Universitätsring umzubenennen. Die Initiative dafür war von der Uni Wien und renommierten Forschern wie Nobelpreisträger Eric Kandel ausgegangen: Es sei unangebracht, ausgerechnet mit diesem Abschnitt des Rings einen Antisemiten und Wissenschaftsfeind zu würdigen.

Dr.-Karl-Lueger-Ring hieß der Abschnitt der Ringstraße, an den die Universität in den 1880er-Jahren übersiedelte, erst seit 1934. Zunächst stand das 1884 eröffnete Hauptgebäude am Franzensring, benannt nach Franz I. (1768-1835). Der Franzensring wiederum wurde nach dem Ende der Monarchie 1919 in "Ring des 12. November", des Tages der Republikgründung 1918, umgetauft.

Diese drei Anschriften der Uni Wien im 20. Jahrhundert stehen für drei unterschiedliche Phasen ihrer Geschichte: Auf den spektakulären Aufstieg und ihre Glanzzeit bis zum Ersten Weltkrieg (am Franzensring) folgte in der Ersten Republik eine erste Phase des Niedergangs. In den Jahrzehnten nach 1934 - also am Dr.-Karl- Lueger-Ring - folgte der Absturz in die Provinzialität.

Bleierne Reaktion

Hauptgrund dafür war, dass es nach dem "Anschluss" 1938 an der Uni Wien zur größten Vertreibungswelle kam, die je aus rassistischen und politischen Gründen an einer Hochschule in so kurzer Zeit vollstreckt wurde. Die Zerstörung wissenschaftlicher Exzellenz hatte dort aber bereits in den frühen 1920er-Jahren begonnen. Und sie war nicht nur den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen geschuldet, sondern auch antisemitisch hausgemacht.

Nach dem Jahr 1945 wurde es lange nicht besser: Einige der Professoren, die schon in der Zwischenkriegszeit an der "informellen Vertreibung" von Forschern jüdischer Herkunft und/oder linker Gesinnung beteiligt gewesen waren, fanden sich an Schlüsselstellen wieder. Sie waren mitverantwortlich dafür, dass am Beginn der Zweiten Republik kaum jemand von den Vertriebenen zurückgeholt wurde und dass sich auch an der Uni Wien für gut zwei Jahrzehnte die bleierne katholische Reaktion breitmachen konnte.

Am Beginn dieser kurzen Geschichte der Uni Wien steht allerdings ihre beste Zeit: In den Jahren zwischen der Eröffnung des Hauptgebäudes am Ring 1884 und dem Ersten Weltkrieg war die Alma Mater Rudolphina eine der international führenden Hochschulen: Die zweite Wiener Medizinische Schule war in dieser Zeit ebenso weltberühmt wie die der Nationalökonomie. Am Haus am (Franzens-)Ring lehrten Kapazitäten wie die Physiker Ludwig Boltzmann und Ernst Mach, der Geologe Eduard Suess oder Sigmund Freud - um nur einige zu nennen, die nicht nur ihre jeweiligen Disziplinen prägen sollten, sondern auch in die Gesellschaft hineinwirkten.

Aufklärerisches Bollwerk

Nicht nur aufgrund der wissenschaftlichen Leistungen hatte die Uni Wien einen hervorragenden Ruf auch in der Gesellschaft: Viele der Lehrkräfte waren um 1900 aktiv darum bemüht, Erkenntnisse an die breite Bevölkerung zu vermitteln - ein in diesem Ausmaß europaweit einzigartiges Unterfangen. Die Hochschule fungierte damit als aufklärerisches Bollwerk gegen das "Schwarze Wien" des christlichsozialen Bürgermeisters Karl Lueger. Umgekehrt konnte die Uni beeindruckende Millionensummen von privaten Wohltätern einwerben. Es gab also, anders als gerne behauptet, eine kurze Zeit in der Geschichte dieses Landes, in der nicht nur die Kultur, sondern auch die Wissenschaft hohe öffentliche Wertschätzung genoss.

Im Laufe der Ersten Republik verkehrten sich die Verhältnisse: Wien wurde rot und die Universität zu einem Hort der Reaktion. Die Dauerkrise des zum Kleinstaat geschrumpften Österreich schlug auch auf die Wissenschaft durch und führte zu einer Radikalisierung des akademischen Antisemitismus: Ab Beginn der 1920er-Jahre erzeugten rechte und katholische Studierende und insbesondere Burschenschafter an der Uni Wien eine bürgerkriegsähnliche Atmosphäre für Studierende und Lehrende, die jüdischer Herkunft und/oder politisch links eingestellt waren.

Angesichts dieser Ausschreitungen witzelte das Satireblatt Der Götz von Berlichingen über einen weiteren Adresswechsel der Uni Wien: "Der Ring des 12. November soll auf besonderen Wunsch der Studenten abermals umbenannt werden. Der Magistrat der Stadt Wien hat sich für die Bezeichnung ,Schlagring' entschieden." Das Ausmaß der Gewalt, das sich aus zeitgenössischen Zeitungsberichten rekonstruieren lässt, lässt aus heutiger Perspektive ebenso schaudern wie der frühe Vormarsch der Nationalsozialisten, die ab 1923 eine bestimmende Kraft in der Studentenschaft waren.

Aufseiten der Lehrenden wurde ebenfalls eine antisemitische und antilinke Personalpolitik vollstreckt. An der Philosophischen Fakultät etwa zog eine braun-schwarze Professorenclique, die unter dem Decknamen Bärenhöhle operierte, universitätspolitisch die Fäden. Dieses geheime Netzwerk von knapp 20 Professoren hintertrieb spätestens ab 1923 erfolgreich Habilitationen jüdischer und/oder linker Forscher und sorgte dafür, dass mit wenigen Ausnahmen nur noch "arische" und politisch rechts stehende Professoren berufen wurden. Wissenschaftliche Qualität wurde zur Nebensache degradiert.

Zu dieser Zeit beklagte der französische Philosoph Julien Benda in seinem hellsichtigen Buch La trahison des clercs einen "Verrat der Intellektuellen". Ein beträchtlicher Teil der europäischen Intelligenz sei moralisch korrumpiert, hätte die Werte der Demokratie und der Gerechtigkeit verraten und sich stattdessen "politischen Leidenschaften" wie dem Klassenkampf, dem Nationalismus oder dem Rassismus verschrieben. Die kritischen Diagnosen Bendas von 1927 lassen sich auch zur Beschreibung der Zustände an der Universität Wien heranziehen, greifen aber für die hiesigen Verhältnisse ab Ende der 1920er-Jahre zu kurz.

Die Uni Wien als Institution hat sich damals gegen die oft zitierten Anfänge nicht gewehrt, sondern ganz im Gegenteil wesentlich mit dazu beigetragen, dass es zu diesem vielleicht doch aufhaltsamen Aufstieg des Nationalsozialismus in Österreich kommen konnte. Spätestens mit dem Rektorat Wenzel Gleispachs im Studienjahr 1928/29 wurde die Universität Wien für mehrere Jahre zu einer Art Brutstätte für die NS- Bewegung in Österreich, mit der das christlichsoziale und nationalkatholische Lager jedenfalls in der Studentenvertretung bis zum Dezember 1932 gemeinsame Sache machte.

Einschnitte in den Lehrkörper

Aufgrund dreister Machtdemonstrationen der Nazi-Studenten zerbrach dann Ende 1932 die Koalition zwischen Schwarz und Braun auf universitärem Boden. Dollfuß und Schuschnigg versuchten danach die Hoheit über die Hochschulen zurückzuerobern und relegierten sozialistische und nationalsozialistische Studierende. Bei den Lehrenden waren vor allem Nationalsozialisten betroffen, da Linke schon in den Jahren zuvor weggemobbt worden waren. Insgesamt kam es nach 1934 zu einer Kürzung von einem Viertel der Professuren - einer der tiefsten Einschnitte in den Lehrkörper der gesamten Geschichte der Uni Wien.

1934 wechselten die neuen Machthaber auch die Straßenschilder aus und machten aus jener Hälfte vom Ring des 12. November, der an der Uni vorbeiführte, den Dr.-Karl-Lueger-Ring. Diese Bezeichnung, die angesichts der universitären Zustände recht gut passte, wurde im Gegensatz zum Dr.-Ignaz-Seipel-Ring auch im Nationalsozialismus und nach 1945 beibehalten.

2012 erfolgte dann die Umbenennung, die von rechter Seite prompt als "Gesinnungsterror" denunziert wurde. Nimmt man nur die dunkelsten Kapitel in der langen Geschichte der Universität Wien zum Maßstab - das halbe Jahrhundert bis zu ihrem 600. Geburtstag im Jahr 1965 -, erscheint diese Umbenennung als etwas anderes: nämlich, etwas polemisch formuliert, als Schönfärberei. (Klaus Taschwer, 8.6. 2015)