Am 15. August 1971 gab Helmut Marko im Grand Prix von Österreich ...

Foto: der Plankenauer/Foto Fischer

... in einem B.R.M. sein Debüt in der Formel 1. Das Rennen gewann Jo Siffert, wie der kunstaffine Marko ein Bewunderer des Schweizer Bildhauers Jean Tinguely.

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In einem Alfa Romeo fuhr Marko 1972 zum Rundenrekord beim Langstreckenklassiker Targa Florio: "Mein bestes Rennen".

Foto: Alfa Romeo

1971 gewann Marko mit dem Niederländer Gijs van Lennep die 24 Stunden von Le Mans in einem Porsche 917, der internationale Durchbruch.

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Gedanken eines Rennfahrers auf dem Massagetisch.

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Irrsinn sei es gewesen, ein nicht nachvollziehbarer Irrsinn. Helmut Marko nimmt in seinem Grazer Büro ein Schwarz-Weiß-Foto zur Hand, es zeigt ihn beim Grand Prix von Österreich 1971 in einem Boliden von British Racing Motors. "Sehen Sie im Hintergrund den Zaun mit den Pflöcken? Das ist keine Sicherheitsmaßnahme, das ist eine Farce." Wenn Marko an seine aktive Zeit im Motorsport zurückdenkt, schüttelt der 72-Jährige ungläubig den Kopf. Das Risiko sei von den Piloten missinterpretiert worden. "Unfälle waren kein Pech. Es war pures Glück, wenn langfristig nichts passiert ist."

Das Glück von Marko als Formel-1-Fahrer währte nur kurz. In seinem neunten Rennen kam der vor ihm fahrende Ronnie Peterson in Clermont-Ferrand von der Strecke ab und wirbelte einen Stein auf. Das Geschoss durchschlug das Visier des Österreichers und traf ihn am linken Auge, Marko war "halb ohnmächtig vor Schmerz". Die anschließende Versorgung spricht Bände: "Zuerst war ich im falschen Spital, dann war der Augenarzt auf einer Grillparty."

Seit jenem Unfall trägt Marko eine Augenprothese, das Fehlen der dritten Dimension sei zunächst gewöhnungsbedürftig gewesen. Beeinträchtigt fühlt sich der Grazer aber schon lange nicht mehr. "Nur beim Einschenken muss ich das Glas etwas näher rücken, um nicht danebenzuschütten." Marko öffnet den Kühlschrank und bietet Red Bull in sämtlichen Geschmacksrichtungen an, es wird ohnehin und geradezu traditionell aus der Dose getrunken.

Schulfreund Jochen Rindt

Das Gespräch über seine Jugend führt direkt zu Jochen Rindt. Marko und der spätere Formel-1-Weltmeister gingen in Graz gemeinsam auf das Pestalozzi-Gymnasium, ehe der Ruf der einfacheren Matura beide nach Bad Aussee lockte. Als Rindt sich beim Skisport auf dem Dachstein ein Bein brach, bekam er vom Großvater einen schicken VW-Käfer samt Chauffeur zur Verfügung gestellt. "Das werden Sie gar nicht mehr kennen, der Käfer hatte statt des Gaspedals eine Rolle, Seilzugbremsen und ein unsynchronisiertes Getriebe."

Den Fahrer wurde man los, die beiden Burschen "und ein paar andere Wahnsinnige" klemmten sich selbst hinters Steuer und glühten durch das Ausseerland, ohne Führerschein, wohlgemerkt, und nicht immer zur Freude der Bevölkerung. "Wir hatten schon unsere Geschichten mit der Gendarmerie, sind aber immer irgendwie davongekommen."

Nach dem Schulabschluss war mit der Raserei vorerst Schluss – zumindest für Marko, Rindt konnte sich als betuchter Erbe einer Gewürzmühle dem Rennsport widmen und etablierte sich in der Formel 1. "Ich hingegen musste Jus studieren, das war eine Auflage meines Vaters. Motorsport galt als verrückt und bot kaum Verdienstmöglichkeiten." Das Studium brachte Marko einen Doktortitel und Geschick im Umgang mit Vertragswerk ein. "Ich habe in meiner weiteren Laufbahn oft davon profitiert."

Internationaler Durchbruch

Die Karriere im Rennsport hatte sich aber freilich verzögert, sie sollte erst nach der Promotion wieder Fahrt aufnehmen. Zunächst in Sportwagenrennen und in der Formel V, einer kostengünstigen Einstiegsmöglichkeit mit internationaler Reputation. Zu jener Zeit war Marko, animiert von den Erfolgen seines ehemaligen Schulkollegen, gewillt, es ihm gleichzutun: "Ich war in der optimistischen Annahme, dass ich ähnlich leistungsfähig wäre." Der Erfolg ließ kaum auf sich warten, 1971 gewann Marko mit dem Niederländer Gijs van Lennep die 24 Stunden von Le Mans in einem Porsche 917, der internationale Durchbruch.

Marko bekommt ein zweites Foto vorgelegt, diesmal in Farbe, er muss schmunzeln. "Das war bei der Targa Florio, einem Rennen jenseits von Gut und Böse." Das Langstreckenrennen wurde auf den öffentlichen Bergstraßen Siziliens ausgetragen, das Thema Sicherheit nicht gerade großgeschrieben. "Man ist auf die Zuschauermassen zugerast, die Leute standen auf der Strecke und sind im letzten Moment zur Seite gesprungen." Marko blieb unbeirrt am Gas, 1972 brach er den Rundenrekord und fuhr in einem Alfa Romeo Tipo 33 auf den zweiten Platz. "Vielleicht erklärt dieses Rennen am besten die Psyche des Piloten. Sobald er das Visier runterklappt, geht es nur noch um die Beherrschung des Autos."

Vorvertrag mit Ferrari

Markos Fähigkeiten blieben auch Ferrari nicht verborgen, bei der Scuderia unterschrieb er für die Formel-1-Saison 1973 einen Vorvertrag. "Man wollte zusammenarbeiten, Details waren noch zu klären." Ehe der Unfall im Grand Prix von Frankreich seine aktive Karriere abrupt beenden sollte, sahen österreichische Journalisten in Marko den Nachfolger des 1970 in Monza tödlich verunglückten Rindt. Ausreichend Talent wurde ihm nachgesagt, die Frisur passte auch. Marko bleibt mehr als vierzig Jahre später lieber bei den Fakten: "Der Beweis wurde in der Formel 1 nie erbracht. Aber Sie wissen ja, wie die Medien sind."

Aus dem Rennfahrer Marko wurde der Manager, der Besitzer, der Berater. Kaum ein österreichischer Jungspund kreuzte nicht seinen Weg. Von Jo Gartner über Karl Wendlinger bis hin zu Gerhard Berger und Christian Klien. Die großen Erfolge in der Formel 1, nämlich vier Weltmeistertitel mit Sebastian Vettel, holte er mit dem Team von Red Bull Racing nach, als enger Vertrauter von Eigentümer Dietrich Mateschitz, als Motorsportdirektor oder Motorsportberater, wie er von den Medien wahlweise genannt wird.

Zukunft von Red Bull

Im Paddock hat er, dem der Ruf der Zwiderwurzn vorauseilt, nicht nur Freunde. Er kann damit leben: "Viel Feind, viel Ehr. Ich verzichte gerne auf dieses pseudoamikale Geplänkel. Bevor ich drei Stunden sinnlos herumquatsche, gehe ich lieber ins Museum." Der Kunstsinn spiegelt sich in seinen beiden Grazer Hotels wider, die Gäste bekommen eine reichhaltige Sammlung zeitgenössischer Werke vorgesetzt. Der Kärntner Maler Hans Staudacher und der Schweizer Bildhauer Jean Tinguely hatten Markos Sammelleidenschaft entfacht.

Zu viele Freundlichkeiten muss Marko derzeit aber ohnehin nicht erdulden. Angesichts der anhaltenden Dominanz von Mercedes stellte er zuletzt die Zukunft von Red Bull in der Formel 1 infrage, die Serie sei zu einem uninteressanten Wettbewerb der Motoren verkommen. Man nannte ihn einen schlechten Verlierer. Doch Marko bleibt dabei. Die Technik habe überhandgenommen, die Fahrer seien nicht gefordert: "Sie springen nach dem Rennen aus dem Cockpit, als wäre nichts gewesen." Waren die alten Zeiten am Ende also doch besser? "Man hat das Hotelzimmer immer in Ordnung verlassen, so als ob man nicht mehr zurückkommen würde. Das brauchen wir auch nicht mehr." (Philip Bauer, Rondomobil, 20.6.2015)