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Der einst hochrangige "politische Tiger" Zhou Yongkang trat mit weißen Haaren vor die Richter.

Foto: AP/CCTV

Um Punkt 18 Uhr ließ die Pekinger Parteiführung ihre politische Bombe platzen. Fernsehen, Radio und Chinas Agenturen verlasen oder druckten gleichzeitig die Verurteilung von Zhou Yongkang wegen "Bestechung, Machtmissbrauchs und Verrats von Staatsgeheimnissen" zu lebenslanger Haft. Der 72-Jährige gehörte als Mitglied des Politbüroausschusses einst zu den neun mächtigsten Funktionären des Landes. Zhou war zugleich der höchstrangige "politische Tiger", den Staats- und Parteichef Xi Jinping in seiner exzessiven Antikorruptionskampagne bisher zur Strecke gebracht hatte.

Eine Stunde später konnte die Nation in den zentralen CCTV-Abendnachrichten den einst gefürchteten Polizeizaren der Partei vor Gericht sehen. Der einst mit seinen tiefschwarz gefärbten Haaren dynamisch wirkende Funktionär trat nun mit weißen Haaren in einer dunkelblauen Kaderjacke vor seine Richter. Zweimal durfte er im Gerichtssaal nach der Verlesung der lebenslangen Haftstrafe sprechen. Er las dabei ab: "Ich gestehe und bereue meine Verbrechen. Ich werde das Urteil nicht anfechten." Er habe mit seinen Verbrechen "Partei und Staat schweren Schaden zugefügt". Zuschauer wurden keine gezeigt.

Prozesstermine der Öffentlichkeit unbekannt

Es war nicht der Jahrhundertprozess, den die Öffentlichkeit erwartet hatte, und es gab ein erstaunlich mildes Urteil. Peking ließ Zhou in absoluter Heimlichkeit und in größter Eile verurteilen. Das Mittlere Volksgericht Nummer 1 in der Nachbarstadt Tianjin hatte das Verfahren am 3. April eröffnet. Es prozessierte gegen Zhou einen Tag lang am 22. Mai. Am Donnerstag fällte es nun sein Urteil. Die Öffentlichkeit, in der immer wieder spekuliert worden war, warum der Prozess noch nicht begonnen hatte, erfuhr von allen drei Terminen zum ersten Mal am Donnerstagabend.

Das Gericht begründete die heimliche Verurteilung mit dem Anklagepunkt "Verrat von Staatsgeheimnissen". Konkret warf es Zhou nach Angaben der Nachrichtenagentur Xinhua vor, fünf Dokumente der "Juemi"-Kategorie (Streng vertraulich) und ein Dokument der Jimi-Kategorie (Geheim) aus seinem Büro an einen Vertrauten übergeben zu haben. Es wurde nicht bekannt, um welche Dokumente es sich handelte. Der Richter nannte aber als Einzelstrafmaß eine Haft von nur vier Jahren. Hinzu kamen sieben Jahre Haft wegen "Machtmissbrauchs". Zhou habe zwei hohe Wirtschaftsfunktionäre gezwungen, fünf Personen, darunter seinem Sohn und seinem Bruder, bei ihren Geschäften zu helfen. Diese hätten dadurch Vorteile im Wert von 2,14 Milliarden Yuan (rund 300 Millionen Euro) erzielt.

Der schlimmste und mit lebenslang bestrafte Vorwurf gegen Zhou betrifft Bestechung und Korruption. Er selbst habe direkt umgerechnet 100.000 Euro an Geld und Sachgeschenken erhalten. Sein Sohn Zhou Bin und seine Frau Jia Xiaoye hätten von vier Personen insgesamt mehr als 18 Millionen Euro bekommen, von denen Zhou Yongkang wusste. Das Gericht nannte seine Verbrechen "extrem schwer" mit "besonders schlimmen gesellschaftlichen Auswirkungen".

2013 verhaftet

Bis zum Generationswechsel Ende 2012, bei dem Parteichef Xi an die Macht kam, war Zhou Mitglied des Politbüroausschusses gewesen, der höchsten inneren Führung des Landes. Er galt bis zu seiner parteiinternen Inhaftierung Mitte 2013 als "unberührbar". Fünf Jahre lang war er Oberaufseher der Partei über die Polizei, Staatssicherheit, Rechtswesen und Gerichte gewesen.

Seine Karriere begann als Vizechef des größten Ölkonzerns China National Petroleum Corporation (CNPC). Er wurde Parteichef der Provinz Sichuan, Politbüromitglied, Polizeiminister und Staatsrat, bevor er 2007 für fünf Jahre ins Zentrum der Parteimacht aufstieg. Vor seiner Pensionierung bis November 2012 war Zhou im Ständigen Ausschuss des Politbüros fünf Jahre gemeinsam mit dem Nachrücker und heute starken Mann Xi gesessen. Mit dem Aufstieg Xis zum Parteichef und dem Beginn der Antikorruptionskampagne war Zhous Schicksal besiegelt. Xi ließ dessen weitverzweigte Seilschaft aufsprengen, darunter Provinzführer, mächtige Funktionäre im Sicherheitsapparat, in den Ministerien für Boden- und Landressourcen und Konzernchefs in der Öl- und Energieindustrie. Fast 100 Funktionäre aus dem Umkreis von Zhou wurden festgenommen, darunter ein Dutzend Familienangehörige.

Zhous Verwicklung in parteiinterne Machtkämpfe und Intrigen und seine "politischen" Unrechtstaten kamen bei dem Geheimprozess aber nicht zur Sprache. Als Aufseher über Chinas Repressionsapparat hatte er im Namen der Partei die Verfolgung politischer Dissidenten überwacht, ebenso wie nationaler und religiöser Minderheiten und Gruppen wie Falun Gong. In seine Zeit fallen auch die rechtsbeugenden Verurteilungen des Friedensnobelpreisträgers und Bürgerrechtlers Liu Xiaobo zu elf Jahren Haft und die Verfolgung Andersdenkender vom blinden Bauernanwalt Chen Guangcheng bis zum politischen Konzeptkünstler Ai Weiwei. Aber deshalb stand er nicht vor Gericht. (Johnny Erling aus Peking, 11.6.2015)