STANDARD: Die Revolution ist nun rund sechs Monate her. Sind Sie mit der Übergangsphase glücklich?

Sams'K Le Jah: Ich glaube, Glück hat da noch keinen Platz. Wir versuchen das zu tun, worauf wir uns vorbereitet hatten für die Zeit nach Blaise Compaoré. Ein Teil davon ist es, den Leuten zu sagen: Die große Schlange ist weg, aber es gibt noch viele kleine Schlangen. Die Revolution ist nicht unbedingt jetzt - sie ist ein Prozess, um die Ansichten der Menschen zu ändern. Ein wichtiger Teil ist, starke Institutionen zu schaffen, sodass wir eine gute Demokratie haben können.

STANDARD: Waren Sie überrascht, dass es so schnell ging?

Sams'K Le Jah: In Burkina glauben wir, dass Gott seine Hand über unser Land gehalten hat. Daher floss im Oktober nicht überall Blut. Wir haben im Balai Citoyen alle aufgefordert, auf Gewalt zu verzichten. Und es hat funktioniert! Niemand aus dem System von Blaise Compaoré hat sein Leben verloren. Jene, die starben, waren aus unseren Reihen.

STANDARD: Ist das Interesse im Land so hoch wie vor sechs Monaten?

Sams'K Le Jah: Die Themen sind nicht mehr die gleichen. Im Oktober hatten die Leute das System satt. Sie wollten Wandel. Nicht jeder hat die Kraft, nun weiterzumachen. Leute haben unterschiedliche Erwartungen. Man kann nicht alles gleichzeitig ändern - darum braucht man Führungsfiguren.

STANDARD: Die Proteste waren stark auf die Einhaltung der Verfassung und gegen eine weitere Amtszeit Compaorés gerichtet. Lagen dahinter auch andere Fragen?

Sams'K Le Jah: Compaoré loszuwerden war ein Schritt, aber es war nicht der letzte. Das Ziel ist, jene Burkinabé zu schaffen, von denen Thomas Sankara (siehe Wissen rechts) träumte: Menschen mit Würde, hart arbeitende Menschen, die sich respektieren und die andere Menschen respektieren. Manche Leute sagen, dass Burkina Faso ein armes Land ist. Aber im Vergleich mit wem und womit? Armut ist ein Geisteszustand. Wenn die Menschen stark und positiv im Geist sind, dann haben sie die Möglichkeit, alles zu erreichen.

STANDARD: Sankaras Ermordung wird neu untersucht. Bringt das denn noch etwas?

Sams'K Le Jah: Wir wollen alle wissen, was mit ihm passiert ist. Das ist uns natürlich wichtig - und es ist wichtig für seine Angehörigen. Aber für mich ist Thomas Sankara noch immer am Leben. Denn wir wollen die Thomas Sankaras unserer Zeit sein. Er hat damals einem internationalen System widerstanden, das letztlich seine Ermordung herbeiführte. Aber wenn wir heute viele Thomas Sankaras haben, in Burkina, im Kongo, im Senegal - dann kann uns das System nicht stoppen. Das gilt für mein Land, für Afrika. Aber auch für westliche Staaten. Es geht darum, gegen Ausbeutung zu kämpfen, den Leuten zu sagen, dass sie selbstbewusst sein und für eine andere Welt kämpfen sollen.

STANDARD: Wird die nächste Regierung Ihrer Ansicht nach diesen Idealen näherkommen können?

Sams'K Le Jah: Für mich ist es keine Frage der kommenden Regierung, sondern der künftigen Generation. Wenn die Jugend etwas will und wirklich dafür kämpft, wird die Regierung es ihr geben müssen. Es ist mir egal, was für eine Regierung kommt. Wichtig sind jene, die sie kontrollieren. (Manuel Escher, 13.6.2015)