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Ein gewohnter Blick auf Graz: Forscher gingen im Stadtbezirk Eggenberg aber mehr ins Detail und scannten die Region im Sinne einer ressourcenschonenden Stadtplanung.

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Mittels 3-D-Katastern suchen Forscher nach wiederverwertbaren Rohstoffen in der Stadt.

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Wien – Erst kürzlich wurde auf dem Wiener Rochusmarkt vor den Augen der Passanten ein riesiges Bauwerk abgerissen. Die alte Unternehmenszentrale der Post, errichtet um 1960, lag in kürzester Zeit in Schutt und Asche. An ihre Stelle wird nun ein Neubau mit Shoppingcenter, Büros und moderner Postfiliale errichtet. Doch was passiert mit dem Abbruchmaterial? Üblicherweise, so lautet die Hochrechnung der Ressourcen Management Agentur (RMA), wird die Hälfte der Abbruchmasse in Österreich rezykliert und wieder in den Baustoffkreislauf rückgeführt. Die andere Hälfte des Bauschutts landet auf der Deponie oder geht Wege, die sich nicht verfolgen lassen.

"Selbst wenn ein Haus am Ende seines Lebenszyklus angelangt ist und abgetragen wird, hat es immer noch einen weitaus höheren Wert als die meisten Grundstückseigentümer vermuten würden", sagt Hans Daxbeck, geschäftsführender Obmann des 1998 gegründeten Vereins RMA, der sich auf die Themenbereiche Klimaschutz, Ressourcenschonung und Abfallwirtschaft spezialisiert hat. "Bedenkt man, welche Rohstoffe darin gebunden sind, ist selbst die unattraktivste Bruchbude mitunter noch bis zu 100.000 Euro wert." Nicht ohne Grund verwendet Daxbeck, sobald er von Wohnhäusern und Immobilien spricht, den Begriff "Lager".

Die wichtigsten Materialien, die die Baubranche in ihren Rohstofflagern bindet, sind Sand, Kies, Ziegel und Beton. Aber auch Metalle, Hölzer, die aufgrund ihrer oft luftdichten und trockenen Verbauung als hochwertige Ressource gelten, und unterschiedliche Arten von Kunststoffen werden immer öfter begehrlich nachgefragt. "Kein Wunder", meint Daxbeck. "Beton auf die Deponie zu verführen kostet je nach chemischer Zusammensetzung zwischen 15 und 30 Euro pro Tonne. Wird das Material jedoch als Recyclingrohstoff weiterverkauft, so kann man damit bis zu acht Euro pro Tonne verdienen." Mit diesem ökonomischen Zuckerl für Baufirmen und Bauträger soll auch der zunehmenden Knappheit an Deponieflächen entgegengewirkt werden.

Stadtquartier gescannt

Um die gebaute Stadt als Lager leichter lesbar zu machen, startete die Ressourcen Management Agentur im Jänner 2014 das Forschungsprojekt "Das anthropogene Lager in der Steiermark. Entwicklung eines Urban-Mining-Katasters". Dabei wurde ein 29 Hektar großes, gemischt genutztes Stadtquartier in Graz-Eggenberg anhand von schriftlichen Dokumenten, Bau- und Ausführungsplänen sowie unterschiedlichen Geoinformationsdaten bis auf zehn Zentimeter genau gescannt und dreidimensional dokumentiert. Gefördert wird die 80.000 Euro teure Studie vom Lebensministerium, vom Land Steiermark, von der Stadt Graz sowie vom Österreichischen Städtebund.

"Aufzeichnungen über Rohstoffquellen in der Stadt gibt es schon viele", so Daxbeck. Urban Mining nennt sich die Gewinnung aus dem gebauten Altbestand im Neudeutschen. Zahlreiche Projekte wie etwa der neue Wiener Hauptbahnhof und das angrenzende Sonnwendviertel wurden auf diese Weise unter anderem mit wiederverwerteten Abbruchmaterialien errichtet.

Auch die Wohnhausanlage "Waldmühle" in Kaltenleutgeben, ein Kooperationsprojekt von vier gemeinnützigen Bauträgern mit insgesamt 450 geförderten Wohnungen, wurde zu einem großen Teil als Urban-Mining-Projekt abgewickelt. Dank der Wiederverwertung des Betons aus der 1995 stillgelegten Zementfabrik, die hier einst stand, konnten die Bauträger rund zwei Millionen Euro an Baukosten einsparen. Auch die CO2-Bilanz profitiert vom Weiterleben nach dem Tod: Einerseits verbraucht das Recycling weniger Grauenergie als die Produktion von Primärbeton, andererseits fällt weniger Entsorgungsmaterial an. 66 Prozent aller Lkw-Fahrten zur Deponie wurden eingespart.

Bisher musste man jedes Abbruchobjekt einzeln untersuchen und seine Brauchbarkeit von Fall zu Fall abwägen. Mit dem Urban-Mining-Kataster wird man sich bereits im Vorfeld einen Überblick über die Zusammensetzung von Häusern verschaffen und unterschiedliche Lager miteinander vergleichen können. Dargestellt werden die immobilen Ressourcenlager in einem dreidimensionalen CAD-System. Je nach Anforderung und Gebäudetypologie, so die Vision der RMA-Studienautoren, wird man Bauaufgaben in Hinblick auf Energie- und Ressourcenschonung in Zukunft leichter kalkulieren können. Nicht nur die Bauwerke, auch die unterirdischen Versorgungsnetze wie etwa Wasser, Abwasser, Strom, Gas, Telefon und diverse Kabelmedien werden in Hinblick auf Dimension, Tonnage und Materialzusammensetzung Dezimeter für Dezimeter aufgenommen.

Kupfervorkommen sichten

Mit dem 3-D-Kataster sollte ein besserer Überblick über begehrte Kupfervorkommen über und unter der Erde geben. In Elektrogeräten sind laut RMA rund 6,4 Prozent des österreichweit verwerteten Kupfers gebunden, in Autos an die 8,7 Prozent, in der gebauten Umwelt jedoch 84 Prozent. Nirgendwo ist die Kosten-Nutzen-Rechnung attraktiver als hier. "Wir haben heute siebenmal mehr Metalle im Haus gelagert als noch vor hundert Jahren", sagt Daxbeck. Mit der Unterstützung der Stadt könnte der Kataster, der sich derzeit über 177 Gebäude in Eggenberg erstreckt, demnächst auf ganz Graz ausgeweitet werden. Und: "Je mehr Daten vorliegen, desto leichter wird es, für Bauwerke mit ähnlicher Funktion, ähnlicher Bauweise und ähnlichem Baujahr empirische Werte anzunehmen und einmal gemessene Daten zu interpolieren", erklärt Heinz Buschmann, Mitarbeiter der RMA. "Auf diese Weise könnten wir den 3-D-Kataster eines Tages vielleicht sogar auf ganz Österreich ausweiten."

Eine große Hoffnung der Forscher ist das neue Planungstool BIM. Die Abkürzung steht für "Building Information Modeling" und beinhaltet die dreidimensionale, virtuelle Modellierung von geplanten Bauwerken von der ersten Entwurfsskizze über die Detailplanung, Ausschreibung und örtliche Bauaufsicht bis zum Facility-Management.

"Die BIM-Daten in den Architektur- und Baubüros beinhalten all jene Daten, die wir für unsere Datenbank benötigen", so Buschmann. "Eine entsprechende Kooperation mit den Planern und Auftraggebern könnte den flächendeckenden 3-D-Kataster bald spruchreif machen." Das Ziel liegt näher, als man glaubt. Noch heuer soll eine europaweite BIM-Norm herausgegeben werden. Glaubt man den Experten, so könnte BIM bei größeren Bauvorhaben schon in wenigen Jahren zum Standard werden.

"Der Energieausweis für jedes Haus hat sich in kürzester Zeit etabliert" , sagt RMA-Chef Hans Daxbeck. "Mein Ziel wäre es, dass es eines Tages auch einen verpflichtenden Stoffausweis gibt. Damit könnten wir den Lebenszyklus unserer gebauten Umwelt besser verstehen und besser kontrollieren. Wir sprechen so oft von Smart City. Das wäre smart." (Wojciech Czaja, 17.6.2015)