Maturantin Anja Burghardt erzählt im Lokal 1 des Parlament.

Foto: Andy Urban

Wien – Neos-Bildungssprecher Matthias Strolz hat wieder einmal einen Anlass gefunden, um mit seinen Armen einen Vogelflug zu simulieren. Er kenne zwar seinen Namen in der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS), aber er wolle heute mehr über die ihn unbekannte Welt der Gehörlosen erfahren. Es freue ihn besonders, so die "Dinge im echten Leben" begreifen zu können.

Die grüne Behindertensprecherin Helene Jarmer hat am Freitag gehörlose beziehungsweise schwerhörige Schülerin der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe (HLW) Michelbeuern ins Parlament eingeladen, um über ihre Situation zu sprechen. Jarmers Einladung gefolgt sind die Bildungssprecher Strolz, Harald Walser (Grüne) und Walter Rosenkranz (FPÖ) sowie ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg. Die SPÖ und das Team Stronach waren nicht vertreten.

Gebärdensprache von klein auf

Schülerin Anja Burghardt erzählt, dass sie bis zum 18. Lebensjahr in einer "Hörendenschule" war. Das Lernen sei dort für sie sehr schwierig gewesen. Seit drei Jahren hat sie das Glück, die HLW zu besuchen. Dort erhält sie sowohl Unterricht in Deutsch als auch in Gebärdensprache. In einer Woche wird sie die mündliche Matura absolvieren.

Nikola Jankovic hat mit drei Jahren sein Gehör verloren, erzählt er in ÖGS. Er spricht so schnell, dass die Dolmetscherin mit dem Übersetzen kaum nachkommt. "Ach, entschuldigen Sie, ich bin ein bisschen nervös", lächelt er. Er kritisiert, dass gehörlosen Kindern oft viel zu spät die Gebärdensprache beigebracht wird.

Um dem Unterricht wirklich gut folgen zu können, sei es wesentlich, dass sich die Schüler mit den Lehrern in ÖGS austauschen können, erklärt Jarmer, die auch Lehrerin ist. In Wahrheit würden 70 Prozent der Gehörlosen weder die Lautsprache noch die Gebärdensprache gut beherrschen. Von 10.000 gehörlosen Menschen in Österreich haben laut Jarmer gerade einmal 50 die Matura.

Weiterbildungsurlaub für Eltern Gehörloser

Seit zehn Jahren gilt die Gebärdensprache laut Verfassung als eigenständige Sprache. Mindestens so lange kämpft Jarmer dafür, dass die Gebärdensprache auch als Unterrichtssprache anerkannt wird. In der Realität hängt es stark von der Eigeninitiative der Lehrer ab, ob sie mit ihren gehörlosen Schülern kommunizieren können. Die anwesenden Lehrer schildern, wie sie sich die Sprache aneigneten. Nämlich meist in ihrer Freizeit, auf eigene Kosten. In den Lehrplänen für die Lehrerausbildung sucht man ÖGS vergeblich.

Eine Lehrerin verweist im Zuge der Debatte auf Schweden. Dort können Eltern gehörloser Kinder jährlich zwei Wochen Urlaub nehmen, um die Gebärdensprache zu lernen. Da fasst sich Rosenkranz ein Herz und kündigt einen entsprechenden Antrag aller sechs Parlamentsparteien an. Unterstützung dafür kommt von den Neos und natürlich von den Grünen. (Katrin Burgstaller, 19.6.2015)