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Kurz nach ihrer Matura wurden erste Gedichte Elfriede Jelineks publiziert.

Foto: ap/Rudi Blaha

Elfriede Jelineks Stimme gehört den Opfern. Sie gehört den Toten von Fukushima oder Kaprun, den Opfern des Naziterrors, den unter Lebensgefahr übers Mittelmeer ziehenden Flüchtlingen oder den in männlichen Machtrefugien eingesperrten Frauen. Ihr Schreiben weist sie als Nachfahrin Ingeborg Bachmanns und Ilse Aichingers aus. Die Dichterin, ausgebildete Organistin, hat dieses aber formal auf radikale Weise weiterentwickelt – geprägt auch von der Literaturavantgarde der Wiener Gruppe. Schon ihrem Debütroman "wir sind lockvögel, baby" aus dem Jahr 1970 stellte die Autorin eine muntermachende Gebrauchsanweisung voran: "sie sollen dieses buch sofort eigenmächtig verändern. [...] sie brauchen das ganze nicht erst zu lesen wenn sie glauben zu keiner besseren gegengewalt fähig zu sein."

Jelineks Texte sind todernst und dabei voller schräger Kalauer, in ihnen verbündet sich die sprachkritische Tradition Ludwig Wittgensteins mit den poetischen Verfahren des Possendichters Johann Nestroy. Es gibt in ihren tragödischen Stoffen (die mitunter konkret auf antike Dramen Bezug nehmen) stets diesen Witz, der im Angesicht der geschehenden Taten oder der gesprochenen Worte Schauder auslöst. Die Musikalität ihres Werkes, den "musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen", führte schließlich die Nobelpreisjury 2004 in ihrer Begründungsschrift an.

Katastrophen der Gegenwart

Damals hat sich die 1946 im Ferienort ihrer Kindheit, Mürzzuschlag, geborene Wienerin, Tochter eines Chemikers und einer aus dem Wiener Großbürgertum stammenden Mutter, aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ihrer Produktivität tat dies keinen Abbruch.

Den Katastrophen der Gegenwart schreibt Jelinek unerbittlich hinterher, oft unter Einbeziehung von Medienberichten. In den vergangenen Jahren tat sie dies zunehmend für das Theater, dessen Darstellungsformen sie mit ihren jenseits klassischer Figurenrede operierenden "Textflächen" herausfordert. Als jüngstes Stück wurde "Das schweigende Mädchen" über den NSU-Prozess an den Kammerspielen in München, an Jelineks zweitem Wohnsitz, uraufgeführt.

Zweimal hat Elfriede Jelinek ein Aufführungsverbot ihrer Stücke in Österreich erwirkt (staatliche Bühnen) – als Reaktion auf die rechtspopulistische Hetze, der sie aufgrund ihres politischen und feministischen Engagements vielfach ausgesetzt war. Als zentral in ihrer Kritik am fehlenden Geschichtsbewusstsein in Österreich gilt der Roman "Die Kinder der Toten" (1995), in dem die Opfer der Geschichte wie zombieartige Wiedergänger aus den Alpen auferstehen, um ihr Recht einzuklagen.

Schriftliche Reden

Elfriede Jelinek hat sich auch immer wieder in persona engagiert; u. a. war sie bei Christoph Schlingensiefs Containeraktion "Ausländer raus!" dabei. Reden führt sie meist nur noch schriftlich, vor allem auf ihrer Internetseite www.elfriedejelinek.com, wo zuletzt als Zusatztext zum Wirtschaftskrisen-Stück "Die Kontrakte des Kaufmanns" ein Griechenland-Kapitel dazukam. Die Forschung hat mit ihrem immensen Werk alle Hände voll zu tun. Soeben erschien "Postdramatik". Reflexion und Revision, herausgegeben von Pia Janke, Teresa Kovacs, Praesens-Verlag 2015. (Margarete Affenzeller, 22.6.2015)

Ende der Serie.