Es ist nicht so, dass mir das Leben an Land zuwider wäre. Aber das Leben auf See ist besser." Sir Francis Drake wusste, wovon er sprach. Auch wenn die Reisen des Weltumseglers und Freibeuters wahrscheinlich ein bisschen abenteuerlicher waren als eine Kreuzfahrt durch die Ostsee. Wie auch immer: Acht nordeuropäische Städte in zwei Wochen – das wäre auf dem Landweg eine stressige Reise mit wenig Erholungswert. Wenn man dabei aber nie sein Hotelzimmer mit garantiertem Meerblick wechseln muss, ist das eine der besten Arten zu reisen überhaupt. Vorausgesetzt, man liebt das Meer.

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Dämmert’s? Während der Weißen Nächte rund um die Sommersonnenwende ist St. Petersburg so zwielichtig, wie es Dostojewski in seinen Romanen beschrieb.
Foto: Astapkovich Vladimir/Tass/picturedesk.com

Landratten können hier zu lesen aufhören. Wir haben mit einer der ältesten Reedereien der Welt Stockholm, St. Petersburg, Helsinki, Tallinn, Warnemünde, Kiel, Göteborg und Kopenhagen besucht. Auf der MS Eurodam, einem der mittelgroßen Schiffe der Holland America Line, die ihr Hauptquartier heute in Seattle hat und einst in Rotterdam gegründet wurde. Jahrzehntelang wanderten Menschen von Holland in die USA ausschließlich mit der damals noch Holland-Amerika Lijn genannten Gesellschaft aus, die 1873 als Nederlandsch-Amerikaansche Stoomvaart Maatschappij gegründet wurde.

Auf den Gängen des Schiffs hängen alte Schwarz-Weiß-Fotografien, die diese Zeiten dokumentieren. "Wir hatten einmal einen 90-jährigen Gast an Bord, der als junger Mann mit uns in die USA_emigrierte und dann in der Pension als Urlauber wiederkam", erzählt Unternehmenssprecher Erik Elvejord beim Abendessen in einem der vorzüglichen Restaurants an Bord. 1971, als mehr und mehr Menschen ihre Reiserouten vom Wasser in die Luft verlegten, stellte man bei Holland America ganz auf Kreuzfahren um.

An 24.000 Inseln vorbei

Fliegen. Wer es eilig hat und keine Flugangst kennt, mag daran Gefallen finden. Doch man "erfährt" ein Land ganz anders, wenn man sich ihm langsam mit einem Schiff nähert und nicht einfach auf einem Flughafen ausgespuckt wird. Etwa Stockholm: Bis man den Archipel mit rund 24.000 kleinen Inseln durchschifft hat, übrigens die zweitgrößte Ansammlung von kleinen Eilanden in der Baltischen See, fühlt man sich schon so schwedisch wie die Kinder auf Astrid Lindgrens fiktiver Ferieninsel Saltkrokan. Dann ist man erst bereit für die schöne Stadt, wissend, dass man bei der Rückfahrt wieder genug Zeit hat, um sich von jeder Insel einzeln zu verabschieden.

Foto: Holland America Line

Oder St. Petersburg. Direkt in die Altstadt kann man mit dem großen Schiff natürlich nicht, aber Holland America bietet seinen Passagieren abendliche Führungen außerhalb der Öffnungszeiten durch die Eremitage an. Da erspart man sich Massenaufläufe und Warteschlangen. Hier bleibt das Schiff zwei Tage liegen, so kann man mit dem Kreuzfahrer-Sondervisum samt Stempel mit einem Schiffbildchen im Pass, ausgedehnte Stadtbummel machen.

Nicht nur in St. Petersburg zahlen sich einige organisierte Ausflüge aus, auch in Schweden: etwa der Besuch des Sigtunamuseums, wo man das 1626 auf seiner Jungfernfahrt gesunkene und erst 1961 geborgene Kriegsschiff Vasa bewundern kann.

Foto: Holland America Line

Andere Orte, wie den seit rund 40 Jahren autonom verwalteten Hippie-Stadtteil Christiania in Kopenhagen, oder das bizarre KGB-Museum in der überschaubaren hübschen Altstadt von Tallinn, sucht man besser allein und zu Fuß auf. Dasselbe gilt für die Temppeliaukio-Kirche, die 1969 in einen Fels gebaut wurde. Einen meditativeren Ort findet man selten. Man sollte nicht in Helsinki gewesen sein, ohne sie besucht zu haben. Prinzipiell gilt bei Kreuzfahrten: Man kann alles oder nichts allein machen.

Schwimmendes US-Hotel

Während wir Schweden, Dänemark, Russland, Estland, Deutschland und Finnland besuchten, waren wir die ganze Zeit auch in den USA. Denn auf dem Schiff sind nicht nur mehr als die Hälfte der 2104 Passagiere Amerikaner, es gelten auch US-amerikanische Gesetze. Das heißt: An unter 21-Jährige wird kein Alkohol ausgeschenkt. Wenn man mit einer 17-Jährigen unterwegs ist, deren Interessen unter anderem Vegetarismus und Yoga sind, ist das allerdings kein Problem. Nur schade, dass sie die köstlichen Steaks im Restaurant De Librije nicht genießen konnte.

Das Klischee, dass nur ältere Semester Kreuzfahrten machen und sie deswegen fad wären, stimmt nicht. An Bord der MS Eurodam sind auch viele Kinder und Jugendliche, für die man täglich eigene Aktivitäten anbietet. Kinder haben sogar ein eigenes Deck für sich, auf dem sie sich austoben können.

Foto: Holland America Line

Aber es stimmt: Die Mehrheit der Passagiere hat das aktive Arbeitsleben hinter sich. Aber fad? Haben Sie schon mit einem US-Veteranen um den besten Fensterplatz in einem Bordrestaurant gekämpft? Na, eben! Wenn er seine Krücke oder die Handtasche der Gattin auf den Tisch knallt, bevor sie schüchtern die Sessellehne berühren konnten, fühlen sie sich an das Filmplakat von Clint Eastwoods "Flags of our Fathers" erinnert. Ja, das mit der Flagge, die in den Boden gerammt wird.

"Bingo!"

Oder wenn man am ersten Abend an der für alle Passagiere verpflichtenden Sicherheitsübung teilnimmt: Da müssen alle mit Schwimmwesten an Deck, um den Notfall zu proben. Die Zimmernummern werden aufgerufen, man hat Meldung zu machen und erfährt, welches Rettungsboot man im Notfall besteigen müsste. Eine ernste Sache. Eigentlich. Bis einer der älteren Herren beim Aufruf seiner Zimmernummer statt mit "anwesend" mit "Bingo!" reagiert. Doch, das ist richtig lustig.

Foto: Holland America Line

Sollte man mehr Landratte als Freibeuter in sich spüren: Es gibt kaum ruhigere Gewässer als die Ostsee. Holland America bietet auch 500 andere Routen an, etwa in die Antarktis, wo es sogar Weltumseglern den Magen umdreht.

Der Handtuchaffe hängt von der Decke

Wenn man aber abends in den stillen Gewässern vor St. Petersburg arglos in seine Kabine kommt und eine mondbeschienene Gestalt von der Decke baumelt, weswegen man einen gellenden Schrei ausstößt, dann weiß man: Auch Ostsee-Kreuzfahrten können verdammt aufregend sein. Dabei hat es der reizende Cabin Steward Sugi doch bestimmt nur gut gemeint, als er, während man nichtsahnend beim Dinner saß, einen lebensgroßen Handtuchaffen für einen faltete.

Wer seine Lieben daheim mit ähnlichen Figuren erfreuen will: An Bord wird der Kurs "Die Kunst des Handtuchfaltens" angeboten. Mehr Kontemplation geht nicht. (Colette M. Schmidt, 23.6.2015)

Siehe auch: Unterwegs in St. Petersburg: Zwischen Peter und Putin