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Tunesische Sicherheitskräfte nehmen einen Verdächtigen fest

Foto: REUTERS/Amine Ben Aziza

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Grafik: APA

Port El Kantaoui / Madrid – Die Gegend nahe der tunesischen Mittelmeerstadt Sousse ist bekannt für weite Sandstrände, luxuriöse Hotelkomplexe, lauschige Restaurants und einen modernen Sporthafen. Seit Freitag steht der Name auch für den brutalsten Terroranschlag in Tunesien, seit 2011 der Diktator Ben Ali gestürzt wurde.

Zur Mittagszeit eröffneten zwei mit Kalaschnikow-Sturmgewehren bewaffnete Männer das Feuer auf Touristen am Strand vor zwei Hotels. Laut tunesischen Reportern vor Ort sollen die Angreifer über das Meer gekommen sein. Touristen veröffentlichten in den sozialen Netzwerken Fotos von Toten am Strand.

Mindestens 38 Menschen wurden getötet. Unter den Opfern befinden sich mehrere ausländische Urlauber, sowohl mindestens ein Deutscher und 15 Briten. Auf österreichische Opfer gab laut Außenministerium keine Hinweise.

IS bekannte sich zu Anschlag

Ein Angreifer wurde von der Polizei erschossen, ein weiterer ist laut Innenministerium auf der Flucht. Bei dem getöteten Attentäter handelt es sich nach Behördenangaben um einen der Polizei nicht bekannten jungen Studenten.

Die Extremisten des Islamischen Staats (IS) hatten die Verantwortung für den Anschlag übernommen. Der IS-Kämpfer habe sein Ziel trotz Sicherheitsvorkehrungen in dem Touristenort Sousse erreicht, hieß es in einer auf Twitter veröffentlichten Mitteilung. 40 Ungläubige seien dabei getötet worden.

Regierung schließt Moscheen

Nach einer nächtlichen Sitzung des nationalen Sicherheitsrates kündigte Regierungschef Habib Essed am frühen Samstagmorgen eine Reihe von Maßnahmen an. Dazu gehört die Schließung von bis zu 80 Moscheen. "Es gibt weiterhin Moscheen, die ihre Propaganda und ihr Gift zum Terrorismus verbreiten", wurde der Premier von örtlichen Medien zitiert. Diese Moscheen sollten schon innerhalb der nächsten Tage geschlossen werden.

Daneben sollten Vereine und Parteien, die "außerhalb des Verfassungsrahmens stehen", genauer überprüft und dann entweder verwarnt oder aufgelöst werden. Hierbei solle vor allem die Finanzierung überprüft werden.

Um Touristen vor möglichen weiteren Anschlägen zu schützen, kündigte Essid einen verstärkten militärischen Schutz verschiedener Einrichtungen an. Um dies zu ermöglichen, sollten Reservisten einberufen werden.

Touristen verlassen Land

Die britischen Reiseanbieter Thomson und First Choice flogen am Samstag mit zehn Flugzeugen rund 2.500 Urlauber nach Hause. Auch der deutsche Reiseanbieter TUI brachte 80 Urlauber nach Hause. Die Mehrzahl der Todesopfer stammte offenbar aus Großbritannien.

Der britische Premierminister David Cameron warnte, seine Landsleute müssten sich darauf einstellen, "dass viele der Getöteten Briten waren". Nach Angaben des irischen Außenministeriums ist auch eine Frau aus Irland unter den Todesopfern. Das deutsche Auswärtige Amt machte bisher keine Angaben zu Deutschen unter den Opfern. Der Krisenstab im Ministerium und die Botschaft in Tunis bemühten sich mit Hochdruck um Aufklärung, sagte eine Sprecherin.

März: Anschlag auf Museum

Die Umgebung von Sousse gehört zu den beliebtesten Zielen bei europäischen und nordafrikanischen Urlaubsgästen. Es ist der zweite tödliche Anschlag auf Touristen im Geburtsland des Arabischen Frühlings. Bereits im März hatten schwer bewaffnete radikale Islamisten aus dem Umfeld des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt Tunis das Bardo-Museum gestürmt.

Damals waren 24 Menschen getötet worden, darunter 20 ausländische Urlaubsgäste und zwei Angreifer. Auch dieses Mal richtet sich der Verdacht der Ermittlungsbehörden auf die IS-Szene. Bereits im Oktober 2013 war es in Sousse vor einem anderen Hotel zu einem Anschlag gekommen. Ein Selbstmordattentäter hatte sich damals in die Luft gesprengt, allerdings ohne dabei weitere Menschen zu verletzen.

Zielscheibe Tourismus

Die Extremisten versuchen Tunesien dort zu treffen, wo es am meisten schmerzt. Das kleine Land lebt unter anderem vom Tourismus. Sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts kommen aus dem Geschäft mit Sonne, Strand und der reichen Geschichte. Nach dem Anschlag auf das Bardo-Museum ging der Tourismus im ersten Halbjahr 2015 um knapp 22 Prozent zurück. Die Kreuzfahrtschiffe, die früher unweit der Hauptstadt anlegten und einen Besuch in Tunis, der dortigen Altstadt und im Bardo-Museum fest auf ihrem Programm hatten, machen seit dem Blutbad einen Bogen um Tunesien.

Die Tourismusindustrie versucht seit der Revolution 2011 vergebens, wieder an alte Zeiten anzuknüpfen. Insgesamt kommt heute rund ein Drittel weniger Urlauber als 2010. Europäer kommen sogar nur noch halb so viele. Der Anschlag von Sousse droht den Tourismus jetzt völlig zusammenbrechen zu lassen.

3000 Tunesier bei Milizen

Das als modern bekannte Tunesien hat mittlerweile eine beachtliche radikale Islamistenszene. Rund 3000 junge Menschen haben – so Schätzungen der Behörden – das Land in Richtung Libyen, Syrien und Irak verlassen, um sich dem IS und anderen islamistischen Milizen anzuschließen. Längst befürchtet die tunesische Regierung, dass Rückkehrer im Land Anschläge verüben könnten. In den Bergen rund um Kasserine im Landesinneren an der Grenze zu Algerien verschanzen sich seit Jahren terroristische Gruppen. Armee und Gendarmerie kommen ihnen selbst mit Flächenbombardements nicht bei.

Außerdem lebt Tunesien in gefährlicher Nachbarschaft. Das Land verfügt über eine lange, schwer kontrollierbare Grenze zu Libyen quer durch die Wüste. In Libyen herrschen seit dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 chaotische Zustände. Längst hat die Regierung in Tripolis keine Gewalt mehr über das Land. Einzelne Milizen haben in den Regionen das Sagen; eine Parallelregierung streitet sich mit Tripolis um die Autorität im Lande. Libyen ist dadurch ein idealer Platz für radikale Islamisten geworden. Der IS breitet sich ungehindert aus. Rund 15.000 Soldaten sollen, so tunesische Medien, die Grenze bewachen. (Reiner Wandler, Reuters, APA, 26.6.2015)