Peter Kaiser, Landeshauptmann in Kärnten und SP-Landeschef, sagt zur Bundespolitik: "Rot-Schwarz-Grün wäre eine tolle Konstellation."

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STANDARD: Die SPÖ bewegt sich in einer Negativspirale: Wahlschlappen in der Steiermark und im Burgenland, in Oberösterreich droht Platz drei, und die Wiener Rohdaten in Umfragen verheißen Katastrophales. Wie kommt die SPÖ aus dieser Krise wieder heraus?

Kaiser: Wir erleben eine sehr, sehr schwierige Phase der Sozialdemokratie, die einhergeht mit einer generellen Abwendung vom Politischen. Und gerade jetzt sind Grundsatzorientierungen, Berechenbarkeit und klare Standpunkte wesentlich. Ein klarer Standpunkt heißt für die Sozialdemokratie, dass wir uns etwa unmissverständlich gegenüber nationalistischen Tendenzen abgrenzen. Das alleine ist für eine politische Identität natürlich zu wenig. Wir müssen uns verteilungspolitisch besser akzentuieren, zum Thema Arbeit fehlt das ganz klare Bekenntnis. Stichwort: Besteuerung des Faktors Arbeit im Verhältnis zu Vermögen, Umwelt- und Ressourcenverbrauch. Da sind unsere Schwachstellen.

STANDARD: Wie ist das Dilemma der SPÖ mit der FPÖ zu lösen? In den Bundesländern stellt sich jetzt oft nur noch die Existenzfrage: blaue Koalition oder Opposition?

Kaiser: Es ist ein Dilemma, das stimmt. Mehr als jemals zuvor stehen nicht die Grundwerte, die ideologische Bestimmung, sondern Regierungspragmatik, das Umsetzen von Machtpolitik im Vordergrund – ohne dass es innerparteilich kritisch hinterfragt wird. Und das ist der Nukleus des Dilemmas und einer der entscheidendsten Punkte. Es gibt keine Richtschnur, und niemand in der Partei hat die Kompetenz, eine Linie durchzusetzen. Es bleibt letztlich im Ermessen des jeweils handelnden Politikers. Aber da gibt es noch das zweite große Dilemma: Die Sozialdemokratie hat zu wenig gesellschaftspolitische Entwürfe der Zukunft. Wir befinden uns in einer der schlimmsten neoliberalen Phasen, die Besitz- und Wohlstandswahrung ist das leitende politische Motiv und nicht eine Verteilungspolitik.

STANDARD: In der SPÖ hat sich jetzt eine Art Gegenbewegung gegründet. Deren Sprachrohr ist der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler, der meint, die SPÖ gleiche einem Schiff, das "völlig orientierungslos umhertreibt oh- ne Steuermann und dringend einen Kurswechsel braucht".

Kaiser: Ich finde es begrüßenswert, wenn sich eine politische Bewegung innerhalb der Partei so kritisch wie nur möglich zu Wort meldet. Aber es muss klare Abgrenzungen gegenüber einer Gründung einer neuen Bewegung oder Partei geben. Das wäre keine Lösung.

STANDARD: Geht's noch mit Werner Faymann an der Parteispitze?

Kaiser: Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was Faymann innerhalb Europas darstellt – da ist er wirklich eine sozialdemokratische Größe -, und seinem Bild im Inland. Das sind zwei unterschiedliche politische Wahrnehmungen. Wichtig sind jetzt grundsätzliche Orientierungen der Partei. Das ist vorerst unabhängig davon, wer an der Spitze steht und ob der Vorsitzende X, Y oder Z heißt.

STANDARD: Wäre Gerhard Zeiler eine Alternative? Was wäre mit Brigitte Ederer?

Kaiser: Ich kenne Zeiler weniger, mit Brigitte Ederer bin ich politisch aufgewachsen. Ich bin ja durchaus bereit, über Personen zu reden, aber ich halte es für falsch, dass wir uns jetzt, vor zwei wichtigen Wahlen, zu allem Überdruss jetzt auch noch eine Personaldiskussion leisten.

STANDARD: Es kann aber durchaus sein, dass der Wiener Bürgermeister Michael Häupl angesichts der katastrophalen Umfragedaten zu einem raschen Wechsel an der Parteispitze noch vor der Wiener Wahl im Oktober drängt.

Kaiser: Mein Gefühl teilt diese Annahme nicht, ich schließe es aber auch nicht aus.

STANDARD: Wie konnte denn dieses Desaster beim Asylgipfel passieren? Kanzler Faymann wurde ja peinlichst ausgebremst von den Landeshauptleuten und der ÖVP.

Kaiser: So dramatisch, wie es dargestellt wurde, war es eigentlich gar nicht. Aber man wollte es in der ÖVP offensichtlich in diese Richtung kommunizieren. Kann sein, dass es ein bewusster Machtkampf war. Es mag ein Teil Taktik dahinter gewesen sein.

STANDARD: Aus der Bundesländerdistanz betrachtet: Wie ernst ist die Krise in der rot-schwarzen Koalition, ist sie noch zu retten?

Kaiser: Aus meiner Sicht sind die Differenzen nicht unüberwindbar. Auf einen zweiten Blick sehe ich natürlich schon entscheidende Antagonismen in vielen Fragen. Aber ich frage mich: Mit wem soll die ÖVP sonst koalieren? Teile der Volkspartei, auch in den Führungspositionen, wollen mit der FPÖ keine gemeinsame Politik machen. Jetzt zeigt sich: Man hätte nach der Wahl wahrscheinlich doch etwa anderes als "more of the same" machen und die Grünen in die Regierung holen sollen.

STANDARD: Dazu ist wohl zu spät.

Kaiser: Warum? Es ist nie zu spät. Ich kann mir das durchaus vorstellen. Wir sind zu sehr in unserem engmaschigen Denknetz gefangen. Rot-Schwarz-Grün wäre eine tolle Konstellation und würde auch eine klarere Abgrenzung gegen den nationalen Populismus darstellen. Und man bräuchte keine Bündnisse mit ihm eingehen in Zukunft. Es dürfte aber kein Machtbündnis sein, sondern müsste ein neues inhaltliches Gestaltungsbündnis sein. (Walter Müller, 29.6.2015)