Stau vor dem Schlafzimmer. Ein Eisengitter versperrt den Eintritt ins erzherzögliche Gemach. Besucher spähen durch die Stäbe hindurch auf ein Baldachinbett, auf samtbezogene Stühle, ein Bild des gekreuzigten Jesus und ein kleines Marmorwaschbecken. Eine recht bescheidene Einrichtung für einen echten Habsburger. Immerhin war der Mann, der hier im Nordwesten Mallorcas auf dem Landgut Son Marroig lebte, Ludwig Salvator – Erzherzog von Österreich, Prinz von Toskana und ein Großcousin von Sisi-Gemahl Kaiser Franz Joseph. In der Habsburgersippe galt er als struppiger Sonderling, den sie spöttisch "dicker Luigi" nannten.

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Ludwig Salvators Landgut Son Marroig im Nordwesten Mallorcas ist bis heute von einer unverbauten Küstenlandschaft umgeben ....

Tatsächlich zeigen Fotos, Büsten und Gemälde des jungen Erzherzogs einen Mann mit Marshmallow-Gesicht – schwammige Wangen in einer ganz und gar runden Gutmütigkeit. Mit zunehmendem Alter schwoll sein gesamter Körper zu einer gewaltigen Masse an. Ein österreichischer Buddha, den tief im Herzen ein melancholisches Moll warmhielt, ein Schwärmer und ein Träumer – die Geschichte seines Traums spielte auch auf Mallorca. Anlässlich von Ludwig Salvators 100. Todestag im Oktober gibt es auf der Insel heuer mehrere Sonderausstellungen zu sehen.

Ein romantischer Reisender

Immer wenn er nicht gerade auf seiner Dampfyacht Nixe weilte, zog es ihn auf die Baleareninsel. Seine Lieblingsresidenz war Son Marroig, jenes Landgut an der Straße zwischen Valldemossa und Deià, das heute öffentlich zugänglich ist und Neugierigen einen Blick in Ludwigs Schlafzimmer gewährt. Viele Räume sind originalgetreu erhalten, und ein kleines Museum verrät, was er für einer war: Nautiker, Botaniker, Ethnologe, Sammler, Historiker, Illustrator und Dichter – romantischer Reisender und ernsthafter Wissenschafter zugleich. Adliger natürlich auch, aber das spielte für ihn nur dann eine Rolle, wenn es ums Geld ging.

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... nur ein kleiner Tempel steht dort außerdem.

Das Wiener Hofzeremoniell war ihm zuwider, statt Uniform trug er bequeme Leinenhosen und Sandalen, aber die Apanage in der Höhe von 100.000 Kronen jährlich strich er gern ein und schnorrte die liebe Verwandtschaft zudem noch regelmäßig an. Mit den Krediten der Habsburger finanzierte der Erzherzog seine mallorquinischen Besitztümer. Ludwig Salvator war der erste ausländische Immobilieninvestor auf der Baleareninsel.

Mit Meerblick

Zwischen 1872 und 1901 kaufte er dort insgesamt zwölf zusammenhängende Grundstücke, bis ihm ein ganzer Küstenabschnitt von 16 Kilometer Länge zwischen Valldemossa und Deià gehörte. Herzstück seiner Ländereien waren die Überreste des aus dem 13. Jahrhundert stammenden Franziskanerklosters Miramar, das einst der katalanische Mönch und Philosoph Ramon Llull gegründet hatte. Weil man auch von fast jedem anderen Punkt seiner Besitzungen Meerblick hatte, nannte Salvator schließlich sein ganzes Reich "Miramar".

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Ludwig Salvator, der "dicke Luigi", in späteren Jahren
Foto: ÖNB-Bildarchiv/picturedesk.com

Man kann sich den "dicken Luigi" nur schwer als ausdauernden Wanderer vorstellen, doch seine vielen wissenschaftlichen Werke über Flora und Fauna, seine Zeichnungen und poetischen Landschaftsschilderungen belegen das Gegenteil. Ausgerüstet mit Tintenfässchen, Feder, Notiz- und Skizzenblöcken, stapfte er durch die Wälder, die den Gebirgszug Serra de Tramuntana bedecken. Bäume hatten es ihm besonders angetan.

Vandalismus Einhalt gebieten

Er hütete seine Wälder und errichtete ein privates Naturschutzgebiet, in dem kein Baum gefällt, aber auch kein Tier geschossen und kein Haus errichtet werden durfte. Vor allem die ur alten Steineichen lagen ihm am Herzen. In "Die vergessenen Inseln" beschreibt der französische Historiker Gaston Vuillier, dass der Erzherzog sogar dafür zahlte, um das Abholzen zu verhindern: "Eines Tages verstummten die Vögel, während die dröhnenden Hiebe einer Axt die Umgebung erschütterten. Auf einer benachbarten Besitzung von Miramar fällte ein Bauer einen hundertjährigen Baum. Um diesem Vandalismus Einhalt zu gebieten, kaufte der Erzherzog für teures Geld den ganzen Besitz des Landwirts."

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Valldemossa

So flossen Millionen aus den Kassen der K.-u.-k.-Monarchie in den Umweltschutz auf Mallorca.

Kostenloses Logis

Damit auch andere die Schönheit der Küste genießen konnten, ließ Salvator ein kilometerlanges Wegenetz bis in die Berge der Sierra del Teix anlegen, Aussichtspunkte, Schutzhütten und Schenken errichten. Die ersten Mallorca-Reisenden fanden in seiner Herberge "Ca Madó Pilla" drei Nächte lang kostenlose Unterkunft.

Er war doch Visionär genug, um die Verirrungen des Fremdenverkehrs zu erkennen. In seinem Heftchen mit dem Titel Was mancher wissen möchte orakelte er: "Dort, wo früher nur ein einfaches Wirtshaus war, erheben sich palastähnliche Hotels mit der Leichtigkeit, mit welcher sich Pilze vermehren." Gewidmet hatte er das Büchlein dem 1905 gegründet Fremdenverkehrsverband Mallorcas.

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Die Serra de Tramuntana blieb vom Massentourismus verschont.

Tourismus im industriellen Stil hatte Ludwig Salvator für "seine" Insel sicher nicht im Sinn. War er doch davon überzeugt, dass die Identität eines Volkes darin besteht, Traditionen zu pflegen und die Natur zu schützen. Seine Serra de Tramuntana blieb immerhin verschont, denn sie wurde als Teil der Costa Nord Unesco-Weltkulturerbe. Dass der faschistische Staatschef Franco ab 1960 zum ehrgeizigsten Förderer des Massentourismus auf den Balearen wurde, mag dem Erzherzog posthum Trost und Verteidigung sein.

Nur wenn Jürgen Drews sich heute als König von Mallorca feiern lässt, dann knirscht es in Wien in einer Nische der Kapuzinergruft: Der dicke Luigi hat sich wahrscheinlich gerade im Grab umgedreht. (Nicole Quint, Rondo, 3.7.3015)