Hans Bürger: "Meine Doktrin lautet: Gesprächsfähigkeit hinter der Kamera und Distanz am Schirm."

Foto: Robert Newald

In den "Sommergesprächen" will der längstdienende ORF-Innenpolitikchef, Hans Bürger, Parteichefs nach Zukunftsideen fragen – so sie welche haben. Interventionen, auch brutale, erlebte er viele – nur zu diesem Sendeformat noch nicht.

STANDARD: Wann ist für Sie ein "Sommergespräch" mit einem Parteichef oder einer Parteichefin gelungen, wann ist es für Sie gut?

Bürger: Einfache Antwort: Wenn es dem Publikum gefallen hat.

STANDARD: Es geht nur um die Quote und die Benotung im Teletest?

Bürger: Nein. Mein früherer Chefredakteur Karl Amon ging mit den Worten in eine Sitzung: Macht’s mich gscheiter! Wenn das Publikum von meinem Gesprächspartner ein bisschen mehr weiß als vorher, würde mich das sehr freuen. Das Sommergespräch wird aber kein großes Aufdecker-Interview, das ist nicht mein Ziel.

STANDARD: Was soll dann das Publikum mehr wissen? Soll aus dem Gespräch eine Art Porträt der Person entstehen? Soll man mehr über den Parteichef, die Parteichefin wissen. Über politische Vorstellungen? Was hätten die Damen und Herren darüber noch nicht gesagt?

Bürger: Vor drei Wochen hätte ich in diesem Interview noch etwas völlig Anderes gesagt, als ich heute sagen muss.

STANDARD: Ursprünglich sollte es ins Philosophische gehen.

Bürger: Die aktuellen Krisen in dieser Häufung – von Griechenland, Terror, Rot-Blau im Burgenland – machen es fast unmöglich, mein Ursprungskonzept durchzuziehen.

STANDARD: Das Konzept war …?

Bürger: John Maynard Keynes hat 1930 das Buch "Die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Enkel" veröffentlicht – ein Buch, das bis vor wenigen Wochen keiner kannte, nun aber ständig zitiert wird. Keynes sagt: 2030 wird es uns allen gut gehen und wir werden weniger arbeiten. Das wäre mein Anhaltspunkt gewesen: Was ist 2030? Ich habe die Idee noch nicht aufgegeben, wir werden über die Zukunft reden. Aber das Visionäre, Philosophische, Soziologische wird einen deutlich geringeren Raum einnehmen, als ursprünglich geplant. Aber ich würde gerne herausfinden, warum jemand überhaupt in die Politik geht.

STANDARD: Reflexartiger Gedanke dazu: Dazu kann jeder das Blaue vom Himmel erzählen. Wie will ich die Welt 2030 haben, was werde ich tun für diese tolle Perspektive, wenn ich gewählt werde.

Bürger: Es kann aber auch das Gegenteil eintreten – ohne dass ich das jemand unterstellen möchte: Dass ihm oder ihr dazu wenig einfällt. Wenn man sich ein bisschen mit der Zukunft beschäftigt – mit neuen Arbeitsplätzen, 3-D-Produktion, Digitalisierung, die Zukunft der Industrieproduktion bis zur Zukunft des Journalismus: Ich wäre gespannt, ob da jeder Antworten parat hat. Das würde voraussetzen, dass er oder sie sich eingehend mit dem Thema beschäftigt hat. Aber ich erzähl hier eh schon viel zuviel.

STANDARD: Stand zunächst der Moderator der Sommergespräche fest, und Sie haben sich dann ein Konzept überlegt, oder gab’s vorher das Konzept, das den Zuschlag erhielt?

Bürger: TV-Direktorin Kathrin Zechner und Chefredakteur Fritz Dittlbacher haben mich am 13. April ehrlich überrascht, als sie mich davon informiert haben. Und dann haben sie mich gefragt, was ich vorhabe.

STANDARD: Die Sommergespräche treffen einen wie ein Blick aus heiterem Himmel

Bürger: Jedenfalls für mich kam das sehr überraschend.

STANDARD: Und Sie haben sich dann gefragt: Warum ich? Oder: Warum ich erst jetzt

Bürger: Ich bin 30 Jahre Journalist und seit 28 Jahren im ORF. Ich war und bin durchaus bereit für diese Aufgabe.

STANDARD: Sie waren schon ab 1998 Innenpolitik/EU-Planer im ORF-Fernsehen und sind seit 2002, als die Funktion wieder eingeführt wurde, Ressortleiter. Das dürfte ein einsamer Höchstwert in dieser Funktion sein. Wie hält man sich so lange in einem Unternehmen, dem sehr viel politische Aufmerksamkeit zuteil wird – wenn in der Zeit die Regierungen, die ORF-Generale, die Chefredakteure vorbeiziehen?

Bürger: Offensichtlich waren die wechselnden Chefredakteure doch überzeugt, dass ich als Ressortleiter für eine bestimmte Qualität der Berichterstattung stehe. Ich leite dieses Ressort – übrigens mit früher 40 und nun nur noch 20 Leuten – nicht im stillen Kämmerlein vor mich hin. Ich beherzige einen Spruch meines heutigen Chefredakteurs im ORF: Ohne Gesicht kein Gewicht.

STANDARD: Soll heißen: Kamerapräsenz.

Bürger: Ich halte eine Trennung der Funktionen von Journalist und Manager für einen Grundfehler. Ich will auch weiterhin Beiträge produzieren, kommentieren, interviewen, und ich habe mittlerweile von 45 EU-Gipfeln berichtet in den vergangenen 18 Jahren. Vielleicht hat meine Qualität und ein breites Arbeitsspektrum auch manchen Chefredakteur, der mir am Anfang skeptisch gegenübergestanden ist, davon überzeugt, dass man den Bürger nicht unbedingt weghaben muss.

STANDARD: Man könnte natürlich auch vermuten, Sie wären besonders milde und anpassungsfähig.

Bürger: Der Vorwurf wird durch Wiederholung nicht richtiger. Meine Doktrin lautet: Gesprächsfähigkeit hinter der Kamera und Distanz am Schirm. Auch jene, die mir Anpassungsfähigkeit nachsagen, haben mir noch nie nachgesagt, ich hätte die Distanz auf dem Schirm nicht gewahrt. Ich spreche mit vielen Leuten und suche das Gespräch; aber sobald das Rotlicht an ist, bin ich äquidistant zu allen.

STANDARD: Ihre "Pressestunde" am vergangenen Sonntag mit Kanzler Werner Faymann und Isabelle Daniel ("Österreich") wurde etwa auf Twitter recht heftig kritisiert als zu freundlich, zuwenig kritisch und zuwenig innenpolitisch.

Bürger: Ich habe mir vier Hauptthemen vorgenommen – Griechenland, Asyl und Flüchtlinge, Koalitionsklima und Zustand der SPÖ. Und genau das ist durchgekommen. Dass Griechenland nach der dramatischen Entscheidung vom Samstag ein bisschen länger wurde, ist klar. Und ich wüsste nicht, welche Frage gefehlt hätte. Ich glaube, alle Fragen wurden gestellt. Man kann sich in der TVthek gern auch den Gesichtsausdruck des Bundeskanzlers bei der Frage nach dem Vertrauensindex ansehen. Die hat ihn nicht besonders gefreut.

STANDARD: Was bleibt nach der "Pressestunde" für das "Sommergespräch" in acht Wochen?

Bürger: Die Hauptthemen sind natürlich aus heutiger Sicht abgearbeitet. Aber wenn ich mir anschaue, was alleine in den letzten vier Wochen passiert ist, sehe ich kein Problem, am 31. August viele neue Fragen zu stellen. Außerdem möchte ich den zukunftsgerichteten Aspekt zumindest auch unterbringen. Und wir werden auch über die Person einiges Neues erfahren – aber das verrate ich noch nicht. Eine kleine Überraschung wird es schon noch geben.

STANDARD: Laufen langsam die Telefone heiß, und Pressesprecher fragen nach Ihren Frage und Themen?

Bürger: Nein, ehrlich nicht. Ich habe jetzt 87 Pressestunden geführt. Und ein wirklich unverschämter Anruf eines Pressesprechers, den ich nicht nenne, liegt schon sehr, sehr lange zurück. Der lautete, am Samstag davor: "Und wann gehen wir die Fragen durch?" Das war das Ungeheuerlichste und das einzige Mal. Aber ein Pressesprecher heute braucht niemand anrufen. Er kennt die vier Themen genau, die am Tisch liegen. Die Welt ist so transparent geworden – eine wirklich unerwartete Frage ist kaum möglich. Außer eine Frage direkt zur Person – oder man hat etwas entdeckt, das Zeug zum Skandal hat.

STANDARD: Wieviel Zeit eines Ressortchefs Innenpolitik im ORF-Fernsehen nehmen eigentlich Interventionen in Anspruch?

Bürger: Das pendelt in den vergangenen 17 Jahren von hoch bis niedrig und auch null. Es hat Zeiten mit bis zu fünf Anrufen pro Partei pro Tag Durchschnitt gegeben. Es gibt Zeiten, in denen tagelang niemand zu intervenieren versucht.

STANDARD: Wo beginnt denn die Intervention für Sie?

Bürger: Wenn mich jemand anruft und auf eine Entwicklung aufmerksam macht – natürlich schau ich mir das an. Es hat mich aber auch schon jemand angerufen mit den Worten: "Wenn ich diesen Originalton heute abend nicht sehe, dann wird das für Ihre weitere berufliche Zukunft nicht von Vorteil sein." Das ist eine andere Qualität. Diese Brutalität, die Berichterstattung mit der beruflichen Zukunft der Führungskraft zu verbinden, ist vorbei. Das hat es gegeben – in allen Regierungen. In die Nähe solcher Phasen kommt man meistens vor Wahlen, da steigt die Nervosität extrem.

STANDARD: Wie gehen Sie mit solchen Drohungen um?

Bürger: Es ist ein Riesenvorteil, wenn man schon lange dabei ist. Irgendwann nimmt man es nicht mehr persönlich.

STANDARD: Vor gut einer Woche dürfte der Interventionspegel nach oben ausgeschlagen haben, als die "ZiB" über den "Rettungskongress" parteiinterner Kritiker der SPÖ-Führung berichtete.

Bürger: Es ist klar, dass das die Parteiführung nicht freut. Wir waren aber trotzdem dort und haben das sehr ausführlich gebracht.

STANDARD: Aber es dürfte einige Telefonate dazu gegeben haben.

Bürger: Glücklich war man in der betreffenden Partei jedenfalls nicht.

STANDARD: Sie werden seit vielen, vielen Jahren immer wieder für höhere Jobs gehandelt, nun etwa für einen geplanten Info-Direktor über alle ORF-Medien. Wollen Sie weitere 14 Jahre Ressortchef Innenpolitik/EU bleiben?

Bürger: Das mit den 14 Jahren ginge sich zeitlich bei mir nicht mehr ganz aus. Ich wurde schon für soviele Jobs gehandelt – und ich bin immer geblieben, was ich derzeit bin. Das heißt: All diese Gerüchte waren falsch. Ich gehöre zu den ganz Wenigen im Haus, denen ihre Aufgabe extreme Freude bereitet, und die sie total ausfüllt. Ich finde die Kombination wunderbar, ein extrem tolles Team zu führen und selbst ab und zu aufs Spielfeld gehen zu können. Wenn’s nach mir geht, würde ich das gerne weitermachen. (Harald Fidler, 1.7.2015)